Es ist Kritik mitten aus dem System, auch wenn es sich bei dem Verfasser um einen 31-jährigen Novizen handelt – der Autor des Buches ist Sohn von Mia Farrow und Woody Allen, also schon von Natur Mitglied des Ostküstenestablishments, war an der Yale Law School, promoviert derzeit an der Oxford University.
Während der Amtszeit von Präsident Barack Obama arbeitete er als Berater im Außenministerium unter Hillary Clinton. Und mit dieser Information ist der Schlüssel für sein voluminöses Buch übermittelt, das Ronan Farrow folgendermaßen genannt hat: Das Ende der Diplomatie – Warum der Wandel der amerikanischen Außenpolitik so gefährlich ist.
Die Kernaussage des Buches lässt sich schnell zusammenfassen. Sie besagt, dass seit dem 11. September 2001 eine Verschiebung innerhalb der amerikanischen Außenpolitik stattgefunden hat. Und zwar weg vom Einfluss der klassischen, in strategischen Dimensionen operierenden Diplomatie und hin zu einem vordergründig von taktischen Erwägungen geprägten Einfluss des Militärs. Sprich: Das Wort des Außenministeriums hat zunehmend an Gewicht verloren, während gleichzeitig der Rat aus dem Pentagon dem Weißen Haus weitaus wichtiger wurde.
Farrow belegt diese These in unzähligen Beispielen. Zwei hätten allerdings genügt, um das zu illustrieren, was alle Welt täglich beobachtet.
Und die von Farrow dargestellten Prototypen der notwendigen Diplomatie würden, excuse me, Sir, in den klassischen Schulen der einstigen europäischen Blüte dieses auch dort aussterbenden Genres mit Pauken und Trompeten durchgefallen sein.
Die Vereinigten Staaten sind zu dem Imperium mutiert, das seine letzten Schlachten um die Weltherrschaft vorbereitet. Dass dabei eine Vision verloren gegangen ist, die in guten Zeiten, nach gewonnen Kriegen gegen Monarchen und Diktatoren, mit Menschenrechten und Demokratie daherkam, ist, historisch gesehen, nur folgerichtig.
Das eigentlich Interessante an dem Buch “Das Ende der Diplomatie” ist die Darstellung einer geraden Linie der kritisierten Entwicklung von George W. Bush über Obama zu Donald Trump. Letzterer als Klimax anti-diplomatischen Denkens hatte in Obama einen Vorläufer, der die Vorherrschaft militärischer Konzeptionen in der amerikanischen Außenpolitik nicht durchbrochen hat. Das ist ein neuer Aspekt in der Darstellung aus dem System selbst heraus.
Farrow versäumt es natürlich nicht, die Geschehnisse so darzustellen, als dass Hillary Clinton als Außenministerin unter Präsident Obama die einzige gewesen ist, die eine andere Meinung vertrat und die gerne mehr auf Diplomatie als auf das Militär gesetzt hätte.
Diese Aussage klingt ein wenig befremdlich, wenn man sich an ihre säbelrasselnden Statements in Bezug auf Libyen oder Russland erinnert.
Letztendlich handelt es sich bei dieser Darstellung um eine letzte Empfehlung Hillary Clintons an die Weltöffentlichkeit. So, als hätte sich mit ihrer Präsidentschaft die Welt zum Besseren gewendet und alles wäre gut geworden. Der noch jungen Karriere des Autors wird es nutzen, der entscheidenden Frage, wie sich der wankende, strategisch überdehnte Gigant im Angesicht eines Showdowns mit China aufstellen soll, spielt in dem Buch nicht die geringste Rolle.
Mit dem Ansinnen, diese Frage klären zu wollen, war Obama angetreten und kläglich gescheitert. Bei der Mentorin des fleißigen Schreibers und bei diesem selbst findet sie gar nicht erst statt. Und, um auf den Titel zurückzukommen, wie eine den Herausforderungen der globalisierten Welt begegnende Diplomatie aussehen müsste, darüber wird kein Wort verloren.
Viel Papier um nichts!
Symbolfoto: Jesse Orrico (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.