Was ist eine Verschwörungstheorie? Diese Frage ist, trotz des verbreiteten Gebrauchs des Terminus selbst, nur in wenigen Fällen Gegenstand der Diskussion. Dabei sollte das kritische Instrumentarium gerade eine solche Herangehensweise strikt fordern.
Dass dem nicht so ist, zeigt, wie sehr die Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen – zumindest gefühlt – in der Defensive ist. Denn immer noch fürchten viele Kritiker, als Verschwörungstheoretiker denunziert zu werden und damit ihren Ruf als ernst zu nehmende Stimmen zu verlieren. Aber genau das Gegenteil ist der Fall, wenn die Sache an sich definiert ist und man sich dann einmal ansieht, in welchen Kontexten tatsächlich Verschwörungstheorien ihre Anwendung finden.
Über Verschwörungen
Bleiben wir bei der Ausgangsfrage und machen einen einfachen Versuch: Eine Verschwörungstheorie unterstellt, dass viele, voneinander unabhängig erscheinende und auftauchende Phänomene insgeheim von einer Hand inszeniert sind, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Der Zweck selbst ist in der Regel eine negative Angelegenheit.
Zumeist hat der Zweck zum Inhalt, irgendetwas zu zerstören, um an dessen Stelle eine dunkle Herrschaft zu errichten. Dem Begriff der Verschwörung haftet immer das Geheime an. Eine Verschwörungstheorie beinhaltet also den gebündelten Versuch, etwas von langer Hand zu zerstören und durch etwas Dunkles zu ersetzen.
Das Wesen einer Verschwörungstheorie besteht in der Akzentuierung auf den Begriff der Theorie im negativen Sinne, das heißt, es wird unterstellt, dass die Vorstellung einer insgeheim konzertierten Aktion1Die Konzertierte Aktion bezeichnet einen Abstimmungsprozess der Interessen zwischen unterschiedlichen Akteuren., um etwas zu zerstören und etwas Dunkles zu errichten, als Hirngespinst derer zu begreifen ist, die sich das ausgedacht haben. Und, wenn es sich tatsächlich um Verschwörungstheorien handelt, ist dieser Vorwurf berechtigt.
Verschwörungen und Widerspruch
Historisch können Verschwörungstheorien immer wieder anhand der Fakten widerlegt werden. Oft kommen viele kleine, jedoch voneinander isolierte und nicht arrangierte Einzelangelegenheiten zeitlich so zusammen, dass ein bestimmtes Ereignis letztendlich logisch erscheint. Die unsichtbare Hand der Verschwörung kann hingegen in der Regel nicht nachgewiesen werden.
Und genau mit diesem Argument wird die Kritik an den herrschenden Zuständen seitens vieler Politiker und der etablierten Medien konfrontiert. Sieht man sich um, im Universum der Meinungsäußerung, so lässt sich tatsächlich feststellen, dass Verschwörungstheorien umherwandern, die zumeist einen Geist versprühen, der schauderhaft ist und aus tiefen Ressentiments gegen das gespeist ist, was so treffend wie polemisch als das jüdisch-marxistische Freimaurertum bezeichnet werden kann.
Selbstverständlich möchten die wenigsten derer, die die herrschenden Verhältnisse kritisieren, sich in eine Ecke mit den tatsächlichen Verschwörungstheoretikern des beschriebenen Schlages stellen lassen. Die Absicht, dieses zu tun, deutet auf den Charakter derer, die es tun. Sie schämen sich nicht, das bis zum Rufmord zu schädigen, was als die Grundlage der Demokratie gelten kann: das Recht auf Kritik und Widerspruch. Das verrät den Seelenzustand derer, die sich seit Langem in einem Modus wähnen, in dem ihr eigenes Handeln stets alternativlos ist.
Schüler der Verschwörungen
Das Kuriose an der Installation des Vorwurfs der Verschwörungstheorie in die Argumentation der Verteidiger der herrschenden Zustände, ist die Tatsache, dass die Verantwortlichen selbst nahezu pathologisch dazu neigen, alles, was sich gegen sie wendet, als Verschwörung zu bezeichnen und sich selbst zu den besten Schülern der Verschwörungstheorie zu machen.
Zu dem Satan namens Putin, der vom Moskauer Kreml aus die Welt aus den Angeln heben will, gesellt sich zunehmend die cholerische Orangenhaut aus Washington, die ähnliches im Schilde führt.
Da sei doch den Vertretern der herrschenden Zustände in Amt und Würden geraten, sich kühlen Kopfes der Kritik für ihr Tun zu stellen und nicht nach dem zu suchen, was immer zur bösen Verwerfung geführt hat: dem alles inszenierenden Sündenbock.
Symbolfoto: Daniele Levis Pelusi (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Von Verschwörungen und Sündenböcken“
Es wird dann zu einer Verschwörungstheorie, wenn die wirklichen Verschwörer es zu einer Verschwörungstheorie erklärt haben.
Chapeau!