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Rezension

Cobweb – Nervengift aus Iowa

Dass Neal Stephenson [1] erzählen kann, hat er bereits in vielen seiner Schriften bewiesen. Seine extravagantesten Romane zeichneten sich durch einen Parforceritt [2] durch die Epochen aus. Nichts ist dem Zufall überlassen und alles ist Zufall. Geschichte wird dabei zu einem Phänomen, das durch die Zeiten gewebt wird und dennoch absurde Sprünge zulässt.

Cobweb

In dem Roman Cobweb, so scheint es, ist alles anders. Dort geht es nicht um die Wiege der Aufklärung oder die Geburtsstunde des Kolonialismus, sondern um aktuelle amerikanische Zeitgeschichte, die Stephenson bewegt zu haben scheint.

Es geht um die Zeit, als der Erste von den beiden Bush-Präsidenten im Amt war und ein irakischer Herrscher namens Saddam Hussein die Chuzpe [3] besaß, in Kuwait einzumarschieren. Bush war gewillt, den Krieg gegen den Irak auszurufen, folgte jedoch noch früh genug klugen Beratern, die ihn davon abhielten. Doch der Schock saß tief in der amerikanischen Gesellschaft und die Enttäuschung über das Wendemanöver eines amerikanischen Verbündeten war groß.

Stephenson entwickelt in dem Roman mehrere Perspektiven, aus denen er dann auch die Geschichte erzählt. Da ist ein Provinzsheriff in Iowa, letztendlich der Held der Geschichte, der über einige Absonderlichkeiten an der dortigen Universität stolpert und irgendwie den Verdacht nicht los wird, dass Auslandsstudenten mit jordanischen Pässen da an etwas arbeiten, was nicht ganz geheuer ist.

Dort ist eine junge Frau in der CIA, der auffällt, dass Agrarsubventionen für den Irak nicht als solche verwendet werden, sondern etwas anderes damit geschieht. Da ist selbstverständlich einer der großen Player der CIA, der exzellente Beziehungen zur irakischen Counter Intelligence [4] unterhält. Und da ist noch ein Gegenspieler, dessen Karriere hinter ihm zu liegen scheint und der aber letztendlich in der Lage ist, den politischen Fehler wettzumachen.

Historische Dimension

Dies alles ist mit der Stephenson eigenen Dynamik erzählt. Interessant für diejenigen, die nichts von Geschichtsbüchern halten. Es geht um die Situation 1990/91, als es zum ersten Mal hieß, der Irak besitze chemische Waffen und er sei bereit, diese auch einzusetzen.

Mehr als 10 Jahre später erwies sich diese Behauptung als Fake News, führte aber dann doch zum durch den zweiten Bush ausgerufenen Krieg. Was Stephenson ohne erhobenen Zeigefinger gelingt, ist die Plausibilität einer höllischen Form der Diplomatie auf amerikanischem Boden darzulegen.

Ausgehend von einer politischen Fehleinschätzung wird nämlich geduldet, dass irakische Studenten auf amerikanischem Boden an chemischen Substanzen arbeiten, die zu kriegerischen Zwecken eingesetzt werden können.

Kleiner Spoiler!

Im Plot wird eine Katastrophe verhindert, im realen Leben ist das noch Gefährlichere – als die reale Existenz bestimmter Waffen – das Spiel mit den Möglichkeiten und die teils irren Einschätzungen über mögliche Bündnispartner.

Dabei handelt es sich um eine Frage, die nicht nur die USA, sondern den ganzen sogenannten Westen beschäftigen sollte: Welche Partner sind geeignet, um die Interessen durchzusetzen?

Was Stephenson gelingt, ist die Darstellung, dass es Sandkastenspiele sind, die zu dem Unfug führen. Denken wir an die Geschichte: Taliban, Al-Qaida und der IS sollten noch folgen.


Quellen und Anmerkungen

[1] Neal Town Stephenson (Jahrgang 1959) ist Schriftsteller. In seinen Science-Fiction-Romanen spiegeln sich seine Experimente mit neuen Medien wie virtueller Realität und dem World Wide Web wider. Stephenson gilt als ein Vertreter des Cyberpunk. Auf sein Werk Snow Crash geht der Begriff Avatar zurück, der für animierte Profile steht. Stephenson wurde mehrfach ausgezeichnet. 2016 erhielt er zum Beispiel den Prometheus Award für den Roman Seveneves. Die Novelle Cobweb verfasste Stephenson 1996 zusammen mit J. Frederick George, einem Pseudonym für Stephensons Onkel, dem Historiker George Jewsbury.

[2] Ein Par­force­ritt ist eine mit großer Anstrengung und unter Anspannung aller Kräfte bewältigte Leistung.

[3] Chuzpe steht als Begriff für Frechheit, Anmaßung, Dreistigkeit, oder Unverschämtheit.

[4] Counter Intelligence ist die englische Bezeichnung für eine Form der Spionageabwehr, deren Tätigkeit darauf abzielt, das Nachrichtenprogramm einer Behörde oder eines Staates vor dem Nachrichten- bzw. dem Spionagedienst einer Opposition zu schützen.


Foto: Viktor Juric (Unsplashcom)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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