Hierzulande fing alles an mit einem zahlenlastig argumentierenden Professor. Es ging um den von den Verantwortlichen so genannten Rettungsschirm für Griechenland. Dieser rettete nicht das Land, sondern die Banken, die dort hoch riskant spekuliert hatten. Aber nicht einmal das monierte der Professor, sondern die Risiken für den deutschen Steuerzahler.
Diffamierung des Bedenkens
Und dennoch waren sich die amtierende Bundesregierung wie die selbst ernannten Qualitätsmedien schnell sicher, dass es sich um einen Europahasser handelte. Die Ausgrenzung stante pede machte aus einer kritischen Stimme gegenüber der herrschenden Finanzpolitik ein Sammelbecken. Letzteres gilt heute als Hort der Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses.
Das Beispiel der Diffamierung eines zarten Bedenkens, zum Beispiel hinsichtlich der Ukraine-Politik, wiederholte sich – da waren schnell die Putin-Versteher ausgemacht. Diesmal traf es andere. Die Kritik am „Gesamtsystem“ wuchs.
Diejenigen, die sich ihrer naiven Vorstellung eines demokratischen Disputes beraubt sahen, haben sich zu einer breiten kritischen Masse ausgewachsen. Das monolithische Vorgehen der Großkoalitionäre blieb. Jüngstes Beispiel ist die Unterzeichnung des Aachener Vertrages als Nachfolgedokument der Élysée-Vereinbarungen durch Macron und Merkel [1].
Deutschland und Frankreich en marche
Was dort vereinbart wurde, ist die Dominanz Frankreichs und Deutschlands als wirtschaftsliberalen Leittieren auf der Wiese Europa. Alles, was es an Kritik an dem Projekt Europa gibt, wird konsequent ignoriert. Es geht um ein Weitermachen, obwohl in Frankreich mittlerweile von staatlicher Seite ein Bürgerkrieg gegen eine Massenbewegung tobt, die sich gegen die Auswüchse der EU-Politik wendet und obwohl in Deutschland der gesellschaftliche Konsens dahin ist.
Der wichtigste Teil des für einen Tag zelebrierten Dokuments konzentriert sich auf die militärische Zusammenarbeit. Da fällt dann nur noch der kluge Satz des Dramatikers Anton Tschechow ein, dass, wenn beim ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, im dritten Akt damit jemand erschossen wird.
Kanzlerin Merkel machte es durch eine bewusste oder unbewusste Verfehlung in ihrer Ansprache sehr deutlich. Sie sprach jedes Mal, wenn es hätte Europa heißen müsste, vom Euro. Ein Mitglied von Macrons Delegation und Mitautor des Papiers machte es abends im TV deutlich. Deutschland und Frankreich sind in Europa en marche. Wer mit will, darf mitlaufen, wer nicht, bleibt zurück.
Balsam für die Leichtgläubigen
Es bleibt also dabei: Europa ist aus deutscher Sicht das Konstrukt, sich Märkte zu sichern. Dabei wäre Frankreich gerne dabei. Im Rest Europas ist diese Position entlarvt und stößt auf immer härteren Widerstand und in beiden Ländern wächst die Kritik. In Frankreich ist sie auf der Straße manifest, in Deutschland zunehmend in den Parlamenten. Der im Aachener Vertrag angebotene Kitt, mehr bilateraler Austausch und gemeinsame Kulturprojekte, sind der Balsam für die Leichtgläubigen.
Wenn jemand seine Position verteidigt, ohne auch nur einen Moment auf die Kritik daran einzugehen, dann nennt man das apologetisch. Wenn er daran festhält und beginnt, die Menschen, die seine Position kritisieren, zu diskreditieren, mag man ihn dogmatisch nennen. Wie es tituliert wird, es ist gleich.
Vor allem die deutsche Position war, so ist zu entschlüsseln, exklusiv auf die Nutzung des europäischen Marktes ausgerichtet, wobei die Geschäftsrisiken auf den Steuerzahler gelegt wurden. Eine Kritik an diesem Standpunkt wird systematisch tabuisiert. Niemand außer Deutschland soll verdienen.
Nun wird das Bündnis mit Frankreich intensiviert, um die Bastionen gegen ein verzweifelter werdendes Europa zu stärken. Der militärisch-industrielle Sektor freut sich bereits auf die Aufträge.
Quellen und Anmerkungen
[1] Am 22. Januar 1963 unterzeichneten der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer im Pariser Élysée-Palast eine “Gemeinsame Erklärung”. Dieser “Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit” wurde als Élysée-Vertrag bekannt. Am 22. Januar 2019 wurde der Vertrag durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron erneuert. Der Vertrag von Aachen soll an den Élysée-Vertrag anknüpfen. Im Kern geht es um eine Vertiefung der Zusammenarbeit in der Europapolitik, vor allem in der Außen-, Wirtschafts-Sicherheitspolitik. Der Vertrag von Aachen ist auf https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2178596/7b304525053dde3440395ecef44548d3/190118-download-aachenervertrag-data.pdf als PDF verfügbar (abgerufen am 24.01.2019). ↩
Symbolfoto: Hayden Walker (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
3 Antworten auf „Deutschland und Frankreich en marche!“
Was möchten diese Regenten eigentlich. Die beiden wollen doch nur ihre Macht in der Welt verstärken. Nicht ein Wort über die Bürger dieser Staaten, das es denen besser geht. Kein Wort über den Zustand des Euro. Dafür ein Verstärkung der Armeen. Wollen wir wirklich wieder Kriege führen? Man muss große Bedenken haben solange die an der Nacht sind. Hoffentlich erleben diese beiden ihr blaues Wunder bei der Europa-Wahl.
Zu Claus Meyer: Am letzten Satz bin ich auch daran. Meine Hoffnung gründet sich auf die Verfassungsbeschwerden gegen CETA und JEFTA. Sollten diese vor internationalen Gerichten scheitern, wofür es gute Anhaltspunkte gibt, dürfte der undemokratische und unsoziale Staatenverbund Europa in Schwierigkeiten geraten. Mit Auswirkungen auf die Europawahl,. die dann wahrscheinlich mit einem Desaster endet und der Chance für einen Neubeginn mit voller Beteiligung de Bürger.
ein schöner gesamtüberblick – mit den unterschiedlichen “atmosphärischen” strömungen … fast wie beim wetter: genaues über die zukunft weiß man nicht …
aber ich möchte mal einen nachfragenden widerspruch anmelden – besonders für die menschen, die sich aktiv im denken, beobachten, schreiben einmischen:
“Wenn jemand seine Position verteidigt, ohne auch nur einen Moment auf die Kritik daran einzugehen, dann nennt man das apologetisch. Wenn er daran festhält und beginnt, die Menschen, die seine Position kritisieren, zu diskreditieren, mag man ihn dogmatisch nennen. Wie es tituliert wird, es ist gleich.”
>>> man kann davon ausgehen, dass NAMEN eh nur schall und rauch sind
>>> man kann genausogut davon ausgehen, dass es mehrere begriffe für ein und den selben sachverhalt gibt (wähle den passendsten!! – davon weiß jeder übersetzer ein lied zu singen – ist er doch auch gleichzeitig interpret für ein wort …)
>>>ist es nicht die vorrangige aufgabe eines jeden, der SPRACHE sein werkzeug nennt, die QUALITÄT der sprache hoch zu halten … entwickeln … denn in allen anderen bereichen würde sich ein bewußter “handwerker” verbieten – wenn er denn koch oder bäcker oder friseur wäre = ist doch egal, wie es schmeckt, wie es aussieht …
NEIN … wir brauchen eine klare sprache – die ist heute schon genug verhunzt und mißbraucht – das ist KEIN grund, sich diesem fatalen zeitgeist anzupassen … auch hier braucht es widerstand durch VORBILD … es ist nicht mehr erklärend GENUG bei der vielfalt der möglichkeiten einen tisch nur einen tisch zunennen … eßtisch, spieltisch, schreibtisch, küchentisch, mamortisch … ist das MINDESTE … nur der “brocken = tisch” sagt nicht viel zum besseren verständnis