Was für eine filmische Ahnengalerie. Zunächst Thomas Mann, dann die Buddenbrooks und schließlich Albert Speer bearbeitete der Regisseur Heinrich Breloer [1], bevor er sich Bertolt Brecht vornahm. Die Reihenfolge sollte nicht überbewertet werden, sicher ist nur, dass eine filmdokumentarische Bearbeitung dieses Menschen sicherlich zu dem Schwierigsten gehört, was man sich vornehmen kann.
Einfach Brecht
Der Architekt eines neuen Theaters der Moderne war sein ganzes Leben auf der Probe. Er skizzierte Szenen, spielte sie oder ließ sie spielen, verwarf sie, baute sie ein, betrachtete ihre Wirkung auf das große Ganze, spielte mit dem Mittel der Verfremdung, und machte immer wieder deutlich, dass er nur spielt. Wer da nicht bei dem eingeübten Rezeptionsverhalten das alle kannten, in Verwirrung geriet, der hatte Brecht nicht verstanden. Denn er wollte verwirren, um zum Denken anzustiften.
In dem vorliegenden Drama, das treffend nur den Titel Brecht trägt, versucht es Breloer mit einer ähnlichen Technik, die der Verfilmung nur gut tut. Er macht es szenisch, mal mit Schauspielern, mal mit Zeitzeugen, mal mit Dokumenten.
Das Leben des Dramatikers beginnt und endet als Mosaik. Vieles passt zusammen, manches eben auch nicht. Wie sollte es auch anders sein, bei einem Menschen, dessen Denken geprägt war von der hohen Kunst der Dialektik, der die Widersprüche tanzen ließ, ob sie sich nun aufeinander in ihrer Erklärung bezogen oder auch nicht.
Die Radikalität von Brecht
Es ist immer hilfreich, das Produkt von seiner Wirkung zu begutachten. Breloers Verfilmung hinterlässt einen Bertolt Brecht, dessen Denken sehr gut getroffen ist, dessen Courage und Verwegenheit deutlich wird und dessen brutal wirkende Zerbrechlichkeit zunächst anders wirkt, aber sich letztendlich durchsetzt.
Seine Beziehung zu Frauen erweist sich als ein Szenario der eigenen Abhängigkeit von ihnen, ihrer Nützlichkeit in seinem Schaffen und seiner Schnoddrigkeit, mit der er ihr Engagement akzeptierte.
Das Wesentliche ist die gelungene Transparenz der bis heute für viele schwer verständlichen Theatertheorie. Das hat weniger mit dieser selbst als mit der herrschenden Ideologie zu tun, welche menschliches Handeln immer noch als ein intrinsisch geleitetes, von Glück oder Unglück begleitetes darstellt.
Brecht sah das menschliche Sein als das Produkt der Verhältnisse. Darin war er radikal. Er ging davon aus, dass das Theater ihnen, wenn sie das Publikum bildeten, deutlich machen musste, dass sie die verschiedenen, ihnen nur allzu bekannten Verhaltensmuster wiedererkannten und sich über ihre Verhältnismäßigkeit Gedanken machen sollten. Am Schluss stand immer der Bruch mit der Konvention, die Revolution, das Neue.
Auf Augenhöhe mit Helene
Brecht, der nach dem Exil in die DDR ging, bekam schließlich sein Theater, und er bezahlte dafür mit einem Balanceakt zwischen Parteibürokratie und seinen Einsichten. Sicherlich wäre es zum Bruch gekommen, wäre er nicht vorher gestorben.
Helene Weigel [2], die Mutter Courage an seiner Seite, starb fünfzehn Jahre später und erklärte als ihren Letzten Willen, zu seinen Füßen begraben zu werden. Diesen Wunsch erfüllte ihr das Regime nicht. Sie legten sie neben ihn, auf Augenhöhe.
Wer etwas von der Komplexität des Autors und Dramatikers erspüren will, der schaue sich dieses Filmprojekt an.
Quellen und Anmerkungen
[1] Heinrich Breloer (Jahrgang 1942) ist ein deutscher Autor und Filmregisseur. Er konzipierte das Genre Doku-Drama und behandelt in einer Verbindung von Spielfilm und Dokumentarfilm vor allem Themen zur neueren deutschen Geschichte. 1978 erschien mit “Bi und Bidi in Augsburg” ein Dokumentarfilm über den jungen Bertolt Brecht. 2019 erschien der Film “Brecht”, der das Leben und Wirken des Dramatikers und Lyrikers Bertolt Brecht behandelt. Heinrich Breloer schrieb das Drehbuch und führte Regie. Die Premiere fand auf der Berlinale statt. ↩
[2] Helene Weigel (1900-1971) war eine österreichisch-deutsche Schauspielerin und Intendantin des Berliner Ensembles. ↩
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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Brecht – Der Film“
Ich kann das Lob nicht bestätigen. Dass der Film mindestens 50% der Spieldauer den Befindlichkeiten der Brecht-Gespielinnen widmet, mag dem allgemeinen Publikumsinteresse geschuldet sein, aber es lässt die “Komplexität des Autors und Dramatikers”, die Sie hier ansprechen, viel zu kurz kommen.