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Showdown zwischen Bürokratie und Volk?

Was, bitte schön, hat eine geostrategische motivierte Volte der USA mit der freien Entscheidung einzelner EU-Staaten zu tun?

Da verstehe noch einer die Vorzüge der EU: Seit Jahren existieren Verträge zwischen Deutschland und Russland, die sowohl den Bau von Pipelines durch die Ostsee als auch die Versorgung Deutschlands mit russischem Erdgas regeln.

Merke wohl

Dann taucht irgendwann der amerikanische Präsident Donald Trump auf und zetert gegen diese Verträge, weil sie aus seiner Sicht die Abhängigkeit Deutschlands von Russland dramatisch erhöhen, und fordert gleichzeitig die Abnahme amerikanischen Flüssiggases durch Deutschland. Und wie von Zauberhand beginnt es in der EU gegen Northstream II, besagten Vertrag zwischen Deutschland und Russland, zu rumoren, vor allem, notabene, seitens der Ukraine, ihrerseits in kriegerischem Zustand mit Russland und lediglich Beitrittskandidat der EU, welches seinerseits fürchtet, wichtige Gebühren für den Transfer russischen Gases durch die Ukraine zu verlieren.

Und ausgerechnet Frankreich, seit dem jüngsten Aachener Vertrag Brother in Arms mit Deutschland, stellt sich an die Spitze der Meuterer gegen das bestehende Vertragswerk.

Die hiesigen Qualitätsmedien berichteten darüber, als handele es sich um eine ganz normale Angelegenheit und sie präsentierten das Ergebnis als einen Erfolg, weil an einer neuen EU-Richtlinie gearbeitet werde, die derartige Vorhaben strenger regeln werde, nun aber noch wohlwollend zustimme, dass an der Pipeline weitergearbeitet werden dürfe. Es ist absurd und es ist kurios.

Abwenden von dem Konstrukt

Was, bitte schön, hat eine geostrategische motivierte Volte der USA, die sich ihrerseits auf die Destabilisierung ganzer Staaten wie der Ukraine stützt, mit der freien Entscheidung einzelner EU-Staaten zu tun? Und was hat der französische Hoffnungsträger Emmanuel Macron mit der EU-Intervention gegen deutsch-russisches Vertragswerk zu tun?

Wenn das die Gemeinsamkeit ist, von der momentan angesichts der bevorstehenden EU-Wahlen geredet wird, dann ist es keine Überraschung, wenn sich immer mehr Menschen von diesem Konstrukt abwenden.

Nun, es ist kein Geheimnis, dass Deutschland seinerseits auch an zahlreichen Manövern beteiligt war, die dazu geeignet waren, wirtschaftliche Großinteressen aus dem eigenen Land innerhalb der EU durchzusetzen. Wie sich das anfühlt, demonstriert die Anti-Northstream-Initiative. Besser wird das strukturelle Problem jedoch nicht.

Bei dem Terminus einer gemeinsamen EU-Richtlinie bekommen in der Regel alle Mitgliedsstaaten, die das jeweilige Nachsehen haben, eine regelrechte mentale Diarrhöe, weil sie genau das manifestiert, was alle schmerzt: große Vorteile für wenige und Nachteile für viele, oder, wie in diesem Fall, die Verhinderung eines Vorteils für einzelne Mitglieder, aus Gründen, die nicht sachbezogen, sondern, auch wie in diesem Falle durch die USA, fremdbestimmt sind. Wer, so fragen sich immer mehr Menschen in Europa, braucht ein solches Konstrukt?

Und alle, die sich derartige Fragen stellen, sind von den Vertretern des Konstrukts als Europahasser ausgemacht. Schön, dass die neuzeitliche Inquisition so einfach zu funktionieren scheint.

Der große Showdown

Aber vielleicht hilft das jüngste Beispiel für despotischen Interventionismus eines bürokratischen Molochs, der immer auch sehr dezidierte Interessen vertritt, noch einmal darüber nachzudenken, warum solche Entscheidungen wie der Brexit zustande gekommen sind. Wenn es sich nur um verirrte Populisten, Europahasser und ethische Schwerverbrecher handelt, dann sind wir bald so weit, ganze Völker zum Feindbild zu erheben.

Der Weg, den die Repräsentanten der EU eingeschlagen haben, führt unweigerlich zu immer größeren Verwerfungen. Man kann zu dem Schluss kommen, dass ein großer Showdown zwischen einer immer irrsinniger agierenden Bürokratie und den Völkern Europas bevorsteht. Rüde Beschimpfungen werden folgen.


Foto: rawpixel (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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