Die verschiedenen Aspekte der strukturellen Veränderungen in der Republik wie in der EU finden immer wieder auch ein kritisches Echo. Die Reihe der Dinge, die in den letzten fünfzehn Jahren verändert wurden, ist lang.
Doppelte Standards und der Bankrott der Moral
Tarife wurden demontiert und die Migration der Ware Arbeitskraft zumeist von Süd nach Nord forciert. Die Schaffung neuer Märkte durch künstliche Liquidität und offene Grenzen. Die Sanierung öffentlicher Haushalte, die einerseits für die Kreditierung neuer Märkte haften müssen, andererseits via Austerität die Grundversorgung demontieren.
Die Schaffung des Junktims1Ein Junktim ist in der Rechtswissenschaft die Bestimmung einer Rechtsnorm, dass eine im Rang unter ihr stehende Rechtsvorschrift eine bestimmte Regelung nur in Verbindung mit einer anderen Regelung treffen darf. von EU- und NATO-Mitgliedschaft. Die Niedrigzinspolitik. Die Geringbesteuerung von Kapitalhandel bei gleichzeitiger Rigorosität gegen Notdelikte der Armen. Die konsequente Anwendung doppelter Standards und der dadurch erreichte Bankrott öffentlicher Moral.
Die Desavouierung tatsächlicher Leistung und die Apotheose2Apotheose steht für Verherrlichung oder Verklärung. der bloßen Befindlichkeit. Die Negation3Negation ist der Begriff für Ablehnung (zum Beispiel von Werten), Verneinung oder Aufhebung (von etwas durch etwas). einer öffentlichen Strategie und die damit verbundene Weigerung von Investitionen in die Zukunft in Bereiche wie Bildung und Infrastruktur.
Auf dem Weg zur Explosion
Die Liste ist lang und sie wird immer länger. Die Ungleichheit innerhalb Deutschlands wie innerhalb der EU wächst und wächst. Die Anzeichen, dass die Politik, die zu diesen Verhältnissen geführt hat, einem Punkt zustrebt, an dem vieles zur Explosion kommt, verdichten sich.
In Großbritannien führte der Unmut zum Brexit, in Frankreich tobt seit neun Monaten ein Bürgerkrieg, der in Germanistan der Nachrichtensperre zum Opfer fällt, in Spanien kam Podemos, in Italien trumpfen die Rechten auf, in Griechenland herrscht die grobe Depression et cetera, et cetera.
Das Phänomenale derer, die diese Politik und die daraus folgenden Zustände zu verantworten haben, ist in ihrer kollektiven Verblendung zu finden. Sie sehen „Feinde ringsum“, in die Irre geführte Massen, die die Komplexität dieser Zeit nicht begriffen haben und irgendwelchen Rattenfängern von links oder rechts folgen. Was sie nicht sehen, das ist der eigene Anteil an der Misere.
Reaktionäre Dilettanten
Es ist der Absolutismus und die Uneinsichtigkeit, mit der zu Werke gegangen wird, die zu einem unheilvollen Ende führen werden. Man betrachte Emmanuel Macron und bekomme ein Bild davon, mit welcher Selbstverliebtheit er die bis an die Zähne bewaffnete Staatsmacht gegen die Schwächsten der Gesellschaft einsetzt. Wer sich hier nicht ekelt, der hat kein Herz. Und wer das gutheißt, der ist ein Lump.
Positiv gesprochen, hat der geschäftsführende Ausschuss der Politik versagt. Gesellschaften, die zwischen Depression und Rage schwanken, wurden schlecht regiert. Und, wollte man eine menschliche Bewertung einführen, die diese Art der Politik am besten auf den Punkt bringt, dann wäre es vielleicht eine Bezeichnung wie „reaktionärer Dilettantismus“. Er würde sich auch eignen, um den ständigen, ermüdenden Schmähungen gegen alle, die den Pfusch kritisieren als Rechts- und Linkspopulisten und Populisten schlechthin etwas entgegensetzen, das die Ursächlichkeit bezeichnet.
Denn zunächst einmal sind diejenigen haftbar zu machen, die die Zustände herbeigeführt haben. Wer die Karre an die Wand fährt, hat die Verantwortung zu übernehmen. Die reaktionären Dilettanten hingegen versuchen permanent, von ihrem eigenen Desaster abzulenken und schimpfen gegen alles, was das kritische Licht auf sie wirft.
Die Zeit der Dilettanten ist vorbei!
Die Notwendigkeit einer klugen Kritik schließt ein scharfes Auge auf alles, was jetzt aus den Gullys vergangener Weltanschauungen fleucht, nicht aus.
Aber die Kritik darf sich nicht darauf beschränken. Das hülfe den reaktionären Dilettanten, die mittlerweile alles in den Ruin führen, was sie in die Hand nehmen. Ihre Zeit ist vorbei. Da hilft das laute Geschrei nicht, und ihre inquisitorische Logik schon gar nicht.
Die Zorndepots sind randvoll. Und der Zins ist gigantisch.
Symbolfoto: Tobias Tullius (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Das Werk der reaktionären Dilettanten“
Die gemeine Gesellschaft ist wohl psychisch angeschlagen und von Jugend an mit einer Denksperre belegt worden, dass sie den Regenten nicht widerspricht. Es sollten Wetten darauf abgeschlossen werden, wann diese Sperre aufgehoben wird. Vielleicht ist es ja die Klimakatastrophe, die hier dem Denken ein wenig Freiheit verschafft. Es ist aber das Geldsystem, das einen Untertanengeist produziert und als das Schändlichste anzusehen ist, was dem Menschen eingefallen ist.