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Der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789, der kein Sturm war, wurde zum Symbol für die Französische Revolution. Und dieser Tag veränderte Europa.
Wenn wir schon über Europa sprechen: Heute ist der Tag, an dem im Jahre 1789 Europa in Frankreich die Prägung für das bekam, was später die Moderne genannt wurde.
Das Ancien Régime mit einem König und einem alles besitzenden Adel erhielt in dem symbolischen Akt des Sturmes auf ein Pariser Gefängnis1Symbol der Revolution
Die sogenannte Erstürmung der Bastille fand am 14. Juli 1789 statt. Es wurde zum Symbol für die Französische Revolution. Gestürmt wurde aber nicht. Bernard-René Jordan de Launay, der Kommandant, hatte die Bastille übergeben. Freies Geleit war ihm im Gegenzug zugesichert worden. Allerdings hatte er vorher auf das Volk schießen lassen. Er, ein Soldat und ein Beamter, Jacques de Flesselles, wurden getötet und geköpft. Die Köpfe wurden auf Heugabeln gespießt und durch die Straßen getragen. Das Volk jubelte. den Hinweis, dass seine Zeit nun zu Ende sei. Was unmittelbar folgte, steht zur Genüge in den Geschichtsbüchern: Revolution, Restauration, Napoleon und Louis Philippe. Sprünge nach vorn und Rückschläge, eine moderne Verfassung und koloniale Gier, imperiale Erfolge und dramatische Niederlagen.
Der Tag jedoch, an dem das alles begann, der 14. Juli 1789, sollte Anlass sein, sich über das gesellschaftliche Sein diesseits von Monarchien und antiken Besitzformen Gedanken zu machen. Diesseits wie jenseits des Rheins.
Revolution, Krieg und Kolonialismus
Frankreich und Deutschland waren damals im Narrativ eines Europas der Nationen wichtige Spieler – und sie sind es heute noch. Dazwischen liegen wilde Geschichten, hier wie dort, und beide haben sich, was das Wohl der in diesen Ländern lebenden Menschen anbetrifft, nicht mit Ruhm bekleckert. Aber es hätte im Vergleich zu anderen schlimmer kommen können. Was den Griff auf andere, dritte Länder anbetrifft, so war es ein Albtraum.
In Frankreich entstand ein ausgewachsener Kolonialismus, der auf allen Kontinenten dieser Erde wütete. Und in Deutschland fühlte sich der immer noch auf seinem Thron sitzende König benachteiligt und strebte ebenfalls nach Kolonien.
Dass das alles ausgerechnet in einer Zeit geschah, die Belle Époque genannt wurde, weil in Europa gerade Frieden herrschte, gehört zu den Treppenwitzen der Geschichte. Und dass Deutschland auch anders konnte, in der radikal-demokratischen Verteilung des Grauens, bewies es in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts.
Die Bedrohung der Welt
Von dem 14. Juli 1789 und dem durch ihn verkörperten Gedankengut der Aufklärung und der bürgerlichen Demokratie sind die beiden Länder, die viel in ihrer Geschichte im Guten wie im Bösen geteilt haben, weit entfernt. Sie haben als Allianz den Weg in das gefunden, was heute die Europäische Union genannt wird und an der sich die Geister in nahezu allen Ländern, die deren Mitglied sind, scheiden.
Russland, die größte Landmasse des europäischen Kontinents, wurde auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erst gar nicht als Mitglied in Betracht gezogen. Vielleicht, das Bonmot sei erlaubt, weil sowohl Napoleon als auch Hitler dort gezeigt bekamen, dass ihre Allmachtsfantasien ein Ende hatten? Gut möglich, denn das Ressentiment kommt bekanntlich aus Frankreich und wird in Deutschland bis in die Perfektion beherrscht.
Einig sind sich beide Länder jedoch, dass sie die Europäische Union nutzen wollen, um ihre eigene Prosperität zu vergrößern.
Was sie damit meinen, hat nichts mit dem 14. Juli 1789 zu tun, sondern mit dem Stadium eines globalen Finanzkapitalismus, der vor allem auf Kosten der Produzenten des Wohlstandes wie der Opfer seiner ständigen Revolutionierung nach höchst möglichen Verwertungsraten strebt – und der die jeweiligen Gemeinwesen systematisch zerstört.
Wir reden vom Weltfinanzkapitalismus, der die Welt, ihre Völker wie ihre Natur in einem Ausmaß bedroht wie nie zuvor. Und wir reden von einer Dramatik, die es nicht erlaubt, untätig zu bleiben.
Der Beau der Finanzaristokratie
Oft ist es so, und heute wird es nicht anders sein, dass diejenigen, die an dem Zerstörungskrieg gegen die Zivilisation beteiligt sind, bedeutsame Ereignisse der Geschichte missbrauchen, um ihre Handlungen ideologisch zu legitimieren. Die Antwort hat der französische Präsident, seinerseits ein selbst ernannter und temporär reüssierter Gegenentwurf zum französischen politischen System, bereits erhalten.
Seine politischen Handlungen waren von der ersten Stunde an denen verpflichtet, die mehr auf Zerstörung sozialer Systeme als auf deren Gestaltung setzen.
Heute, bei der Parade zum 14. Juli, will der seit Monaten aktive Widerstand auf den Champs-Élysées erscheinen und dem Beau der Finanzaristokratie den Rücken zuwenden. Lernen wir daraus und tun es ihnen gleich. Hier, wo wir leben. Ein kleines Zeichen der Solidarität!
Symbolfoto: Gelbweste in Lyon; Macron Dégage (Hau ab); Ev (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.