Er war Aufsteiger und Absteiger. Er hatte es weit gebracht und lag zwischendurch in Ketten. Er bewunderte die Brutalität der Macht und er spürte ihre Willkür. Er war Kriegsherr und Diplomat, Emissär und Vermittler. Er fungierte als Spion und trat ein für Transparenz.
Machiavelli und die Macht
Die vielen Rollen, die er zu spielen hatte, oder besser gesagt, die vielen Rollen, die er gewillt war zu spielen, trugen nicht dazu bei, dass er unumstritten war. Seine Identität blieb über seinen Tod hinaus eine schillernde.
Kaum jemand repräsentiert die Wirren der europäischen Kleinstaaterei besser als er, kaum jemand hat die Widersprüche seiner Zeit besser begriffen und dargestellt als er. Letztendlich wurde er ein Opfer der postmortalen Kolportage. Das, was er der Welt hinterließ, wurde verkürzt auf einen kleinen, aber wichtigen Aspekt.
Die große Fülle seines Lebens ist bis zum heutigen Tage reduziert auf eine Art von Skrupellosigkeit der Macht und mit seinem Namen ausgeschmückt. Das Schicksal seines Rufes untermauert ein ehernes Gesetz der Geschichte: Wer nicht zu den Siegern gehört, wird in der Ewigkeit verunglimpft.
Niccolò Machiavelli entstammte einfachen, jedoch keinen armen Verhältnissen und hatte für seine Zeit, wir sprechen von der Zeitspanne zwischen 1469 und 1527, das Privileg, die Bildung zu genießen, die ihm den Zugang zum Staatsdienst gewährte.
Als Außenminister des Stadtstaates Florenz, als der nahezu 15 Jahre fungierte, hatte er Kontakt zu den Mächtigen Europas, er verkehrte in den Königshäusern Frankreichs, Spaniens und Deutschlands wie beim Papst im Rom, er kannte die Borgias wie die Medicis.
Der Zweck heiligt die Mittel
Seine Erfahrungen schrieb er nieder, vor allem in den unschätzbaren Werken „Der Fürst“ wie den „Discorsi“. Während er im ersten die praktischen Notwendigkeiten säkularer Herrschaft nachzeichnete und nicht, wie später immer wieder unterstellt, forderte, formte er das Logbuch der Macht per se.
Seiner Feder entstammt der Begriff der Staatsräson, der Aktion der Macht, die ihren Bestand bei Missachtung der Staatsdoktrin opfert. Das hat er gesehen, bei den Borgias wie bei den Medici, und das ist das, was im Volke hängen bleib mit dem Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“.
In den „Discorsi“ wurde er zum Normativen, da entpuppte er sich als Vertreter eines gerechten Staates, den er lieber reich sah als seine Bürger, den er sich frei von Korruption und Patronage ersehnte und den er nur gelingen sah, wenn die die öffentlichen Ämter bekleideten, die ihrerseits sich verdient gemacht hatten um das Gemeinwesen.
Die Idee des Begriffs der Meritokratie [1], der zweieinhalb Jahrhunderte später in der Französischen Revolution wieder aufgegriffen wurde, lag also in den Werken dessen, der so schmählich rezipiert wurde von einer Nachwelt, die es mit den Siegern hält.
Die Kunst des Krieges
Als er abseits vom urbanen Trubel der Stadt Florenz auf einem bescheidenen Hof vor den Toren der Stadt sein Leben, das man später als schillernde Karriere bezeichnen sollte, Revue passieren ließ, entstanden noch Werke wie „Die Kunst des Krieges“ [2] und die „Geschichte Florenz“, in denen er wieder unter Beweis stellte, dass er ein glänzender Beobachter wie ein scharfer Analytiker war.
Seine beiden Hauptwerke, sowohl Der Fürst als auch die Discorsi, seien wegen ihrer brennenden Aktualität unbedingt zur Lektüre empfohlen.
Quellen und Anmerkungen
[1] Meritokratie ist eine Herrschaftsordnung, bei der die Amtsträger aufgrund einer sogenannten oder als solcher definierten „Leistung” bzw. „besonderer Verdienste” ausgewählt werden. Im Idealfall nimmt jedes Mitglied der Gesellschaft eine „verdiente” Position ein. ↩
[2] Über die Kunst des Krieges (Dell’arte della guerra), entstanden zwischen 1519 und 1520 ist eine Abhandlung von Niccolò Machiavelli über Taktik, Strategie, Politik und hauptsächlich das Militärwesen. Im Gegensatz zu Werken wie Der Fürst oder den Discorsi ist die Kunst des Krieges eines der weniger gelesenen Werke. Machiavelli selbst hielt sie für seine wichtigste Arbeit. Ein Werk mit dem Titel Die Kunst des Krieges (engl.: The Art of War) verfasste der chinesische General, Militärstratege und Philosoph Sunzi (544 v. Chr. bis 496 v. Chr.). Es gilt als frühestes Buch über Strategie und ist bis in die Gegenwart eines der bedeutendsten Werke zu diesem Thema. ↩
Foto: Bernard Hermant (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.