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Bewegendes

(M)Eine Reise – Teil 2

Ich starte dort, wo ich war, um dort zu landen, wo ich nie sein konnte. Vergessen ist dieser Ort; selbst von mir. Nur durch einen tiefen Fall erreichbar.

Ich stehe wieder an einem Ufer, die Oberfläche vor mir ist mit dichtem Nebel bedeckt. Das Land unter und hinter mir ist ruhig und vollkommen leer.

Ich habe gerade erst meine Augen geöffnet. Sie müssen sich erst gewöhnen. Zur Entspannung schließe ich sie wieder. Es ist alles zeitlos hier. Keine Regung, kein Wechsel, keine Spannung. Nur der Nebel bewegt sich mit einem Wispern. Ich meine, einen leichten Wind auf meiner Haut zu spüren, aber es ist doch nur das Flüstern, was über die streicht; über meine Wange fährt, wie die Hand einer Liebenden. Mein Gesicht folgt der Berührung mit geschlossenen Augen und legt sich in diese Hand.

Ich öffne meine Augen und sehe jemanden in dem Nebel spazieren. In wallendem, waberndem Gewand mit einem kleinen Sonnenschirm wandert sie in die Ferne.

Kolkraben, ich höre Kolkraben neben mir krächzen. Große, schwarze Vögel. Sie sitzen auf einem kahlen, knöchern weißen Baum ohne Rinde oder Blätter mitten auf dem Wasser. Jeder für sich auf einem eigenen Ast, aber doch im ganzen Baum verteilt als Schwarm. Alle blicken sie zu mir, nur einer nicht. Er ist gefesselt an die Gestalt im Nebel. Obwohl kein Wind weht, bewegen sich ihre Röcke, Schleifen und Bänder.

Ich beginne zu laufen. Betrete das Wasser und versinke wieder nicht. Ich kenne diese Eigenschaft schon von meiner anderen Reise. Mir folgen die schwarzen Knopfaugen. Ich gehe ein paar Schritte auf sie zu, auf diese Gestalt mit ihren Begleitern, da passiert es. In einem Wimpernschlag wechselt der Untergrund unter meinen Füßen. Ich kann noch die Umrisse dieser neuen Welt einordnen als Großstadtlandschaft. Große Wolkenkratzer ragen um mich noch höher in den Himmel und da falle ich schon. Mit dem Kopf voran von der Kante eines Hochhauses in die grauen Tiefen mit all diesen Menschen.


Foto: Alexander Pidgeon (Unsplash)

Autorin und Künstlerin bei Neue Debatte | Webseite

Alex Ross emi­g­rie­rte aus den schwäbisch-bayrischen Bergen in die Lüneburger Heide. Nach dem Abitur zog sie nach Hamburg, um ein Handwerk zu erlernen. Alex gibt sich als Autorin dem Schreiben hin und als Künstlerin der kreativen Malerei. Ihre Essays unterzieht sie dem Urteil der eifrigen Leserkultur. Sie schreibt über die kleinen Schönheiten und die großen Gemeinheiten des Alltags. Alex lebt im Norden Deutschlands.

Von Alex Ross

Alex Ross emi­g­rie­rte aus den schwäbisch-bayrischen Bergen in die Lüneburger Heide. Nach dem Abitur zog sie nach Hamburg, um ein Handwerk zu erlernen. Alex gibt sich als Autorin dem Schreiben hin und als Künstlerin der kreativen Malerei. Ihre Essays unterzieht sie dem Urteil der eifrigen Leserkultur. Sie schreibt über die kleinen Schönheiten und die großen Gemeinheiten des Alltags. Alex lebt im Norden Deutschlands.

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