Nun hat es eine Meldung in die Tagesschau gebracht, die zeigt, dass der Grad der Verblendung eine Dimension erreicht hat, die nahelegt, keinen Diskurs mehr mit der Branche des Journalismus zu führen. Was es mit den Branchen auf sich hat, dazu später mehr.
RTL als Bollwerk der Presse
Die Meldung selbst bezieht sich auf eine von dem Grünen Europaabgeordneten Sven Giegold in Auftrag gegebene Studie über die Medienlandschaft in Ungarn. Das Ergebnis lautet, dass 78 Prozent der ungarischen Medien regierungsnah sind.
Es empfiehlt sich, zumindest den Tagesschaubericht [1] dazu zu lesen, denn dort kommen bemerkenswerte Aussagen vor, zum Beispiel die, dass RTL in Ungarn die letzte Bastion des freien Journalismus sei.
Aus hiesiger Sicht klingt das wie ein schlechter Scherz, sieht man sich allerdings Veranstaltungen wie bestimmte Ausgaben der Bundespressekonferenz an, dann ist RTL vielleicht doch nicht so schlecht.
Ein Testat der Propaganda
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Gleichschaltung von Medien durch die jeweilige Regierung ist ein verurteilungswürdiges wie durchschaubares Manöver. Wer die großen Kommunikationsmedien in Händen hält, kann Meinung machen und das eigene Handeln als vorteilhaft verkaufen. Das gilt auch für Ungarn. Und es gilt ebenso für die Bundesrepublik Deutschland.
Man stelle sich vor, eine unabhängige Kommission würde beauftragt, die Entwicklung der Medienlandschaft der Bundesrepublik zu untersuchen. Zu welchem Ergebnis käme sie wohl?
Vor allem die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien würde, und da hegt bis auf die dort unter Vertrag stehenden Journalisten niemand einen Zweifel, als durchweg regierungsnah eingestuft. Und man stelle sich vor, ein Sender wie der Deutschlandfunk würde analysiert. Es ist nicht übertrieben, dass er das Testat der Regierungspropaganda einheimsen würde.
Das Gefühl einer freien Presse
Der Mechanismus, den die Meldung über die schrecklichen Verhältnisse in Ungarn auslösen soll, ist wohl kalkuliert. Bei den Empfängern soll zunächst der Impuls der Empörung gegen die ungarische Regierung ausgelöst werden. Das sichert Rückhalt im weiteren Regierungshandeln gegen Ungarn. Des Weiteren soll ein Gefühl der Erleichterung darüber entstehen, dass wir hier im Land, in dem wir gerne leben wollen, Gott sei Dank eine freie und kritische Presse haben.
Die Doublette von Empörung und Erleichterung entpuppt sich als das Standardrezept bei der Manufaktur des Gefühls der moralischen Überlegenheit. Wer erst einmal in diesen Zustand katapultiert wurde, der wird sehr stark dazu tendieren, so manches ansonsten weniger Tolerierbare mitzutragen.
Wir sind nicht mehr die Benachteiligten, die aus Ressentiment sich das zurückholen, was uns zusteht, nein, wir sind die Guten, die die Welt eines Besseren belehren und ihr helfen, auf den richtigen Weg zu kommen.
In einer multipolaren Welt, die zu leugnen nur noch die Falken in Washington und ihr europäisches Lebendfutter in der Lage sind, ist die beschriebene Haltung das sichere Pfand für weitere Isolation.
Die Verlierer
Das Gefühl, selbst gut und den anderen überlegen zu sein, führt immer, und in der gegenwärtigen Weltlage zu nichts Gutem. Dass das nicht identifiziert wird, dafür sorgt ein Journalismus, der einer immer weniger zurechnungsfähigen Regierung folgt.
Vielleicht hilft es, nicht mehr von der Regierung hier und anderen Phänomenen wie Journalismus dort zu sprechen, sondern von den verschiedenen Branchen von Governance: Administration, Journalismus, Entertainment, Wirtschaft, Militär!?
Da geht es dann nicht mehr nur um Pressefreiheit Ja oder Nein, sondern um ein Konglomerat der Akteure, die nach einem koordinierten Plan operieren, der dazu führt, dass diejenigen, die sich immer mal wieder gut und überlegen fühlen, letztendlich zu den Verlierern zählen.
Quellen und Anmerkungen
[1] Tagesschau (03.05.2019): RTL als letzte Bastion unabhängiger Medien. Auf http://www.tagesschau.de/investigativ/ungarn-studie-medien-101.html (abgerufen am 03.05.2019). ↩
Foto: Abhijith S Nair (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Presse und Freiheit: Die Manufaktur der moralischen Überlegenheit“
“die EU hat gut zu sein” so lautet das matra! und orban ist eu-kritiker.
dabei spielt überhaupt keine rolle, dass es KEIN land der welt gibt, in dem NICHTS kritikwürdiges existiert. KEIN EINZIGES.
aus diesen faktischen umständen heraus, ist es sehrsehr billig, andere länder/regierungen/oppositionsgruppen zu be- und verurteilen und im eigenen land (verantwortungsbereich) dies als “staatsgefährdend” zu unterlassen.
DAS ist klare regierungspresse, dem ein kampagnencharakter gegen einige personen (z.b. wulff) entgegen zu stehen scheint. wirkmächtig ist jedoch – wie so oft – die verhältnismäßigkeit, die mir persönlich – speziell in deutschland – völlig aus dem ruder gelaufen ist. (und letztendlich zur polarisierung in allen gesellschaftlichen bereichen beiträgt – so als wäre DIES das wahre anliegen: teile und herrsche – eskalation statt versöhnung/verständnis und entspannung)
… “es” bröckelt in d, der eu und weltweit … dabei wäre “es” das sinnvolle, gesunde und frohe leben an sich – doch wo kommt “es” noch vor??? es ist leider fast nur noch im widerstand gegen die politische agenda in ganz kleinen (aber zahlreich geforderten) bereichen anzudenken … die verantwortung der politisch verantwortlichen scheint nur noch lobbyisten zu gelten … und die “einfachen” menschen haben keine lobby, die ihre ureigendsten interessen vertreten = JENSEITS von militär- und finanzindustrie … ja selbst die kunst und kultur wird nun nach den (“geförderten”) medien immer stärker instrumentalisiert – durch die politik – die das geld “verteilt” bzw. entzieht … und “preise” verteilt … also pr-arbeit für ihre interessen betreibt … ohne sich wirklich dafür zu interessieren WAS DENN die interessen der mehrheit ihrer bürger sind …
… so wird “es” nicht mehr ewig weitergehen … das ist jedoch ganz klar, auch wenn wir gerade ein niemals wieder vorstellbares rollback erleben, dessen lächerlichkeit und peinlichkeit immer mehr an ihre grenzen der unerträglichkeit kommt = ein absolutes auslaufmodell, welches eigentlich keinerlei beachtung verdienen würde … sondern energie für die investition in alternativen, die aus der geschichte ihre lehren gezogen hat und NICHT die miesesten tricks und methoden aus ihr kopiert und zeitgemäß einkleidet
Freie Presse, was ist das? Auch nichtregierungsnahe, kritische Medien sind nur eine Gegendarstellung des Status Quo, innerhalb der Denkschablonen. Was für ein Aufschrei, wenn nicht nur das System, sondern auch unser Lebensmodell, der Mensch an sich ad absurdum überführt werden würde?
Milliarden programmierte Simulationen, die sich für unabhängig halten in ihrem Schalten und Walten, aber nur fähig sind einen begrenzten Teil der Wirklichkeit wahrzunehmen und ihr Dasein im „goldenen Käfig“ verbringen.
Hineingeboren in eine künstliche Welt, in der von Anfang an die Konditionierungen und Manipulationen mit in die Wiege gelegt worden sind. Und mit diesen Programmierungen filtern wir die Welt, unsere Wahrnehmungen und sprechen von Freiheit.
Die unfreie Presse ist Produkt und Spiegelbild einer unfreien Gesellschaft. Denn beide können nicht frei sein, sondern nur funktionieren innerhalb selbst vorgegebener Parameter.
Sich daraus zu befreien würde das System sofort zerstören. Da die Masse nicht nur physikalisch träge ist, ist es einfacher die Freiheit (den Einzelnen) zu bekämpfen um das System zu erhalten.
Aber darüber wird keine Zeitung mehr schreiben (wollen) und irgendwann wird selbst die Erkenntnis darüber im Smartphone verblassen. ;-)