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Leistung, Lieblinge und sukzessiver Niedergang

Die hier beschriebenen Delinquenten sind geschätzte und loyale Mitglieder des Systems.

Wer seinen Laden nicht im Griff hat, schreit gerne laut und weist auf die Gefahren hin, die existieren, wenn man ihm nicht helfe. Das kann man so machen, zeugt allerdings von der Begrenztheit der eigenen Mittel.

Selbstverständlich kann die Klage berechtigt sein, denn nicht selten wird ein großes Problem versucht, mit einem kleinen Feigenblatt zu bedecken.

Aber es kann sich auch um eine tatsächliche Inkompetenz handeln. Dann wird laut lamentiert, was alles noch passieren wird, wenn nicht noch mehr Geld, noch mehr Personal oder noch mehr Instrumente und Werkzeuge gebilligt werden. Und wenn darauf eingegangen wird, herrscht eine Zeit lang Ruhe, bis das Spiel wieder von vorne losgeht.

Manche haben ihr ganzes langes Berufsleben Erfolg mit dieser Taktik. Muster, die sich einmal eingespielt haben, werden von allen Beteiligten nur sehr zögerlich wieder aufgekündigt.

Die hier beschriebenen Delinquenten sind, außerhalb der von ihnen immer wieder veranstalteten Katastrophenszenarien, geschätzte und loyale Mitglieder des Systems. Sie kritisieren nie den Kurs des Unternehmens, sie unterstützen die Geschäftsleitung, wo sie es nur können und sie gelten als Säule in der Existenz der Organisation.

Ein ganz normales Symptom

Was die Szenarien, die sie gleich den Unheilsrufen der Kassandra immer wieder an die Wand malen, letztendlich für die Organisation bewirken, wird innerhalb der Organisation in der Regel sehr unterschiedlich beurteilt.

Da ist der Vorstand, der die demonstrierte Loyalität im Fokus hat und der die Unterstützung, die ihm unablässig verbal zugesichert wird, in hohem Maße honoriert. Das Honorar besteht in erster Linie in einer nahezu ungehemmten Geberlaune bei der nächsten Forderung nach Sonderrationen und Sonderregelungen.

Andererseits sind da die Kollegen, die sehr genau sehen, was passiert. Sie betrachten die wiederkehrenden Hilferufe, die immer mit dem Signet der Besonderheit ausgesendet werden, als ein ganz normales Symptom der Überforderung. Schnell wächst die Kritik über die Unfähigkeit und die eigenen Leistungsmotive werden beschädigt. Und es wächst die Empörung über die soziale Sonderbehandlung des Schlechtleisters.

Aussetzung des Leistungsprinzips

Die Existenz von chronisch Überforderten in einer Organisation und deren Sonderbehandlung sind normalerweise die Begleiterscheinung eines sukzessiven, aber stetigen Niedergangs.

Letztes Beispiel, um im unverfänglichen Bereich zu bleiben, war der Auftritt der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM 2018 in Russland. Da wurden alle Risse offensichtlich, die das Aussetzen des Leistungsprinzips letztendlich herbeiführen kann. Denn zum Schluss funktionierte gar nichts mehr:

Die Motivation, die Leistung, das Ergebnis, der Zusammenhalt und das Bild nach außen, alles lag am Boden, und alles hatte begonnen mit Lieblingen der Geschäftsleitung, die die Leistung nicht brachten und wie selbstverständlich eine Sonderbehandlung erwarteten.

Die Bedingung für Leistung

In Leistungsorganisationen ist die Leistung selbst das Unterpfand für einen Faktor wie Gerechtigkeit. Bei der Art und Weise, wie wir im tiefen Westen sozialisiert worden sind, ist das Gefühl für Gerechtigkeit seinerseits so ausgeprägt, dass es zur Grundbedingung für das Motiv geworden ist, Leistung überhaupt zu erbringen.

Das ist nicht immer einfach einzusehen, denn diese Erkenntnis lebt nur vom Rückschluss aus negativer Erfahrung. Nur wenn es schief geht, sehen es auch die ein, die den Fehler selbst begehen. Es ist zu hoffen, dass sie daraus lernen. Und wenn nicht, dann gehen sie mit ihren Lieblingen unter. Wenigstens letzteres hat dann Literaturformat.


Foto: Clem Onojeghuo (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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