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Meinung

Lebensmut speist sich aus Zukunft

Eine Gesellschaft, die sich nicht mehr mit der Zukunft befasst, hat den Lebensmut verloren.

Es kursieren immer wieder dieselben Geschichten über die Atmosphäre, die herrschte, wenn Systeme untergingen. Sehr anschaulich sind die, die erzählt werden von den letzten Zügen des Deutschen Kaiserreiches.

Der Prinz von Baden

Da ist vielleicht der letzte, unwissende Spott des deutschen Kaisers zu erwähnen, der angesichts des bereits mit den illoyalen Kräften operierenden Cousins, dem Prinz Max von Baden [1], lediglich vom Bade-Max sprach und sich wiehernd auf die Schenkel schlug.

Das sogenannte Dritte Reich war von Anfang an so dekadent, dass es sich kaum noch steigern konnte, zumal der totale Krieg die situative Pestilenz gar nicht mehr so zum Zuge kommen ließ. Vielleicht beeindruckte da noch die Haltung von Goebbels Frau, die im Moment des Untergangs, zusammen mit ihren Kindern in feierlicher Stimmung bei Mann und Führer sein wollte. Das war heroisch, so eindimensional borniert Heroismus eben auch sein kann.

Und dann gibt es noch die Geschichten aus der DDR, besser gesagt, den wiederum letzten Tagen, die dadurch geprägt waren, dass niemand mehr die Initiative ergriff, auch wenn die Optionen naheliegend waren. Da saßen Arbeiter in einer defekten Straßenbahn, morgens um Fünf, und warteten zwei Stunden auf den Reparaturdienst, obwohl sie hätten nur noch aussteigen und die letzten hundert Meter zum Werkstor gehen müssen.

Oder, um noch einmal auf ein richtig großes Ereignis zurückzublicken, da ging der letzte König Frankreichs, dessen gesalbtes Haupt kurze Zeit später abgetrennt in einem Weidenkorb landete, morgens auf die Jagd. Am selben Tag erstürmten drüben in der Stadt Paris die aufgebrachten Massen die Bastille. Und was schrieb der Unglückselige abends in sein Tagebuch? „Nichts“ [2].

Abfalltonnen und Trüffel

Wenn das Profane so ausgeprägt ist, dass das Große, womit eine fortschreitende Gesellschaft die Zukunft assoziiert, keinen Platz mehr hat, dann gewinnen Phänomene wie die erwähnten überhand. Zu beobachten ist dann auch, dass der Missmut vieler wächst – erst heimlich, still und leise, später anwachsend grollend. Und auf der anderen Seite flüchten immer mehr Menschen in Spezialwelten, die nicht selten ein gehöriges Aroma von Dekadenz versprühen.

Während die einen in den Abfalltonnen wühlen, um ihr Leben zu bereichern, legen die anderen Tausende von Euro auf den Tisch, um für eine Mahlzeit Trüffel zu kaufen oder ein erlesenes Fläschchen Wein dazu zu trinken. Nicht, dass das nicht etwas Feines sein kann! Es fällt nur auf, dass das Auseinanderdriften der Existenzen etwas von der Agenda streicht, das jede Gesellschaft braucht: den Konsens.

Lebensmut und Zukunft

Aus Zukunft und ihrer Perspektive speist sich Lebensmut. Folglich ist es naheliegend, dass eine Gesellschaft, die sich nicht mehr mit der Zukunft befasst, den Lebensmut verloren hat.

Die Spezialität einer solchen Gesellschaft ist es, auf der einen Seite die Stimmung derer zu nähren, die sich nichts mehr wünschen, als in einem finalen gewalttätigen Bacchanal [3] mit allem abrechnen zu wollen, was den vorhandenen Verdruss genährt hat. Auf der anderen Seite wächst die Anzahl derer, die auf eine letzte, große Befriedigung hoffen, bevor alles verloren geht. Es handelt sich in diesem Falle um die Gier vor dem endgültigen Absturz.

Wem das im aktuellen Zeitgeschehen in irgendeiner Weise bekannt vorkommt, der ist was? Ein Defätist oder ein Zyniker? Lebt er oder sie überhaupt noch?


Quellen und Anmerkungen

[1] Prinz Maximilian Alexander Friedrich Wilhelm von Baden (1867-1929), war als Prinz von Baden der letzte Thronfolger des Großherzogtums Baden. Von Oktober bis November 1918 war er unter Kaiser Wilhelm II. der letzte Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs. Eigenmächtig verkündete er am 9. November 1918, dass der Kaiser abgedankt habe und übergab sein Amt Friedrich Ebert, dem Führer der Sozialdemokraten.

[2] Am 14. Juli 1789 ereignete sich der sogenannte Sturm auf die Bastille, einem Symbol für die Französische Revolution. Eine wirkliche Erstürmung der Befestigungsanlage hat es aber nicht gegeben, auch wenn das Ereignis teilweise sogar als Beginn der Revolution interpretiert wird. Der Kommandant der Festung, Bernard-René Jordan de Launay, war der Aufforderung zur Übergabe nachgekommen. Vorher hatte er auf die Menschen, die sich vor der Bastille versammelt hatten, schießen lassen. Trotz Zusicherung des freien Geleits, das ihn zur Übergabe der Bastille veranlasste, wurde de Launay wegen seines Schießbefehls ermordet. Frankreichs Herrscher, König Ludwig XVI., notierte am 14. Juli 1789 in seinem Tagebuch, in dem er üblicherweise vermerkte, welche Jagdbeute er gemacht hatte, das Wort “Nichts”. Denn an diesem Tag fand keine Jagd statt.

[3] Das Wort Bacchanal steht für ein ungezügeltes, ausschweifendes Fest, ein Besäufnis oder Trinkgelage. Sein Ursprung findet sich in der griechisch-römischen Mythologie. Baccus war der Gott des Weines und des Rausches.


Foto: Nghia Le (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Lebensmut speist sich aus Zukunft“

“Majestät, gengas hoam, Revolution is!” sollen Arbeiter dem letzten bayrischen König Ludwig III. beim Spaziergang im Englischen Garten zugerufen haben … denn in den Tagen vorher hatte Kurt Eisner schon mit großen Treffen auf der “Theresienwiese” und tausenden Arbeiter*Innen, Bauernführern und Soldaten gesprochen und bemerkt, dass die Soldaten den alten König, der den Krieg widerspruchslos mit getragen hatte, nicht mehr verteidigen würden.

Heute sind wir weiter von der Zukunft entfernt:
Damals hatte der königliche Sozialdemokrat Erhard Auer, mit dem späteren burschenschaftlichen Eisner-Mörder befreundet, den Ministerrat noch beruhigt, er werde sich an die Spitze der Demonstration setzen und sie dann auflösen.

Aber Kurt Eisner, Carl und Ludwig Gandorfer und Erich wie Zenzl Mühsam und alle von der USP -der Unabhängigen Sozialisten, gingen zu den Kasernen, während sich die abhängigen Sozialdemokraten am Friedensengel auflösten und nach Hause gingen, erst in der Zeitung die Proklamation des Freistaat Bayern lasen.

Zukunftswerkstatt nennt auch google jetzt seine Workshops:
Robert Jungk hatte mit Kolleg*Innen schon in den 1980er Jahren sein Konzept der drei-gliedrigen Zukunftswerkstatt als neue demokratische Austausch- und Forschungs-Gruppe entworfen, um neue Entwicklungen gemeinschaftlich zu verankern. Die dritte Phase, die Strategie und ihre Verwirklichung braucht meist noch etwas Begleitung, eine Werkstatt eine einfühlsame Moderation, die aber in allen Regionen zu finden ist.

Eine Jahres-Tagung der Moderierenden:
Grundlegende Themen und Reflexionen kommen in einem Treffen der deutsch-sprachigen Regionen in jeweils einer anderen Himmelsrichtung zum Austausch: Letztes Jahr im Burgenland zu Frieden und Ungarn, davor in der Lausitz mit Geflüchteten in der Umbau-Region, jetzt 28.4. bis 1.5.19 in Frankfurt und Bad Homburg zu Geld und GemeinSinn: http://zw2019.zwverein.de/

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