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Frankreich: Das Schweigen am 8. Mai

Der Aufwand, der betrieben wird, um das Lied eines geeinigten Europas zu singen, ist immens. Dabei zeigt sich der Verfall der Idee: Frankreichs Präsident steht am 8. Mai ohne Volk auf der Straße.

Das nimmt jetzt alles Formen an, die auf dramatische Entwicklungen hindeuten. Da fährt ein französischer Staatspräsident, eskortiert von Schutztruppen, durch menschenleere Champs-Élysées und feiert den 8. Mai, den Tag der Befreiung und das Ende des Zweiten Weltkrieges, mit sich alleine.

“Weiter so!” und “Mehr davon!”

Der 8. Mai ist einer der Anlässe in der jüngeren französischen Geschichte, zu denen große Einigkeit über die französische Identität bestand. Nicht so jetzt.

Tausende bis an die Zähne bewaffnete militärische Sondereinheiten und Polizisten schirmten das Zentrum von Paris ab vor dem, so wie es heißt, gewaltbereiten Mob der Gelbwesten. Und wenn – so diejenigen, die doch noch den Mut haben, über das zu berichten, was sie tatsächlich sehen und hören – Menschen in die Hörweite des Präsidenten vordringen konnten, dann riefen sie, er solle zurücktreten.

Hierzulande, östlich des Rheins, wurde über die gespenstische Kulisse nichts berichtet.

Es passt nicht in das Bild, das kurz vor den Europawahlen noch gezeichnet werden soll, nämlich, dass die Welt so in Ordnung ist und das Credo der Regierungsparteien von dem „Weiter so!“ und „Mehr davon!“ mehrheitsfähig bleiben soll.

Macrons Krieg

Der Aufwand, der betrieben wird, um das hohe Lied eines geeinigten Europas zu singen, ist immens. Und das Bestreben, alles auszublenden, was diesem Bild widerspricht, ebenso. Es wird lästig, zu wiederholen, dass das alles mit Pressefreiheit und kritischem Journalismus in den von Think Tanks durchtränkten öffentlich-rechtlichen Medien nichts mehr zu tun hat.

Ihr Handeln desavouiert den Gedanken der Demokratie ebenso wie die gepriesenen Akteure, allen voran der Franzose Emmanuel Macron, der einen Krieg gegen das eigene Volk angezettelt hat, den er verlieren wird.

Wenn die Argumente ausgehen, wird das Böse gesucht. Und so sind es nicht Versäumnisse im eigenen Handeln, sind es nicht die Schemata, mit denen über Jahrzehnte in Europa neue Märkte generiert wurden, deren Instabilität von den eigenen Steuerzahlern getragen wurde.

Es ist nicht eine dramatisch ungleiche Besteuerung in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU, es ist nicht der Regelungswahn für marginale, völlig irrelevante Standards, die jedoch ganze Branchen in Bedrängnis bringen und es ist nicht ein erbärmlich bürokratischer Geist, der stattdessen eine politische Vision erforderte. Nein, es sind die Europahasser von innen und außen, die das Leben so schwer machen.

Und ja, Juncker, der Arbeitersohn mit der großen moralischen Hypothek, hat es noch mal gesagt: Wenn er wissen wolle, warum wir Europa brauchen, dann sehe er sich Bilder aus dem großen Krieg an.

Der 8. Mai als Omen

Da hat er sicherlich einerseits Recht. Andererseits ist zu fragen, wer es zu verantworten hat, dass die EU so frei allen Verstandes agierte, als sie, wie im Falle der Ukraine, EU- und NATO-Mitgliedschaft miteinander als Bedingung verknüpfte?

Das war Kriegstreiben, und diesen Irrsinn kompensieren keine Bilder aus dem großen Krieg. Sie verdeutlichen vielmehr, wie absurd und unerträglich das Handeln derer geworden ist, die sich in diesen Tagen als die Treuhänder des europäischen Gedankens aufspielen.

Das Bild des französischen Präsidenten am 8. Mai ist das Omen, welches den Dekonstrukteuren einer europäischen Friedenspolitik wahrscheinlich den Schlaf raubt.

Den 8. Mai, das Ende des Zweiten Weltkrieges, der Sieg über den Faschismus und die vermeintliche Geburtsstunde des neuen europäischen Gedankens, verbringt der französische Präsident ohne Volk. Wer darüber nicht sprechen will, wer versucht das zu verschweigen, dem kann keine positive Zukunftsprognose mehr ausgestellt werden.


Foto: ev (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

3 Antworten auf „Frankreich: Das Schweigen am 8. Mai“

ich sehe “europa” als übertragene = verhinderte fehlgeburt, die idee war vielleicht gut, die ausführung dann allerdings völlig ungenügend = schulnote 6, und jetzt wird halt offenbar, dass die fehlgeburt “europa” unausgeschlüpft quasi “noch im mutterleib” zu verfaulen beginnt. gründe dafür viele, einerseits die unbelehrbarkeiten und krassen unfähigkeiten der politisch handelnden seit jahrzehnten, dann die verkommene “kaufmanns-mentalität”, zu der die europäische idee heruntergebrochen wurde, und auch der wesentliche punkt, dass es dem angedachten europa nie gelungen ist, der erpresserischen faust seiner schutzmacht USA zu entwachsen, siehe zb NATO und kriegstreibereien mit europäischen beteiligungen in aller welt als verlängerter instrumentalisierter arm der schutzmacht USA.
dazu kommt, dass sich im rahmen der globalisierung längst neue geopolitische und geowirtschaftliche machtzentren entwickelt haben, die “europa” richtung bedeutungslosigkeit schieben.
das scheitern der europäischen idee an den wirklichkeiten vielleicht ein beweis dafür, dass geschichte irreversibel abläuft, und vor allem auch ein lehrstück dafür, dass alte männer prinzipiell keine zukünfte gewinnen können, siehe den spruch “hast du einen politischen opa, schieb ihn ab nach europa = nach brüssel, nach strassburg, usw”
schlimm ist nur, dass wir als bevölkerungen dieser weltgegend die langsame fäulnis und den zerfall bis zum letzten mit zu erleiden und mit auszukosten haben werden …

EVG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft), EGKS (Europäische Gemeinschaft Kohle & Stahl), EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft), EG (Europäische Gemeinschaften Stahl, Kohle, Wirtschaft, Atomenergie), EU (Europäische Union).

70 Jahre Mont Pelerin Society, Anschluss von 451 Organisationen aus 95 Ländern mit 93 Denkfabriken. Das Ergebnis kann man heute betrachten, neoliberaler, militärischer Finanzfaschismus, weltweit. Auch die EU ist ein Produkt der Mont Pelerin Society.
https://lobbypedia.de/wiki/Mont_Pelerin_Society

Seit Beginn ging es immer nur um Wirtschaftsinteressen. Die (politischen)Kriege die Junker beweint werden nicht mehr untereinander (EU) sondern im NATO-Bündnis vor den Toren der EU ausgefochten und sind auch nur Wirtschaftskriege und keine humanitären, was ja schon ein Widerspruch in sich ist.

Es ging nie um das Volk, ausser als Konsumsklave, um die Profite zu generieren. Lidl, Walmart und Co weltweit mit Uncle Sam als Galionsfigur.

Es rumort in vielen Ländern. Das Volk beansprucht seine Souveränität, eine weltweite (nicht nur EU) Völkerverständigung ohne faule Handelsabkommen, politischen Kriegen und einer Sklavenhaltung, die nicht mal mehr zum Überleben reicht.
Und dagegen wird aufgerüstet, nicht nur mit einer EU-Armee.

Die Gedenken an ein Kriegsende (8. Mai 1945) werden natürlich militärisch begangen. Was für eine Farce!

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