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Gesinnungs- und Verantwortungsethik

Lernen wir, dem Pragmatismus mehr Raum zu geben, und nehmen wir unserem Alltag das Sakrale!

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Lernen wir, dem Pragmatismus mehr Raum zu geben, und nehmen wir unserem Alltag das Sakrale!


Quasi als Fortsetzung zu den Überlegungen über die aktuellen Beziehungen zwischen Zweck- und Wertrationalität ist zu klären, wie es sich mit einem anderen Begriffspaar verhält.

Öl und Menschenrechte

Wert- und Zweckrationalität waren die in der Habermas-Luhmann-Debatte entwickelten Stereotypen, die einen Trend beschrieben, der mit dem Begriff Ideologiebildung am besten bezeichnet werden kann. Denn heute, in Deutschland, im Zeitalter eines erneuten Sonderweges mit Erweckungscharakter, lässt sich vieles als Konstrukt der Täuschung beschreiben: das, was nahezu als exklusiv werteorientiert verkauft wird, erfüllt den ökonomischen Zweck für eine Minderheit.

Nichts ist entlarvender bei der Entschlüsselung dieser ideologischen Konstruktion als das Begriffspaar Öl und Menschenrechte.

Die Unterscheidung zwischen Wert- und Zweckrationalität hat ideengeschichtlich allerdings einen Vorläufer. Dieser ist zu finden in dem berühmten Vortrag über “Politik als Beruf” des Soziologen Max Weber. Dieser sprach dort, sich indirekt auf Max Scheler1Max Scheler (1874 – 1928) war ein deutscher Philosoph, Anthropologe und Soziologe. Er entwickelte eine relgiös geprägte Philosophie. Scheler vertrat die Ansicht, dass die Grundlage des Lebens nicht der Geist sei, sondern vielmehr eine Schicht irrationaler Triebe und Gefühle. berufend, von Gesinnungs- und Verantwortungsethik.

Auch dort ging es um sehr Pragmatisches und Spirituelles. Was Weber entwickelte, war jedoch kein Schema des Gegensatzes, sondern ein Appell an das Bemühen, im politischen Handeln eine Balance herstellen zu wollen zwischen den Anteilen der Wahrnehmung praktischer Verantwortung und denen des Gesinnungsbezogenen. Die reine Form des einen wie des anderen lehnte er ab.

Be careful with a fool!

Aus gegenwärtiger Sicht lässt sich allerdings eine Analogie herstellen zu den beiden Formen der Rationalität. Auch hier befinden wir uns in einer Zeit, in der nahezu jede Entscheidung der Politik mit einer Gesinnungsnote versehen werden muss, um transportiert werden zu können. Pragmatik als Grundlage von Politik ist verpönt und verrufen. Letzteres trägt übrigens dazu bei, dass die zunehmende Isolierung Deutschlands in internationalem Kontext voranschreitet.

Der kollektive spiritualistische Rekurs der politischen Klasse versetzt das Land in den Augen der restlichen Welt in den Zustand einer Sekte. Über das irrationale Erscheinen von Sekten muss nicht referiert werden. Doch wer sich das vor Augen führt, begreift, warum welche Länder wie mit der Bundesrepublik Deutschland kommunizieren.

Sollte sich dieser Trend fortsetzen, und nichts spricht im Moment dagegen, dann wird es in naher Zukunft, im Hinblick auf die deutsche Politik heißen: Be careful with a fool!

Gesinnungs- und Verantwortungsethik

Doch ganz so irrational wie in der Erscheinung ist es auch hier nicht. Hinter dem, was als Gesinnungspolitik verkauft wird, steht nicht selten auch ein praktischer Nutzen. Allerdings nicht für die gesinnungsaffine Kohorte, sondern für machtpolitisch orientierte Minderheiten.

So besteht eine sehr starke Kongruenz zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik sowie der Zweck- und Wertrationalität. Beide Begriffspaare, die das ganze Spektrum politischen Handelns beschreiben sollten, sind in der Epoche des Neoliberalismus zu einem schnöden Werkzeug der Ideologieerzeugung verkommen.

Man könnte dazu neigen, die Zweckentfremdung der beiden Begriffspaare als Zynismus des herrschenden politischen Systems zu disqualifizieren, wäre da nicht die große Lust auf Gesinnung und Werte.

Jede Form der Politik, die sich auf diese Begriffe beruft, erhält in der Bevölkerung zunächst einmal eine positive Resonanz. Das Befremdliche ist tatsächlich, dass es sich dabei um ein speziell in dieser Ausprägung deutsches Phänomen handelt. Nirgendwo wird weniger pragmatisch und mehr ideologisch politisch argumentiert. Das sollte zu denken geben, denn der gegenwärtige Weg ist einer in die Isolation. Und das, so zeigt die Geschichte, führt nie zu einem guten Ende.

Fangen wir bei uns selbst an: Lernen wir, dem Pragmatismus mehr Raum zu geben, und nehmen wir unserem Alltag das Sakrale!


Foto: Arie Wubben (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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