Bevor ich zu meinen beiden Schlusspunkten komme, möchte ich ein kurzes Fazit der Auswirkungen von Neoliberalismus und Marktradikalismus ziehen:
Im Neoliberalismus gilt um den Preis des eigenen Untergangs: Wettbewerb vor Mensch und Natur. Darum ist das aktuelle Wirtschafts- und Politikregime der „westlichen Werteordnung“ ein sicheres Crash-Programm.
Carl Amery schrieb bereits vor 15 Jahren sinngemäß: In Ihrem „Kampf bis zum Endsieg“ halten die „Neokannibalen der Deregulierung“ [1] an ihren paranoiden Wertevorstellungen ebenso fest wie an einem Wirtschaftssystem, das der Verbündete der Wüste“ [2] ist.
Eine profitbasierte Heilsreligion
Obwohl sich der Neoliberalismus und sowieso der Marktradikalismus als desaströse Zivilisationsmodelle erweisen, hält das eingeschworene Bündnis aus Politik, Finanzindustrie, Konzernwirtschaft und Bewusstseinsindustrie an ihrer angeblichen Alternativlosigkeit verbissen fest [3].
Das marktradikale Machtkartell ist entschlossen, keine, allenfalls minimale Korrekturen vorzunehmen, da „Abweichungen“ von ihrem Dogmengebäude das eigene Konstrukt zum Einsturz bringen würde. Sie wollen und können nicht zugeben, dass sie die Welt, um der Verwirklichung ihrer profitbasierten „säkularen Heilsreligion“ willen, zerstören.
Sie wollen und können nicht zu geben, dass endloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten unmöglich ist und darum halten die Neokannibalen bereits Ausschau nach anderen Planeten, um auch diese mit ihrer hirnrissigen Ordnung zu beglücken. Die behauptete Alternativlosigkeit des neoliberalen Projekts ist darum nichts anderes als der Ausdruck maximaler Ignoranz, Borniertheit und Hybris.
Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Meine soeben gemachten Ausführungen weisen die westlichen Demokratien als das aus, was sie sind: Fassadendemokratien, in denen die Herrschenden vor allem darauf bedacht sind, dass der Wille der Völker nicht zum Tragen kommt.
Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Medien als Transmissionsriemen der Gedanken der herrschenden Klasse in die Gehirne der Massengesellschaft unter Kontrolle der Herrschenden bleiben.
Was bedeutet Tiefer Staat?
Der Begriff des Tiefen Staates stammt aus der Türkei und bezeichnet die Verfilzung zwischen Politik, Geheimdiensten und organisiertem Verbrechen in ihrem Untergrundkampf unter Einschluss politischer Verbrechen und politischer Auftragsmorde.
Die Autoren der beiden Bücher „Fassadendemokratie und Tiefer Staat“ und „Der Tiefe Staat schlägt zu“ definieren den Tiefen Staat erheblich umfassender. Wir sagen:
Der Tiefe Staat ist der Dunkel-Raum der Herrschenden – er ist die permanente Regierung, die Schattenregierung, der Dunkle Staat – dieser arbeitet
- sehr langfristig orientiert,
- ist weder wählbar noch abwählbar und er ist
- ein Zusammenspiel zwischen Marktradikalen und Neokonservativen Transatlantikern.
Der Tiefe Staat ist auf keinen Einzelstaat beschränkt. Teile des Tiefen Staates sind für die Öffentlichkeit sichtbar, wie Regierungsmitglieder, kriegsaffine Parlamentarier oder Hassprediger in den Medien. Der wesentlichere Teil des friedengefährdenden Täterkomplotts entzieht sich der Öffentlichkeit, arbeitet, wie erwähnt, langfristig orientiert im Hintergrund, bestimmt aber maßgeblich den Lauf der Dinge.
Diese unterhalb des Radars der Öffentlichkeit wirkenden Kräfte setzen sich unter anderem zusammen aus dem Finanzkapital, Rüstungskonzern- und Lobbymacht,
Teilen von Regierungen wie Außen-, Kriegs- und Finanzministerien, neokonservativen Think Tanks, Stiftungen und NGOs, PR-Wirtschaft und Mainstream-Medien, gekauften Wissenschaftlern, NATO- und EU-Entscheidungsgremien, Geheimdiensten, der Sicherheits- und Überwachungsindustrie und Tausenden Kontraktfirmen. Sie alle sind die ökonomischen Nutznießer dieses gigantischen Konglomerats.
Internationale politische Lage und brandgefährliche Politik der Eskalation
Dem militärisch-industriellen Komplex, den ich als finanzkapitalistisch-staatsterroristisch-militärisch-industriellen Kommunikationskomplex bezeichne, drohten in den USA nach 1990 Beschäftigung sowie Legitimation abhanden zu kommen. Darum waren die US-Neokonservativen in allergrößter Sorge, der weltweite Friede könne ausbrechen. Und so setzten sie alles daran,
- den US-amerikanischen Kriegsapparat vor weiteren Kürzungen zu bewahren,
- die Ideologie der US-amerikanischen Weltvorherrschaft zu revitalisieren und zu festigen und
- neue Feinde zu erfinden, vor allem den Islam im Rahmen ihres „war on terror“ zu instrumentalisieren.
Heute, fast 30 Jahre nach der Wende stellt sich die Frage: Was haben die politischen Führungen der westlichen Demokratien aus der Friedensdividende des Jahres 1990 gemacht?
Die Antwort lautet:
Die Herrschaftscliquen der „westlichen Werteordnung“ haben die westliche Staatengemeinschaft nicht nur marktradikal verformt, sie haben als absolute Glanzleistung ihres Wirkens die Büchse der Pandora geöffnet und die Menschheit an den Rand des Dritten Weltkrieges geführt.
Dieser Prozess begann mit der Filetierung Jugoslawiens, setzte sich fort mit der NATO- und EU-Osteroberung bis an die Grenzen Russlands, dem Anzetteln zahlreicher Konflikte und Kriege wie im Nahen und Mittleren Osten, dem Aufbau von Raketenabwehrsystemen in Polen und Rumänien, dem Ausbau von US-/NATO-Stützpunkten in der EU [4], der Kündigung unter anderen des ABM-Vertrages 2002, des Iran-Atomabkommens und des INF-Vertrages 2018 [5], endloser Provokationen und der systematischen Installierung der Feinde Russland und China. Auch das deutsche
US-Statthalter-Regime beteiligt sich an der Eskalationsspirale.
Der 1990 untergegangene alte Kalte-Kriegs-Feind UdSSR wurde ab etwa dem Jahr 2000 langsam aber stetig als Feind des neuen Kalten Krieges 2.0 aufgebaut, weil die NATO- und EU-Osterweiterung nie zur Debatte standen. Die NATO-Russland-Beziehungen befinden sich insbesondere seit dem US-induzierten Krieg in Georgien 2008 im freien Fall [6]:
Seit dem US-/EU-geförderten Putsch in der Ukraine 2013/2014 und der Krim-Sezession durch Russland sind die Beziehungen vollends zerrüttet.
Der sogenannte freie Westen setzte hier genau das Szenario um, das Zbigniew Brzeziński zur Destabilisierung Russlands empfahl, nämlich die Ukraine als Schlüsselland aus dem Einflussbereich Russlands heraus zu brechen. Seit dieser Zeit rüstet der Westen massiv auf. Und ich möchte noch vor allem darauf hinweisen – was die meisten Menschen sicher nicht wissen – dass es 2014 bis 2018 bereits weit über 1000 Militärmanöver und -übungen gab. 2019 stehen weitere circa 300 Manöver und Militärübungen der westlichen Militärallianz und ihrer Alliierten an.
USA, NATO und EU
Die Haupttreiber der friedenspolitischen Verheerungen sitzen in den USA und in ihrem militärischen Gewaltarm NATO — in deren Schlepptau die EU. Kein Tag vergeht, ohne dass sie den Konflikt mit Russland aber auch mit China eskalieren.
Eine Politik der Nadelstiche, die Kündigung von Rüstungskontrollabkommen, permanente und verschärfte Sanktionen, Drohungen, Erpressungen das terrorisieren ganzer Länder gehören zum Standard-Repertoire des sogenannten freien Westens, vor allem seiner Führungsmacht USA.
Und wer die ganze Niedertracht der Propaganda über das aggressive Russland und das aggressive China ad absurdum führen möchte, muss nur einen Blick auf die Verteilung der Welt-Militärausgaben werfen: 36 % USA, circa 55 % NATO, circa 75% NATO + NATO-affine Staaten, 12-13 % China, 5-6 % Russland.
Was können wir tun?
Das Wichtigste, was wir tun können, ist aus meiner Sicht, uns darüber klar zu sein, dass wir Objekte hemmungsloser, immer absurderer und von oben gesteuerter Propaganda sind. Diese Propaganda wird von milliardenschweren Agenturen, Think Tanks und Regierungsinstitutionen vorangetrieben, um Herrschaft zu zementieren und die Menschen in eine Kriegskonfrontation mit Russland und China zu treiben und sie in Angst und Schrecken zu versetzen.
Der frühere Botschafter der UdSSR in der BRD 1971-78, Valentin Falin, hat Propaganda und Agitation neben den herkömmlichen Waffen als schrecklichste Massenvernichtungswaffe bezeichnet, eine Waffe, die auf das menschliche Gehirn abzielt. Konzern-Medien und die von Parteien kontrollierten öffentlich-rechtlichen Medien sind deren Träger.
Dieser korrupten Medienmaschine, den marktradikalen, transatlantischen Ideologen in Regierungen, EU und NATO gilt es, mit allen zur Verfügung stehenden gewaltfreien Mitteln zu widerstehen. Dieser Widerstand ist in der Tat „alternativlos“, wenn wir als Bürgerinnen und Bürger Europas über unser Schicksal bestimmen wollen.
Quellen und Anmerkungen
[1] Carl Amery: Hitler als Vorläufer. München 2002, S. 168. ↩
[2] Ebd., S. 166. ↩
[3] Würden sich die herrschenden neoliberalen Regierungen nur halb soviel für den schleichenden Niedergang unserer natürlichen Lebensgrundlagen und die Zerstörung des Sozialstaates interessieren, wie für den „Wettbewerb“, so wäre schon viel gewonnen. Zur aktuellen Lage der Biodiversität siehe: Millennium Ecosystem Assessment (auf: https://www.millenniumassessment.org/en/index.html); siehe ferner: Spektrum: Artenvielfalt und Artensterben. Auf http://www.spektrumdirekt.de/artikel/843242 (beide abgerufen am 08.07.2019). ↩
[4] Allein in Italien verfügt die NATO über circa 100 Militärinstallationen. Video: Italy: A Whole US/NATO Strategic Military
Base, “Global NATO”, GlobalResearch, 17. November 2018: https://www.globalresearch.ca/video-italy-a-usnato-strategic-military-base/5660206 (abgerufen am 08.07.2019). ↩
[5] Siehe RT (06.12.2018): Putin: Washington plante im Voraus, INF zu verlassen und sucht jetzt nach Gründen dafür. Auf
https://deutsch.rt.com/international/80552-putin-washington-plante-im-voraus-inf-vertrag-ende-russland-schuldigerklaert (abgerufen am 08.07.2019). ↩
[6] North Atlantic Treaty Organization (April 2018): NATO-Russia Relations: The Background. Auf https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2018_04/20180426_1805-NATO-Russia_en.pdf (abgerufen am 08.07.2019). ↩
Redaktioneller Hinweis: Der Beitrag von Ullrich Mies basiert auf dem gleichnamigen Vortragsskript „Wie der Kapitalismus Krisen erzeugt und Kriege vorbereitet“, gehalten beim Club of Vienna am 6. Juni 2019. Es wurde in Abstimmung mit dem Autor aktualisiert und redaktionell überarbeitet.
Symbolfoto: Danielle MacInnes (Unsplash.com)
Ullrich Mies ist Sozial- und Politikwissenschaftler. Er studierte in Duisburg und Kingston/Jamaica. Seine Interessenschwerpunkte sind internationale politische Konflikte, organisierte Friedlosigkeit, Staatsterrorismus, Neoliberalismus, Demokratieerosion, Kapitalismus- und Militarismuskritik sowie die Erhaltung der Biodiversität. Er ist seit 1994 selbständig und lebt seit 30 Jahren in den Niederlanden. Er schreibt für "Rubikon - Magazin für die kritische Masse", die "Neue Rheinische Zeitung", "Neue Debatte", "scharf-links" und ist für "sputnik" aktiv. 2017 erschien von ihm und Jens Wernicke als Herausgeber das Buch "Fassadendemokratie und Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter".
3 Antworten auf „Wie der Kapitalismus Krisen erzeugt und Kriege vorbereitet (Teil 3)“
Hervorragende Artikel, ich kann sie nur loben für den Weitblick-Rückblick-Ausblick, lieber Ullrich Mies. Ich habe die Artikel via Facebook mal etwas verteilt und empfohlen. Ihre mitunter etwas härtere Ausdrucksweise finde ich dem Thema angemessen.
Und immer, immer wieder, wir können es schaffen, weil wir so viele sind. Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir haben sonst kein Recht mehr, auf dieser Erde zu leben, wenn nicht schnellstens ein Umdenken stattfindet.
“Wie der Kapitalismus Krisen erzeugt und Kriege vorbereitet” ist der Titel des drittenTeils des Beitrags von Ullrich Mies’es in der “Neuen Debatte”:
“Bevor ich zu meinen beiden Schlusspunkten komme, möchte ich ein kurzes Fazit der Auswirkungen von Neoliberalismus und Marktradikalismus ziehen:
Im Neoliberalismus gilt um den Preis des eigenen Untergangs: Wettbewerb vor Mensch und Natur. Darum ist das aktuelle Wirtschafts- und Politikregime der „westlichen Werteordnung“ ein sicheres Crash-Programm. … ”
Hierzu meinen Gedanken:
Der Kapitalismus ist sein eigener Totengräber, der in seine selbst ausgegrabene Grube geworfen wird, wenn die Obrigkeit nicht mehr so weitermachen kann und die Unterdrückten nicht mehr so weiter machen wollen wie bisher. Dazu muss es aber erst kommen, jegliches hat seine Zeit. Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen lassen sich nicht willkürlich herbeiführen.
Ob dieser Kampf im Bewahren der Wirklichkeit oder in deren Beenden mündet hängt im wesentlichen davon ab, wie weit sich dabei das menschliche Selbstbewusstsein entwickeln kann, so dass es Konfrontation in konstruktives Miteinander wandelt, Nützlichkeit statt Profitmaximierung als Triebkraft erkennt, verantwortungsbewusste Eigentümer zu gewinnbringendem Wettbewerb motiviert. Wir alle müssen uns notwendiger Weise in unsere Wirklichkeit integrieren und uns gleichzeitig von naturgesetzmäßig bedingten Zwängen und von Zumutungen emanzipieren. Die aus zunächst meist notwendigen, jedoch ständig erneuerungsbedürftigen und dadurch oft ungerecht werdenden Ordnungsprinzipien, in die hinein ein jeder von uns zufallsnotwendig geboren wird, müssen immer wieder erneuert werden. Nach den Möglichkeiten, das jeweilig Notwendige tun zu können, muss immer wieder aufs Neue gesucht werden. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die Vernunft immer zwischen Zufall und Notwendigkeiten liegt.
Das Problem von uns Menschen, den Weg in eine bessere Zukunft zu finden, liegt darin, dass wir zu ständigem handeln und zu ständig veränderndem Wirken existenziell gezwungen sind, aber oft lediglich spontan agierend und dabei vermutend, in wachsendem Maße auch zielorientiert gestaltend und dennoch nur näherungsweise wissend sind, ob unser Handeln der gewollten Richtung entspricht. Gleichgültig ob sich die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft evolutionär behäbig oder sprunghaft revolutionär vollzieht, sie ist immer dann fortschrittlich wenn sich jeder Einzelne im Rahmen der gegebenen Lebensverhältnisse als selbstbewusst konkrete Persönlichkeit emanzipieren kann und wenn sich eben diese Verhältnisse in Richtung einer Gesellschaft bewegen, in der durch eigenwilliges Wirken der Einzelnen das dauerhafte Bewahren des Mensch-Seins ermöglicht wird. Wir Menschen können uns entscheiden, ob wir bewahrend oder beendend wirken und entsprechend dieser grundlegenden moralischen Orientierung unser Leben sinnvoll oder sinnlos gestalten wollen. Durch unser menschliches Selbstbewusstsein sind wir in der Lage unser eigenes Ich einer umfassenderen Bestimmung zuzuordnen und daraus sinnvolles Handeln für uns selbst herzuleiten.
„Das Gewebe dieser Welt ist aus Zufall und Notwendigkeit gebildet“, stellt Johann Wolfgang von Goethe fest. Und es sei eine von uns Menschen „zu erlernende Kunst“, uns mit Vernunft zwischen beide zu stellen, um sowohl den Zufall, als auch die Notwendigkeit beherrschen zu können. Denn unsere Vernunft wisse, dass das Notwendige der Grund unseres Daseins ist, und dass man mit Vernunft das Zufällige lenken und leiten kann. (Weisheiten deutscher Klassiker Bertelsmann Verlag Orbis Edition 1999)