In Zeiten, in denen es hart auf hart geht, ist kein Raum für filigranes Ausdifferenzieren. Da wird polarisiert, um die Kräfte zu bündeln und da werden keine Ressourcen verschwendet, um Teilaspekte einer Sache zu würdigen.
So, wie beschrieben, befremdet die Situation im Vergleich zu dem, was wir momentan noch erleben. Denn da ist es Usus, das Abseitige exzessiv zu erwägen, alle möglichen Unwägbarkeiten aufzulisten und jedes Detail ins Zentrum der Betrachtung zu katapultieren.
Oft scheint es, als wäre alles recht, nur um sich nicht entscheiden und aktiv werden zu müssen. Böse Zungen nennen so etwas auch ein typisches Stadium von Dekadenz.
Versagen im praktischen Fall
Der Hang, die Debatte endlos zu führen und die mittlerweile gesellschaftsfähige Manie, alles auf noch größere Komplexität zu deklinieren kann aber auch, um einem menschlichen Urteil Zugang zu verschaffen, an der vorherrschenden Angst vor dem liegen, was da kommen wird. Denn, wenn auch unausgesprochen, einig sind sich viele, dass nichts bleiben wird, wie es war und dass die uns bevorstehenden Umbrüche eine für viele unbekannte Vehemenz mit sich bringen werden.
Da hilft es natürlich gar nichts, auf Zeit zu spielen. Diese Maxime hat bisher immer zu dem Effekt des bösen Erwachens geführt. Ebenfalls wenig vielversprechend wären nun theoretisch ausgerichtete Trockenübungen, in denen beim Café Latte über revolutionäre Programmatik konversiert wird, ohne die konkreten Bedingungen der real zu erwartenden Konfrontationslinien zu kennen.
In diesem Metier sind die Deutschen Meister, wenn nicht gar Weltmeister. Wie die Geschichte allerdings zeigt, folgt der Brillanz des theoretischen Diskurses das Versagen im praktischen Fall.
Versöhnung und Visionen
Ein hierzulande neuer, allerdings in anderen Regionen dieser Welt durchaus praktizierter Weg ist die Vergewisserung der Bündnispartner. Dabei geht es darum, Ausschau nach denen zu halten, deren Interessenlage ähnlich ist und denen man mit Sympathien begegnet.
Auch mit ihnen existieren Meinungsverschiedenheiten, die jedoch bei den Erschütterungen, die bevorstehen, eher eine marginale Rolle spielen werden. Also wäre es mehr als sinnvoll, diese zu überwinden und den Grundkonsens in den Vordergrund zu stellen.
Es geht um Versöhnung. Die Geschichte ist sehr beredt, wenn es darum geht, was geschehen muss, um in den Epochen großer Veränderungen erfolgreich zu sein. Ganz nach Darwin geht es da um die Fähigkeit der Anpassung, des sich Einstellens auf die neuen Verhältnisse. Es geht um Visionen, die die Strategie des Handelns bestimmen und es geht um Allianzen.
Ohne Anpassung droht das Aussterben, ohne Strategie steht die Restauration des Alten unmittelbar bevor und ohne Allianz wird es keinen Machtwechsel geben.
Anpassung, Strategien, Allianzen
Es geht also um drei Aspekte. Den der Anpassung kann nur jedes einzelne Glied für sich betreiben, den der Strategie kann man nur im Prozess und nicht in einem vorgeschalteten Diskurs entscheiden und den der Allianz muss man jetzt und direkt angehen.
Machen wir die Augen auf, besinnen wir uns unserer Koalitionspartner, wo immer sie auch sind. Gehen wir auf sie zu und versichern wir ihnen, dass wir gemeinsam etwas bewirken wollen. Allianzen leben von Intensität und Dauer. Da gilt es, keine Zeit zu vergeuden.
Foto: Alex Holyoake (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.