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Mensch & Natur

Tod oder Leben? Mach mir die Qualle

Bald sind wir unsterblich. Und: Die Welt wird sehr bald untergehen. Diese beiden Thesen beschreiben zwei Möglichkeiten, unsere Zukunft zu sehen.

Die Medizin werkelt daran, den Menschen unsterblich zu machen, während unser Planet den Bach runtergeht. Wieso beziehen sich die Allmachtsfantasien der Medizin eigentlich nicht auf den Klimawandel?

Bald sind wir unsterblich. Und: Die Welt wird sehr bald untergehen. Diese beiden Thesen beschreiben zwei Möglichkeiten, unsere Zukunft zu sehen. Auf der einen Seite stehen weitreichende Allmachtsfantasien der Medizin, die schon einiges Unmögliches möglich gemacht hat, sei es durch den Einsatz von Penicillin, Herzschrittmachern oder durch Organtransplantationen. Auf der anderen Seite stehen wahlweise Ohnmacht, Verleugnung oder schlicht Empörung gegenüber der sich zuspitzenden Klimakrise.

Vorbild aus dem Meer

Im Bereich der Medizin scheint heute (fast) alles machbar, bald sogar die Unsterblichkeit. Die Qualle Turritopsis dohrnii gilt hier als Vorbild für die Menschen. Sie kann den gesamten Lebenszyklus immer wieder durchlaufen.

Der Mensch, der bislang am längsten gelebt hat, war die Französin Jeanne Calment. Sie starb 1997 mit 122 Jahren. Seitdem hat diesen Rekord niemand mehr geknackt, doch das wird sich wohl bald ändern. Vor allem in den Bereichen der Genforschung, des Bio-Engineering und der Nanorobotik kann die medizinische Forschung heute derart weitreichende Innovationen aufweisen, dass sie den Menschen, wie es der israelische Historiker Yuval Noah Harari1Yuval Noah Harari (geboren am 24. Februar 1976 in Haifa, Israel) lehrt Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Sein erstes populärwissenschaftliches Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ erschien 2014 und wurde zu einem internationalen Bestseller. „Homo Deus: Eine kurze Geschichte von morgen“ erschien 2016. in seinem Bestseller Homo Deus ausdrückt, „den Göttern gleich macht“.

Harari erwähnt Bill Maris2Bill Maris (geboren 1975) heißt mit vollständigem Namen William J Maris. Der US-amerikanische Unternehmer und Risikokapitalgeber ist Gründer und erster CEO von Google Ventures. 2013 gründete er das Google-Subunternehmen Calico, ein Projekt, das sich auf die genetischen Grundlagen des Alterns konzentriert., CEO des Investmentfonds Google Ventures, der im Januar 2015 in einem Interview mit CNN3Computerwoche (22.03.2019): Wann macht uns Google unsterblich? Auf www.computerwoche.de (abgerufen am 11.07.2019). behauptete: „Wenn Sie mich heute fragen, ob es möglich ist, 500 Jahre alt zu werden, so lautet die Antwort: Ja! Wir versuchen nicht, ein paar Meter gutzumachen, wir versuchen, das Spiel zu gewinnen. Weil Leben besser ist als Sterben.“

Düstere Prognose

Während also im Bereich der Medizin positiv eine Zukunft imaginiert wird, in der der Mensch den Tod besiegt haben soll, sehen die Zukunftsprognosen in der Klimaforschung düster aus. So zum Beispiel im Klimawandel-Bericht4IPCC: Special Report – Global Warming of 1.5 ºC. Auf www.ipcc.ch/sr15 (abgerufen am 11.07.2019)., den der Weltklimarat IPCC vergangenen Oktober veröffentlichte. Der Bericht stellte die Verwüstungen dar, die den Klimawandel bereits heute spürbar machen, und gab katastrophale Prognosen ab, was passiert, sollte die Begrenzung der Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad Celsius reduziert werden.

Die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb5Helga Kromp-Kolb (geboren am 14. November 1948 in Wien, Österreich) ist Meteorologin, Klimaforscherin und emeritierte Professorin. Sie setzt sich seit Jahrzehnten konsequent für Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein. Gemeinsam mit Herbert Formayer veröffentlichte sie 2018 das populärwissenschaftliche Buch „Plus zwei Grad: Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten.“, die als eine der Galionsfiguren der Klima- und Umweltschutz-Bewegung gilt, ist inzwischen über 70 Jahre alt und wiederholt schon seit Jahrzehnten den Satz6Der Standard (13. November 2013): Helga Kromp-Kolb wird 65. Auf www.derstandard.at (abgerufen am 11.07.2019).: “Wir müssen jetzt handeln.”

Die Zeit drängt, so viel ist klar. Die 16-jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg ruft die Erwachsenen auf, sich so zu verhalten, als ob ihr Haus in Flammen stünde, damit sie „die Panik, die ich jeden Tag spüre, nachfühlen“ können. Schüler*innen und Student*innen nehmen sich Greta Thunbergs “Skolstrejk för klimatet” (“Schulstreik für das Klima”) zum Vorbild und protestieren unter dem Namen Fridays for Future immer freitags während der Unterrichtszeit für eine produktive Klimapolitik. Der Widerstand gegen das Versagen der Politik, die Herausforderungen der Klimakrise anzunehmen, regt sich.

Doch während in der Medizin das Diktat der Machbarkeit regiert, scheint im Bereich Klimarettung insbesondere dem konservativen Lager sofortige Hilfe unmöglich: zu teuer, zu unbedacht, weltfremd. „Pure Ideologie“ nannte zum Beispiel der 33-jährige CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak7Stern (10. Februar 2019): Shitstorm mit Ansage – CDU-Generalsekretär zieht über Klimaaktivistin Greta Thunberg her. Auf www.stern.de (abgerufen am 11.07.2019). Greta Thunbergs Forderung an Deutschland, alle Kohlekraftwerke abzuschalten und spottete: „Oh, man… kein Wort von Arbeitsplätzen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit.“

Die Erde als kranke Patientin

Während sich die Medizin um individuelle Baustellen kümmert, also auch um individuelle Portmonees, kann der Klimawandel nur kollektiv und mit einer ordentlichen Portion Systemkritik angegangen werden. Wäre es angesichts der fehlenden Handlungsbereitschaft der Politik und Wirtschaft nicht eine gute Idee, die durchaus zwiespältige Zuversicht der Medizin auf die Herausforderungen der Klimakrise zu übertragen? Wir könnten uns die Erde doch leicht als eine kranke Patientin vorstellen, an deren Unsterblichkeit wir kollektiv arbeiten?

Auch in der Medizin gab es in der Vergangenheit weitreichende Gefühle der Ohnmacht. Jahrhunderte lang galt in Europa nicht das Leben vor, sondern nach dem Tod als heilig. Epidemien wie die sprichwörtlichen Pest und Cholera rafften weite Landstriche dahin, ohne dass es wirksame Gegenmittel gegeben hätte. Vor den bahnbrechenden medizinischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, die durch Bakterien und Viren ausgelöstes Massensterben größtenteils in den Griff bekamen, war der Tod eine metaphysische Begebenheit, ein Fall für den Priester. Heute ist er ein technisches Problem, für das es technische Lösungen geben kann und soll.

Den Tod überwinden, das Klima vergessen

Der Tod ist zum größten Feind des Menschen geworden, für den das Jenseits keine große Rolle mehr spielt. Deshalb wird so viel Geld in Forschung investiert, die sich vorgenommen hat, den Tod zu besiegen. Zum Beispiel das Google-Subunterehmen Calico8Der Name leitet sich von California Life Company ab. Das 2013 von Google gegründete Biotechnologieunternehmen entwickelt Methoden gegen die menschliche Alterung., dessen Zweck es ist, „den Tod zu beseitigen“9Computerwoche (22.03.2019): Wann macht uns Google unsterblich? Auf www.computerwoche.de (abgerufen am 11.07.2019).. PayPal-Mitbegründer Peter Thiel10Peter Andreas Thiel (geboren am 11. Oktober 1967 in Frankfurt am Main, Deutschland) ist ein US-amerikanischer Investor deutscher Herkunft. Gemeinsam mit Max Levchin und Elon Musk gründete er den Online-Bezahldienst PayPal. Er war der erste externe Kapitalgeber von Facebook. Im Jahr 2016 wurde sein Vermögen auf 2,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. will den Tod ebenfalls „bekämpfen“11Zeit Online (04.08.2016): Lieber ewig wahnsinnig als normal und sterblich. Auf www.zeit.de (abgerufen am 11.07.2019)., und wenn einer wie er über 2,7 Milliarden US-Dollar Privatvermögen verfügt, kann er sich so einen Feldzug sicherlich auch leisten.

Es sind die Megakonzerne und die Superreichen, die in die Unsterblichkeit investieren, weil sie dort ein Riesengeschäft wittern. Und sie sind zugleich diejenigen, die großen Einfluss auf Klimafragen haben könnten, würden sie ihre Innovationskraft stattdessen dort hineinstecken. Ihren eigenen Lebensstil müssten sie in diesem Fall jedoch auch ändern.

Die reichsten 10 % aller Menschen sind laut Klimaforscher Kevin Anderson12Kevin Anderson (geboren am 28. Juni 1962) ist ein britischer Klimaforscher, Professor an der Universität Manchester und stellvertretender Direktor des Tyndall Centre for Climate Change Research. für die Hälfte des durch den Lifestyle verursachten CO2-Ausstoßes weltweit verantwortlich13The Irish Times (11.12.2018): Richest 10 per cent cause half of lifestyle carbon emissions – climate expert. Auf www.irishtimes.com (abgerufen am 11.07.2019)., weil sie ständig fliegen, mehrere Häuser haben und dicke Autos fahren. Hier sind aber auch Spitzenpolitiker*innen und die hoch dotierten Forscher*innen gemeint, die mit Privatjets zu Konferenzen in klimatisierte Luxushotels nach Davos und anderswo fliegen, um dort auf Kosten des Klimas über dessen Rettung zu schwadronieren.

Leben auf einem lebensfeindlichem Planeten

Mit dem Versprechen auf ein unendliches Leben, lässt sich wahrscheinlich viel Geld machen, mit Kohleausstieg, alternativem Wirtschaften und Umverteilung nicht. Doch wer will schon bis zum Ende seiner Tage auf einem lebensfeindlichen Planeten leben? Wahrscheinlich soll es dann doch der Umzug auf einen anderen Himmelskörper sein, wie ihn sich der Unternehmer Elon Musk14Elon Reeve Musk (geboren am 28. Juni 1971 in Pretoria, Südafrika) ist ein kanadisch-US-amerikanischer Unternehmer und Investor. Er ist einer der Gründer des Online-Bezahlsystems PayPal. Bekannt ist er außerdem für sein privates Raumfahrtunternehmen SpaceX und für seinen Elektroautohersteller Tesla. Im Jahre 2019 wurde sein Vermögen auf 22,3 Milliarden US-Dollar geschätzt. wünscht. Oder bereitet Google parallel eine autarke Biosphäre im Erdinneren unter Silicon Valley vor, wo sich die reichsten 1% noch 500 Jahre lang gegenseitig Lebensspritzen setzen können?

Alle, die sich solche Fantasien nicht leisten können, täten gut daran, die Frage zu diskutieren, wie ein gutes Leben auf diesem Planeten aussehen könnte. Auch der Wunsch nach Unsterblichkeit ist fragwürdig.

Die Autorin Barbara Ehrenreich15Barbara Ehrenreich (geboren am 26. August 1941 in Butte, Montana, USA) ist Sachbuch-Autorin und Kolumnistin. Ihr Buch „Wollen wir ewig leben? Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle“ erschien 2018 auf Deutsch. zum Beispiel wendet sich dagegen, immer älter werden zu wollen. Alt genug zu sein, um zu sterben, sei eine Leistung, und die Freiheit, die diese mit sich bringt, sei es wert, gefeiert zu werden, schreibt sie in „Wollen wir ewig leben?“.

Die von Profit-Denken angetriebenen Allmachtsfantasien aus der Medizin taugen wahrscheinlich nicht als Vorbild für die Lösung der Klimakrise. Denn die ökologische Frage ist vor allem auch eine soziale Frage. Nicht nur weil der Klimawandel bereits bestehende Ungleichheiten immer weiter verschärfen wird, sondern insbesondere weil ökologische Alternativen nur mit einer solidarischen, internationalen und klassen-sensiblen Perspektive funktionieren.


Symbolfoto: Oscar Keys (Unsplash.com)

Autorin und Journalistin

Johanna Montanari (Jahrgang 1987) arbeitet als Autorin und Journalistin und schreibt ihre Doktorarbeit in Europäischer Ethnologie an der HU Berlin. Momentan forscht sie in Amman, Jordanien.

Autorin, Regisseurin und Performerin | Webseite

Alisa Tretau (Jahrgang 1986) ist Autorin, Regisseurin und Performerin. Im Oktober 2019 wird sie im Ballhaus Ost in Berlin eine Performance zur Lösung der Klimakrise zeigen.

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