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Rainer Mausfeld über Angst und Macht in kapitalistischen Demokratien

Der Demokratie wird durch die künstliche Erzeugung von Angst die Grundlage entzogen. Warum? Rainer Mausfeld spricht im Interview mit Pascal Lugi über Angst, Macht und Herrschaft.

Rainer Mausfeld und die Angst

Die Demokratie wird ausgehöhlt. Die Menschen, die das Staatsvolk abbilden und in der (Repräsentativen) Demokratie den angeblichen Souverän darstellen sollen, werden zum Zuschauer degradiert. Allein der Umstand der Repräsentation stellt bereits eine Entmündigung dar.

Durch Indoktrination entsteht lediglich die Illusion, in einer Demokratie zu leben und auf die politischen Entscheidungen relevanten Einfluss auszuüben. Doch in Wahrheit bestimmen Machteliten der Wirtschaft, Politik und Medien den Kurs, der einzelne Mensch ist lediglich Zaungast bei der Zerstörung der Gesellschaften.

Wahlen sind praktisch ohne Bedeutung, weil die wichtigsten politischen Fragen, so umschreibt es Rainer Mausfeld sinngemäß im Interview mit Pascal Lugi (weltnetz.tv), nicht vom Souverän entschieden werden, sondern von politisch-ökonomischen Gruppierungen, die demokratisch nicht legitimiert und demokratisch auch nicht rechenschaftspflichtig sind.

So bildet sich im Verbund mit der neoliberalen Strategie, die Kapital und Markt über alles andere stellt, mehr und mehr eine im Kern destruktive Elitenherrschaft heraus. Diese zerstört die Lebensgrundlagen aller Menschen. Ihre Herrschaft wird abgesichert durch Indoktrination und die Erzeugung von Angst. Denn der ideale Staatsbürger ist der ängstliche Mensch. Er ist Wachs in den Händen der Mächtigen.

Eine künstlich hervorgerufene Angst schwächt das Urteilsvermögen und bringt den Menschen dazu, Zustände hinzunehmen, gegen die er normalerweise rebellieren, also mit Widerstand antworten würde. Fällt dieses Momentum weg, ist Herrschaft zementiert.


Rainer Mausfeld: Angst und Macht in kapitalistischen Demokratien. (Quelle: YouTube/Weltnetz.tv)

Angsterzeugung als Herrschaftsinstrument

Um den Zustand der Angst zu erreichen, bedroht das System jeden einzelnen Menschen mit Repression, baut aber vor allem künstliche Angst auf. Dies macht durchaus Sinn: Wer herrschen will, benötigt Macht, um seinen Willen und somit seine Interessen gegen andere durchzusetzen.

Erst durch die Unterwerfung des Subjekts unter den Fremdwillen bilden sich autoritäre Herrschaftssysteme heraus, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind, und die sich in kapitalistischen Demokratien an der Wahlurne legitimieren lassen.

Macht hat Vorteile für jene, die Macht ausüben, und Nachteile auf alle anderen, die der Macht ausgesetzt sind. Aus der Position der Machtlosigkeit entsteht die Angst. Wer also die Angst steuert, kann seine Macht ausbauen, stabilisieren und langfristig absichern.

Angst, so beschreibt es Rainer Mausfeld, verengt das Denken, unterbindet Widerstand und verhindert eine angemessene gesellschaftliche Urteilsbildung. Die Entschluss- und Handlungsbereitschaft wird quasi gelähmt. Um diesen Zustand zu erreichen, wird sich verschiedener Methoden bedient. Eine davon ist die Angsterzeugung, vor allem die systematische Erzeugung gesellschaftlicher Angst.

Mit diesem Herrschaftsinstrument wird der Demokratie die Grundlage entzogen und die Tür zu einem autoritären Sicherheitsstaat geöffnet. Denn erst die Freiheit von gesellschaftlicher Angst macht eine Demokratie überhaupt möglich. Die ist aber nicht gewollt, weil sie Wirtschafts- und Kapitalinteressen im Wege steht …


Zur Person

Rainer Mausfeld: Angst und Macht. (Buchcover: Westend Verlag)Rainer Mausfeld setzt sich in seinen gesellschaftspolitischen Beiträgen mit der neoliberalen Ideologie, der Umwandlung der Demokratie in einen autoritären Sicherheitsstaat und den psychologischen Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements auseinander.

Mausfeld war Professor an der Universität Kiel und hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Wahrnehmung- und Kognitionsforschung inne. Bekannt wurde er 2015 durch seinen auf YouTube veröffentlichten Vortrag „Warum schweigen die Lämmer?“ – Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements.

Sein Buch Warum schweigen die Lämmer? – Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören erschien im Westend Verlag und erreichte die SPIEGEL Bestseller-Liste.

Mit Vorträgen wie zum Beispiel “Wie werden Meinung und Demokratie gesteuert?” und “Die Angst der Machteliten vor dem Volk” erreichte Mausfeld ein breites Publikum. Im Rahmen der Stopp-Ramstein Protestwoche 2019 sprach er über die grundgesetz- und völkerrechtswidrige Nutzung der Air Base Ramstein und forderte eine Delegitimierung der Gewaltpolitik der USA.

Informationen zum Buch

Angst und Macht

Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien

Autor: Rainer Mausfeld
Verlag: Westend
Seiten: 128
ISBN: 9783864892813


Redaktioneller Hinweis: Das Interview mit Rainer Mausfeld führte Pascal Luig für weltnetz.tv. Weltnetz.tv ist eine Plattform für alternativen Videojournalismus. Sie startete im Juni 2010 und versteht sich als Knotenpunkt unabhängiger Berichterstattung und Gegenöffentlichkeit. Zu den Gründerinnen und Gründern von Weltnetz.tv gehören zum Beispiel Jean Ziegler, Konstantin Wecker, Daniela Dahn, Ekkehard Sieker, Sabine Kebir und Diether Dehm.


Fotos und Video: weltnetz.tv und Westend Verlag

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