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Sicht- und Handlungsweisen aus dem ehemaligen Protektorat

Das Protektorat Deutschland existiert nicht mehr. Die hiesigen Akteure sollten in der veränderten Weltlage kühlen Kopfes die eigenen Interessen analysieren.

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Das Protektorat Deutschland existiert nicht mehr. Die hiesigen Akteure sollten in der veränderten Weltlage kühlen Kopfes die eigenen Interessen analysieren.

Raum und Zeit

Es sollte nie vergessen werden, dass es bei der menschlichen Existenz immer und in allen Lagen um zwei wesentliche Dinge geht: Raum und Zeit.

Die herrschende ökonomische Denkweise hat dazu geführt, nicht nach dem kollektiven Nutzen aller Bemühungen zu fragen, sondern nach dem höchst möglichen Vorteile für einzelne oder Gruppen. Der Wettbewerb um diese Vorteile führt zu einem Kampf um den Gewinn von Raum und Zeit.

Raum verspricht Bewegung, und Zeit ist die Dimension, um diesen Raum ausfüllen zu können. Das hat Auswirkungen bis ins kleinste Detail und wird mit allem Möglichen begründet, nur ganz selten mit dem wahren Motiv der Konkurrenz beim Kampf um den eigenen Vorteil.

Moderne Produktionsanlagen, also die Orte, an denen die Werte geschaffen werden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer spärlicher werden. Der Raum, den sie brauchen, wird drastisch reduziert, um ihn anderswo zu schaffen. Lagerbestände in den dafür notwendigen Hallen sind ebenso verschwunden wie Stätten, an denen ausprobiert und gleichzeitig produziert werden kann.

Binsenweisheit der Geschichte

Neben den zu verarbeitenden Stoffen, die durch hochkomplexe Logistik-Systeme in Form von Bestandslagern verschwunden sind, macht die Aufbewahrung der Informationen gegenwärtig den gleichen Prozess durch.

Die Archivierung der geleisteten Prozesse, wie alle Ergebnisse aus den eigenen Forschungsbereichen, sind nicht mehr in stählernen Aktenschränken zu finden und auch nicht mehr auf im Haus gelagerten Bändern oder Disketten, sondern sie befinden sich zunehmend in Clouds – virtuellen Orten, die von Servern angesteuert werden und von denen die wenigsten wissen, wo sie stehen. Sowohl die Daten der Regierung wie die der Industriebetriebe befinden sich dort.

Wer über die Dinge physisch verfügt, der besitzt die Macht. Das ist eine Binsenweisheit aus den profanen Kapiteln der Menschheitsgeschichte.

Allzu oft fielen grandiose Ideen dieser Gravitationskraft zum Opfer, wenn es darum ging, die Menschheit befreien zu wollen und zu sehr auf den Spirit und die Inspiration, ja, und vielleicht die Erotik der Idee vertraut wurde. Dann kamen plötzlich Banausen um die Ecke, die Waffen und Munition oder einfach nur Nahrung an Bord hatten, und schon war von der Idee nicht mehr viel übrig als Niederlage und blankes Entsetzen.

Veränderung der Machtverhältnisse

Unter diesem Aspekt mutet es nahezu wie ein Akt der Selbstverstümmelung an, wenn die großen industriellen Komplexe in einer Zeit wachsender, tödlicher Konkurrenz um die auszufechtende Weltherrschaft von USA und China, ihr komplettes Know-how Servern und den dazu gehörigen Clouds überlassen, die unter der Regie von US-Konzernen stehen.

Jede Form der Widerlegung wäre ein Akt der Erleichterung, doch alle Anstrengungen, der Sache auf den Grund zu gehen, führten meinerseits zu dem Resultat, dass dem so ist.

Das Vertrauen, das dieser Übereignung der eigenen Potenziale zugrunde liegt, entstammt aus den Zeiten, in denen es noch eine Union zwischen den USA und Deutschland gab, in der es zur Arbeitsteilung gehörte, dass Deutschland und Japan die Produktionsstätten und die USA Wächterin der Ordnung waren. Auch da waren die Machtverhältnisse klar.

Das Protektorat ist nicht mehr

Aber das Protektorat1Ein Protektorat ist ein teilsouveränes staatliches Territorium. Seine auswärtige Vertretung und Landesverteidigung sind einem anderen Staat durch einen völkerrechtlichen Vertrag unterstellt. Deutschland existiert nicht mehr und die USA spielen mit den Konkurrenten Katz und Maus. Nur sollten die hiesigen Akteure weder als Kätzchen oder Mäuschen auftreten, sondern damit beginnen, in der veränderten Weltlage kühlen Kopfes die eigenen Interessen zu analysieren und entsprechend dieser Analyse die eigenen Sicherungssysteme wählen und nach Bündnispartnern suchen, die analoge Interessen haben.

Bei der Betrachtung der gegenwärtigen politischen Akteure scheint diese Einsicht nicht zu greifen. Da dominieren die eingespielten Sicht- und Handlungsweisen aus dem ehemaligen Protektorat.


Foto: Markus Spiske (Unsplash.com; cropped)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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