Die gute Nachricht für alle, deren Nerven bei der Betrachtung der Geschehnisse im eigenen Land kurz vor einem ruinösen Breakdown stehen: Die Deutschen werden weder das Weltklima retten noch werden sie in der Lage sein, die Migrationsbewegungen in der Welt aufzuhalten. Das kann ein kleiner Fleck im Herzen Europas ohne militärische Macht nicht durchsetzen.
Die guten Willens sind
Natürlich könnte man den Eindruck gewinnen, dass es genau darum geht, wenn man die politischen Debatten im Land betrachtet. Da spielt sich ein Kollektiv zum Weltdoktor auf, ohne in der Lage zu sein, die beklagte Malaise zu ändern. Da stellt sich die kluge Frage: Was machen, wenn sich die komplette Öffentlichkeit in etwas verrannt hat?
Die Antwort liegt auf der Hand: Man kann zwar darauf hinweisen, es wird aber wohl nichts bringen. Die Enttäuschung darüber, dass der große Plan nicht gelingen wird, hat das zur Folge, was gescheiterte Kollektive immer zu bieten haben: Es werden Schuldige gesucht und gefunden werden.
Wie es sich in den ritualisierten Texten des Mainstreams gehört, sei auch hier, für alle, die guten Willens sind, von dieser Stelle aus wiederholt, dass beide Themen, die inflationär alles überschatten, tatsächlich von eminenter Wichtigkeit sind. Sowohl das Weltklima sollte allen am Herzen liegen als auch handelt es sich um ein Unrecht, wenn Menschen gegen ihren Willen ihre Heimat verlassen müssen. Damit hat es sich aber auch, denn beide Probleme haben Ursachen.
Und diese sind zumeist von denen mit in die Welt gebracht, die jetzt vorgeben, sie lösen zu wollen. Da kann – immer noch an die Zielgruppe derer, die guten Willens sind, nur appelliert –, doch irgendetwas nicht stimmen!
Spitze Nadeln
Bertolt Brecht, so glaube ich, mich zu erinnern, benutzte gern das Wort vom Einlullen. Was er damit meinte, das war das Versetzen des kritischen Bewusstseins in einen Zustand der Trunkenheit und Willenlosigkeit vermittels des Einsatzes vieler, mannigfaltig unscharfer Begriffe, mit denen Illusionen transportiert werden, die eines gemeinsam haben: Sie transportieren nicht die Wahrheit. Und Wahrheit ist das, wonach alle streben sollten, die gesellschaftliche Veränderung im Sinne haben.
Wer sich im Raum dessen, was am Ende eines erfolgreichen Prozesses des Einlullens steht, nämlich der Mystifikation [1], wiederfindet, der wird eher schnell als langsam desillusioniert. Gut geeignet, um sich an die nicht immer leichte Aufgabe der notwendigen Enthüllung zu machen, sind Fragen, die sich wie spitze Nadeln in die Ballons des Einlullens bohren.
Bleiben wir bei den beiden Themen, die alles überlagern und fangen mit dem Weltklima an: Sind diejenigen, die sich momentan an dem Thema zu profilieren suchen, glaubwürdig, wenn sie gleichzeitig kritischen Müll in andere Teile der Welt exportieren? Oder ist es glaubwürdig, wenn E-Autos als Alternative für den Verbrennungsmotor gepriesen werden, ohne deren Öko-Bilanz offenzulegen? Oder ist ihnen zu glauben, wenn sie die Subventionen, direkt wie indirekt, für die Automobil- und Flugindustrie bestehen lassen und gleichzeitig minimalistisch in andere Mobilitätssysteme investieren?
Mystifikation und Desillusion
Bei der Migration stellen sich ebenfalls Fragen, die das erreichte Profil derer, die momentan so sehr vom großen Unmut profitieren, bereits nach einer einzige Nachfrage beträchtlich ramponieren: Kann Migration durch die Befürwortung von Kriegen, die auf Ressourcensicherung oder Bestrafung für das Verletzen der eigenen Sichtweise befürwortet werden, gestoppt werden?
Und ist Migration per se überhaupt zu verhindern und auch zu wünschen? Ist der Status Quo einer unterstellten Immobilität das gesetzte Ziel?
Es handelt sich lediglich um eine kleine Übung, um die Brüchigkeit der Logik derer zu illustrieren, die momentan im Land der allgemeinen Weltverbesserung den großen Raum beanspruchen. Sie werden weder die benannten Probleme lösen, noch die Ursachen, auf denen sie basieren, in Angriff nehmen. Wenn Kapitalverwertung und Ressourcenverfügbarkeit mit keinem Wort erwähnt werden, befindet man sich bereits im gesicherten Raum der Mystifikation. Nach der großen Erwartung folgt die Desillusion. Dann wird es heftig!
Quellen und Anmerkungen
[1] Mystizismus ist eine abwertende Bezeichnung für unkritisches, schwärmerisches und religiös überhöhtes Verhalten. Nach Immanuel Kant bezeichnet der Ausdruck “mystisches Gebaren sowie Neigung zur Mystik beziehungsweise zum Mystischen”. Einer Sache oder einem Sachverhalt wird ein geheimnisvolles, undurchschaubares Gepräge geben. ↩
Foto: Verne Ho (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.