Heinrich Heine [1] war nicht nur Lyriker. Neben dem Buch der Lieder, bis heute übrigens immer noch eines der weit verbreitetsten Bücher der Welt, schrieb er Prosatexte, die sich mit vielem befassten, aber zumeist mit Politik und die sie bestimmenden Motive. Das tat er zumeist nicht in direkter Art und Weise, sondern sehr subtil.
Französische Zustände
Wer sich heute, und das ist unbedingt zu empfehlen, seine Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ [2] vornimmt, wird etwas erleben, das es bereits seit langer Zeit nicht mehr gibt. Da wird sehr kenntnisreich der Bogen gespannt, wie sich die Entwicklung von den Mythen und der Religion bis zur klassischen Deutschen Philosophie und der Aufklärung vollzog.

Es handelt sich dabei jedoch um kein trockenes Werk, sondern es ist eine kraft- wie humorvolle Darstellung, die immer das Gefühl vermittelt, da steht einer am Rande des Geschehens, der zwar dazu gehört – und das auch nicht leugnet –, der aber gleichzeitig um andere Sichtweisen weiß und daher die Distanz zu allem bewahrt.
Geschrieben hat Heine dieses Werk übrigens für die französische Leserschaft, dem Land seines Exils. Er versuchte zu erklären, warum die Deutschen so denken und fühlen, wie sie es tun.
Ein anderer großer Wurf Heines war ein strikt journalistischer. Es handelte sich dieses Mal um eine Artikelreihe für die Augsburger Allgemeine Zeitung. Dort durfte der in Paris lebende und in Deutschland nahezu überall der Zensur unterliegende Heine noch publizieren. Er nannte die Serie „Französische Zustände“.
In einer sehr kurzweiligen Art schrieb er dort über das zeitgenössische Paris, über Mode, Kunst und den neuesten Klatsch. Was er damit jedoch transportierte, das waren Informationen über den Zeitgeist in Frankreich, über den Fortschritt und die Rückschläge der Revolution und über die Notwendigkeiten einer Politik, die die Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft zum Ziel hat. Den stumpfsinnigen Zensoren fiel das nicht auf, und so hatte die deutsche Leserschaft ein Bild Frankreichs erreicht, das fern der offiziellen Feindbilder lag.
Journalismus und Ressentiments
Warum diese Hommage? Ich habe die Texte, die aus den Abteilungen der Auslandskorrespondenz generell – und vor den Europawahlen besonders – auf den Markt kamen, auf mich wirken lassen. Zumeist wirkten sie oberflächlich, dann kam hinzu, dass sie das wiederholten, was die Regierung schon hatte verlautbaren lassen und, das war das Schlimmste, die urteilten.
Lagen die politischen Verhältnisse in den beobachteten Ländern anders, gab es andere Vorstellungen, wie man agieren müsse, dann wurde mit Zorn oder Herablassung darüber berichtet. Diese Texte, die von hoch bezahlten politischen Journalisten produziert werden, boten alles auf, um Ressentiments zu schüren, und sie vermittelten nichts, was hätte zum gegenseitigen Verständnis beitragen können. Genau das aber wird von diesem Journalismus reklamiert.
Und, um es kurz zu machen, mit der Armseligkeit des Ressentiments lässt sich nichts Konstruktives erreichen, dafür wird eines sicherlich gewährleistet: das Vertrauen ist dahin. Irreparabel!
Wie dringend und schön wäre es, Geschichten aus den Ländern zu hören, die anhand der einzelnen Erfahrungen und daraus resultierender Motive das erklärten, was die große Politik aus den Menschen macht. Warum ein Verwaltungsangestellter aus Nottingham im Brexit eine Alternative sieht, warum eine polnische Arbeiterin die jetzige Regierung wählt und warum ein niederländischer Designer sich entschieden hat, jetzt in der Sozialdemokratie sein Glück zu suchen. Und warum die portugiesische Schauspielerin, die nach der Streichung des kompletten Kulturetats im Rahmen der Sanierung der Staatsfinanzen jetzt an der Algarve als Bedienung arbeitet, nicht gut auf die Deutschen zu sprechen ist.
Aber das erfordert Empathie, nicht Ideologie.
Quellen und Anmerkungen
[1] Christian Johann Heinrich Heine (1797-1856) war einer der bedeutendsten deutschen Dichter, Schriftsteller und Journalisten des 19. Jahrhunderts. Im Deutschen Bund wurde er mit Publikationsverboten belegt. Heine verbrachte seine zweite Lebenshälfte im Pariser Exil. Über den Tod hinaus wurde er von Antisemiten und Nationalisten wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Haltung angefeindet. ↩
[2] “Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland” wurde von Heinrich Heine 1833/34 zur Zeit des Pariser Exils verfasst. Der Text wurde zunächst auf französisch veröffentlicht. Die deutsche Erstausgabe erfolgte 1834 in Der Salon (Zweiter Band). ↩
Fotos: Kelly Sikkema (Unsplash.com) und Titelblatt des Vorwärts! von 1844 mit dem Weberlied von Heinrich Heine (Uni Trier/Public Domain).
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.