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Krieg & Frieden

#valdaiclub – The Future of War

Die Konturen des Krieges erodieren. Maxim Suchkov und Sim Tack beschreiben im Valdai Discussion Club Report “The Future of War” eine völlig neue Qualität des Krieges bis hin zur totalen Konfrontation.

Das radikalste Mittel, das die Menschheit zur Durchsetzung ideologischer, kultureller und vor allem ökonomischer Interessen hervorbrachte, ist Krieg. Im Valdai Discussion Club Report “The Future of War” wagen Maxim Suchkov und Sim Tack einen Blick auf die Schlachtfelder der Zukunft. Sie beschreiben, wie Kriege in der Gegenwart konzipiert werden, in welchen wesentlichen Punkten sich aktuelle Kriege von denen der Vergangenheit unterscheiden und was die Menschheit im 21. Jahrhundert fürchten sollte.

Vorbemerkungen zu Krieg und Gewalt

Der Homo sapiens ist in seinem Handeln kaum berechenbar. Nicht wegen seiner nachweisbaren Taten, sondern wegen seiner grundsätzlichen inneren Bereitschaft, Konflikte mit Gewalt auszutragen, seinesgleichen zu töten und ganze Völker umzubringen, um egoistische Interessen durchzusetzen. Dies macht den Menschen zum gefährlichsten Lebewesen des Planeten.

Weder die Evolution, noch sozialer Fortschritt oder intellektuelle Aufklärung konnten daran bisher etwas ändern. Die soziale Organisation in konkurrierenden Massengesellschaften und die Technisierung des Krieges, haben den Menschen noch viel gefährlicher gemacht. Zwei Weltkriege und unzählige kriegerische Auseinandersetzungen sind dafür ein sicherer Beleg.

Allein im 20. Jahrhundert starben bis zu 185 Millionen Menschen durch Kriege. Heute ist der Mensch kriegstechnisch ohne Weiteres fähig, seine eigene Spezies vollständig auszurotten.

The Future of War

Zwei Fragen stellte Andrej Sushenzow, Programmdirektor des Valdai Clubs [1], bei der Vorstellung des Reports “The Future of War” in Moskau ins Zentrum der Diskussion:

  • Hat sich das Wesen des Krieges verändert oder sind Drohnen, Cyberangriffe und Gruppen ausländischer Söldner nur eine (neue) Fassade?
  • Und was bedeutet das für die internationale Politik?

Maxim Suchkov, assoziierter Professor am Wissenschaftszentrum für die Analyse internationaler Prozesse der Moskauer MGIMO Universität, und Sim Tack, Analytiker bei Stratfor (USA) [2] und Chef-Militäranalytiker bei Force Analysis (Belgien), nähren sich dem Krieg mit einem ganzheitlichen Ansatz.

In vier Kapiteln legen sie ihre Überlegungen offen, aus denen sie Schlussfolgerungen über die zukünftigen Formen des Krieges und die internationale Politik ziehen:

  • Krieg als Phänomen: Natur versus Charakter
  • Die zyklische Entwicklung des Krieges
  • Die Rolle von Technologien bei der Gestaltung des Zukunftskriegs
  • Drei Dimensionen des Zukunftskriegs

Was ist Krieg?

Das internationale Konflikte und innerstaatliche Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppierungen mit militärischen Mitteln ausgetragen werden, ist eine bedauerliche Realität. 2018 wurden weltweit über 170 gewaltsame Krisen gezählt. Außerdem 16 Kriege und 24 begrenzte Kriege.

Ein gewaltsamer Massenkonflikt wird als Krieg klassifiziert, wenn sich an den Kämpfen mindestens zwei (oder mehr) bewaffnete Streitkräfte beteiligen. Zumindest eine Streitmacht, bestehend aus regulären Einheiten (Militär, paramilitärische Verbände, Polizeieinheiten), muss unter dem Befehl einer Regierung stehen. Außerdem muss eine zentralgelenkte Organisation gegeben sein und eine kontinuierliche und planmäßigen Strategie der militärischen Operationen [3].

Annahmen über den Krieg der Zukunft sind wie die Fahrt durch eine Nebelwand. Denn unabhängig von der Definition des Begriffs, wird es zunehmend schwieriger, Prognosen darüber abzugeben, in welchem Umfang es bei einem bewaffneten Konflikt zu Kriegshandlungen kommt. Beschränken sich diese auf wenige lokal oder regional begrenzte Scharmützel oder breiten sich die Kämpfe wie ein Flächenbrand aus, der eventuell andere Regionen oder benachbarte Staaten erfasst?

Die Ausgangslage

Eine zunehmende Instabilität des internationalen Systems, begleitet von den Vorzeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs (Rezession), die an den Vorabend des Ersten Weltkriegs erinnert, sorgt für eine wachsende Verunsicherung der Akteure. Deren technische Fähigkeiten zur Kriegsführung haben sich teilweise drastisch verändert. Es ist kaum auszumachen, wie man sich einen bewaffneten Konflikt zwischen Staaten vorstellen muss, die Armeen mit High-Tech-Ausrüstung in den Kampf schicken.

In der Einleitung von “The Future of War” schreiben die Autoren:

“Die politischen Gegensätze der modernen Welt haben ein Ausmaß erreicht, das in der Tat alarmierend ist. Nicht weniger destabilisierend als die herabgesetzte Hemmschwelle, die früher dazu diente, vor Gewaltanwendung oder Kriegen zwischen den Staaten zu schützen, ist das sichtbare Ungleichgewicht zwischen den fortschreitenden technologischen Fähigkeiten der Kriegsführung und dem Mangel an praktischer Erfahrung im Umgang mit diesen Technologien. Dies ist einer der Gründe, warum die Konturen eines großen militärischen Zusammenstoßes zwischen Großmächten oder vergleichbaren Mächten noch unklar sind.”

Die totale Konfrontation

Das Kernstück jedes Krieges, die strategische Realität von Sieg und Niederlage, verbunden mit den speziellen Zielen der Kriegsparteien, blieb bis in die Gegenwart unverändert. Verschoben hat sich das Kräfteverhältnis. Dazu sagt Sim Tack:

“In den letzten zehn Jahren, nachdem sie ein Gleichgewicht der Kräfte erreicht und in nukleare Stillstände geraten sind, haben die Staaten begonnen, andere Wege in neue Wettbewerbsräume zu finden.”

Immer mehr Länder würden eine aggressive Politik verfolgen. Dabei würde sich die ‘Kunst des Krieges’ auf drei Ebenen entwickeln:

  • Neue Technologien,
  • die Erforschung neuer Dimensionen (wie der Cybersphäre)
  • und die totale Konfrontation.

Dieser Dreiklang markiert den Übergang von Kriegen zwischen Staaten zu Kriegen zwischen Gesellschaften. Der Krieg der Zukunft könne definiert werden als eine Kombination aus kybernetischen und kinetischen Effekten, verbunden mit der Untergrabung der Moral des Feindes. Doch “The Future of War” ist damit noch nicht abschließend erklärt.

Die Schwelle zum Krieg

Klar ist, dass die Konturen des Krieges erodieren. Es bleibt aber offen, ob neue Technologien die Chance erhöhen, dass ein Krieg beginnt oder nicht. Dies drückt sich in einer weiteren Fragestellung aus:

  • Zu welchem Ergebnis soll ein Krieg führen,
  • wie sieht das Konzept eines Sieges aus
  • und in welche Richtung verschiebt sich die Schwelle für den Beginn eines Krieges.

Solange diese drei Komponenten nicht verstanden würden, müsse die Frage nach dem globalen Charakter eines Krieges unbeantwortet bleiben, meint Maxim Suchkov. Dies sei auch deshalb schwierig, weil keiner der Akteure, die einen Krieg auslösen könnten, den eindeutigen Wunsch hege, in einen solchen einzutreten oder ihn gar global zu gestalten.

“Kriege entstehen oft durch zufällige Ereignisse. Aber angesichts der Anzahl solcher praktischen Ereignisse in den letzten Jahren können wir sagen, dass ein verheerender Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit eindeutig und beabsichtigt sein wird.”

Automatisierung des Krieges

In ihrem Fazit stellen Maxim Suchkov und Sim Tack heraus, dass neue Technologien das Potenzial besitzen, die Wirksamkeit von Kampfeinsätzen (qualitativ und quantitativ) bezüglich Genauigkeit, Letalität, Überlebensfähigkeit und Mobilität der Streitkräfte drastisch zu verändern. Aber all dies hätte wenig Einfluss auf die Natur des Krieges als gesellschaftspolitisches Phänomen.

Der Faktor Zeit spiele zudem eine große Rolle. Durch Automatisierung lassen sich Kampfhandlungen um ein Vielfaches beschleunigen. Den (politischen und militärischen) Entscheidungsträgern fehle dadurch die Zeit, um Optionen abzuwägen (und zum Beispiel einen Gegenschlag einzuleiten oder zu verhandeln). Würde dies von den Verantwortlichen verstanden, bestünde die Chance, nichtmilitärische Reaktionen und Eindämmungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Das die Militärs bisher zögern würden, alle Verteidigungs- und Angriffssysteme vollständig zu automatisieren, wird als positives Zeichen gewertet. Militärische Vorfälle, die sich durch neue Techniken ergeben, würden dadurch nur vereinzelt auftreten, seien in ihren Auswirkungen (noch) marginal und lediglich von kurzer Dauer. Sie blieben aber nicht ohne weitreichende politische Folgen. Sollte sich der Trend zur Vollautomatisierung jedoch fortsetzen, könnten die Aussichten für zukünftige Kriege deutlich weniger optimistisch sein.

Das letzte Wort

Entwarnung geben Suchkov und Tack in ihrem Report nicht, sondern erinnern an eine Rede von Valery Gerasimov. Der Chef des Generalstabs der Streitkräfte der Russischen Föderation sagte im März 2018, dass sich die zwischenstaatlichen Konfrontationen verschärft hätten. Ihre Grundlage wären zwar nach wie vor nichtmilitärische Maßnahmen (politische, wirtschaftliche und informative), doch darüber hinaus hätten sie sich auf alle Bereiche der modernen Gesellschaft ausgeweitet – einschließlich Diplomatie, Wissenschaft, Sport und Kultur.

Diese Einschätzung sei nicht nur ein Zeichen der Besorgnis Russlands über die Zukunft des Krieges, sondern auch eine Warnung, dass die Zukunft bereits vor uns liegt.


Cyber Warfare. (Grafik: Valdai Discussion Club)

Informationen zum Report

The Future of War

Autoren: Maxim Suchkov und Sim Tack
Seiten: 25
Sprache: Englisch
Erscheinung: August 2019
Rechteinhaber: Stiftung für die Entwicklung und Unterstützung des Valdai Diskussion Club
Link zur PDF: http://valdaiclub.com/files/26032/


Quellen und Anmerkungen

[1] Der Valdai Discussion Club wurde 2004 gegründet. Der Name leitet sich vom Valdai-See ab. Dieser befindet sich in der Nähe der russischen Stadt Veliky Novgorod (etwa 180 km südöstlich von Sankt Petersburg), wo das erste Treffen des Clubs stattfand.

Über 1.000 Vertreter der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft aus 71 Ländern haben sich bisher an den Aktivitäten des Clubs beteiligt. Dazu gehören Professoren der wichtigsten Universitäten und Think Tanks der Welt: Harvard, Columbia, Georgetown, Stanford, Carleton Universities, University of London, Cairo University, University of Teheran, East China University, University of Tokyo, Tel Aviv University, University of Messina, Johns Hopkins University, London School of Economics, King’s College London, Sciences Po und die Sorbonne.

Im Jahr 2014 verlagerte der Valdai Club seine Aktivitäten. Vom Format “der Welt von Russland erzählen” wurde zur praktischen Seite gewechselt, um die globale Agenda zu gestalten. Man will qualifizierte und objektive Bewertungen globaler politischer und wirtschaftlicher Fragen liefern. Eines der Hauptziele des Valdai Discussion Club ist die Förderung des Dialogs zwischen der globalen intellektuellen Elite, um Lösungen zur Überwindung der Krisen des internationalen Systems zu finden.

Der Club arbeitet aktiv mit Meinungsbildnern aus verschiedenen Bereichen wie internationale Beziehungen, Weltpolitik, Wirtschaft, Sicherheit, Energie, Soziologie und Kommunikation zusammen. Zu den Autoren des Clubs zählen Wissenschaftler wie Hu Angang von der Tsinghua Universität in Peking oder Finanzexperten wie Alexander Losev (Generaldirektor von Sputnik Asset Management).

[2] Strategic Forecasting, Inc (abgekürzt Stratfor) ist ein US-amerikanischer Informationsdienst, der Analysen, Berichte und Zukunftsprojektionen zur Geopolitik, zu Sicherheitsfragen und Konflikten anbietet.

[3] Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung: Definition des Krieges. Auf https://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereich-sowi/professuren/jakobeit/forschung/akuf/kriegsdefinition.html (abgerufen am 30.08.2019).


Symbolfoto und Grafik: Julian Hochgesang (Unsplash.com) und Valdai Discussion Club

Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.

Von Gunther Sosna

Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.

3 Antworten auf „#valdaiclub – The Future of War“

Selbst eine Analyse über die Entstehung von Kriegen (Macht, Egoismus, Dummheit) werden und hat sie noch nie verhindert.

„Der Mensch ist die pathologische Ursache und das unberechenbarste, gefährlichste Lebewesen auf diesem Planeten.“ (siehe oben Einleitung)

Und damit ist alles gesagt.

Der Kapitalismus ist sein eigener Totengräber, der in seine selbst ausgegrabene Grube geworfen wird, wenn die Obrigkeit nicht mehr so weitermachen kann und die Unterdrückten nicht mehr so weiter machen wollen wie bisher. Dazu muss es aber erst kommen, jegliches hat seine Zeit. Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen lassen sich nicht willkürlich herbeiführen.

Ob dieser Kampf im Bewahren der Wirklichkeit oder in deren Beenden mündet hängt im wesentlichen davon ab, wie weit sich dabei das menschliche Selbstbewusstsein entwickeln kann, so dass es Konfrontation in konstruktives Miteinander wandelt, Nützlichkeit statt Profitmaximierung als Triebkraft erkennt, verantwortungsbewusste Eigentümer zu gewinnbringendem Wettbewerb motiviert. Wir alle müssen uns notwendiger Weise in unsere Wirklichkeit integrieren und uns gleichzeitig von naturgesetzmäßig bedingten Zwängen und von Zumutungen emanzipieren. Die aus zunächst meist notwendigen, jedoch ständig erneuerungsbedürftigen und dadurch oft ungerecht werdenden Ordnungsprinzipien, in die hinein ein jeder von uns zufallsnotwendig geboren wird, müssen immer wieder erneuert werden. Nach den Möglichkeiten, das jeweilig Notwendige tun zu können, muss immer wieder aufs Neue gesucht werden. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die Vernunft immer zwischen Zufall und Notwendigkeiten liegt.
Das Problem von uns Menschen, den Weg in eine bessere Zukunft zu finden, liegt darin, dass wir zu ständigem handeln und zu ständig veränderndem Wirken existenziell gezwungen sind, aber oft lediglich spontan agierend und dabei vermutend, in wachsendem Maße auch zielorientiert gestaltend und dennoch nur näherungsweise wissend sind, ob unser Handeln der gewollten Richtung entspricht. Gleichgültig ob sich die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft evolutionär behäbig oder sprunghaft revolutionär vollzieht, sie ist immer dann fortschrittlich wenn sich jeder Einzelne im Rahmen der gegebenen Lebensverhältnisse als selbstbewusst konkrete Persönlichkeit emanzipieren kann und wenn sich eben diese Verhältnisse in Richtung einer Gesellschaft bewegen, in der durch eigenwilliges Wirken der Einzelnen das dauerhafte Bewahren des Mensch-Seins ermöglicht wird. Wir Menschen können uns entscheiden, ob wir bewahrend oder beendend wirken und entsprechend dieser grundlegenden moralischen Orientierung unser Leben sinnvoll oder sinnlos gestalten wollen. Durch unser menschliches Selbstbewusstsein sind wir in der Lage unser eigenes Ich einer umfassenderen Bestimmung zuzuordnen und daraus sinnvolles Handeln für uns selbst herzuleiten.

Kann durch Aufrüstung Frieden gestiftet werden?

Der dramatische Verlauf des 20. Jahrhundert zeigt, wie weit der Mensch noch davon entfernt ist, sich selbst zu begreifen, seine wirklichen Bedürfnisse zu befriedigen und seine Wirklichkeit zu bewahren.
„Die Geschichte ist die Wissenschaft vom Unglück des Menschen.“ Diesen Satz Raymond Queneaus scheint besonders das von Gewalttätigkeit bestimmte 20. Jahrhundert eindrucksvoll zu bestätigen. Gewiss, auch in früheren Jahrhunderten gab es kaum ein Volk, kaum einen Staat, in dem es nicht zu Gewaltausbrüchen gekommen wäre. So waren beispielsweise alle großen europäischen Mächte in den Sklavenhandel verwickelt. Frankreich und Großbritannien haben zwar einen Kolonialismus praktiziert, der auch positives leistete, aber bis zu seinem Ende von vielen widerwärtigen Episoden gekennzeichnet war. Und die Vereinigten Staaten durchdringt nach wie vor eine Kultur der Gewaltausübung, die in zwei großen Verbrechen wurzelt: Die Versklavung der Schwarzen und die Ausrottung der Indianer. Aber blickt man auf das 20. Jahrhundert zurück, so drängt sich ein niederschmetterndes Resümee auf. Dies war das Jahrhundert der großen Menschheitskatastrophen – zwei Weltkriege und der Nationalsozialismus und viele bis ins Heute reichende begrenzte Tragödien wie in Armenien, Biafra, Ruanda und schlimmer Weise viel zu viele mehr.

Nehmen wir uns Bertold Brechts REDE FÜR DEN FRIEDEN zu Herzen!

„Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer.
Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Gräueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig. Der Hamburger ist noch umringt von Ruinen und doch zögerte er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen.
‚Der Regen von gestern macht uns nicht nass’, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde bei­zustehen.
Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!
Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“

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