Obiges Zitat war die Reaktion auf einen Artikel zu den heutigen Wahlen in Sachsen und Brandenburg. Das Niederschmetternde des Inhaltes ist aus meiner Sicht, dass der Befund nicht von der Hand zu weisen ist. Vielleicht ist sogar der mentale Zustand des Landes die größte Herausforderung, vor der wir stehen.
Die Wahrheit
Das, was auch als die Dominanz des bräsigen Individualismus bezeichnet werden kann, hat sich in allen Fugen der Gesellschaft ausgebreitet und lähmt jede soziale Initiative, nimmt den Menschen die Begeisterung an gemeinsamen Projekten und legt sich wie ein schwerer Nebel auf die Gemüter.
Ob das alles einer Regierung zugeschrieben werden kann, sei dahingestellt. Sicher ist, dass die Hauptkraft, die dafür verantwortlich zeichnet, der pure, blanke Gedanke der Gewinnmaximierung gewesen ist, der sich seit 1990 in der westlichen Welt ohne Camouflage breitgemacht und die Politik für sich okkupiert hat.
Von Thatcher über Blair bis zu Schröder/Fischer und Merkel bis zu Trump und Johnson: Alle diese Repräsentanten und ihre Programme dokumentieren vor allem eines, nämlich die wachsende Gier derer, die eindimensional an ihren Gewinn denken, unabhängig von den damit verbundenen Kollateralschäden an Mensch und Natur. Und, werden sie weiter herrschen, dann geht das bis zum schnellen Schluss so weiter.
Der goldene Westen
Dass vor allem in Deutschland, das durch seine Spaltung in zwei Gesellschaftssysteme in einer besonderen Lage war, die Ideologie des Westens immer auch geprägt war von der regulierenden Wirkung der Demokratie, hat so lange funktioniert, wie im Schaufenster des goldenen Westens demonstriert werden musste, dass die hehren Prinzipien hier auch gelebt werden. Als die Sowjetunion fiel, war die Show vorbei.
Dass just in dem Moment die Wiedervereinigung stattfand, machte die Sache pikant. Jetzt kamen mit dem Osten genau jene Menschen dazu, die von Zentralismus und Despotie1Despotie oder Despotismus steht für eine Herrschaftsform, in der ein Herrscher die uneingeschränkte Herrschaft ausübt. Mit dem Begriff wird auch eine Gewalt- oder Willkürherrschaft bezeichnet. enttäuscht waren und gerne der Auslage im Westgeschäft Glauben schenkten. Die wurde jedoch in diesem Moment allmählich ausgeräumt.
Die Westler kannten die schmerzhaften Prozesse der Anpassung in einer kapitalistischen Welt, die im Osten wollten es lange nicht glauben. So verlief dieser Prozess dort anders, denn er erzeugte eine Migrationswelle nach Westen und die, die zurückblieben, stehen seitdem als Sperrmüll des sozialistischen Projektes auf der leeren Straße. Was ihnen geblieben ist, sind Wut und Verzweiflung. Und was denen, die die unzähligen Anpassungsprozesse einmal wieder durchmachen, bleibt, ist ein Erschöpfungszustand, der von Dauer zu sein scheint.
„Nichts ist erregender als die Wahrheit!“
Egon Erwin Kisch2Egon Erwin Kisch (1885 – 1948) war Schriftsteller und Journalist. Er gilt als einer der bedeutendsten Reporter in der Geschichte des Journalismus., der Prager Reporter aus dem letzten Jahrhundert, der so engagiert für das sozialistische Gesellschaftsmodell warb, schrieb einen Satz, der alles andere von ihm überlebt hat: „Nichts ist erregender als die Wahrheit!“
Dieses Motto, das immer den Kern der Sache trifft, ist der Weg, der beschritten werden muss, wenn es so scheint, als sei nichts anderes geblieben als die Hoffnungslosigkeit. Denn mit der Benennung der Wahrheit kommt das Leben zurück ins Spiel und es wird deutlich, wie sehr die Zeichen auf Veränderung stehen.
Nicht jede Niederlage und nicht jede Phase der Machtlosigkeit müssen notwendigerweise in Kleinmut und Defätismus3Defätismus bezeichnet einen Zustand der Mutlosigkeit. Der Begriff steht auch für die Überzeugung, dass keine Aussicht auf den Sieg besteht. Daraus erwächst die starke Neigung sich oder seine Ziele aufzugeben. enden. Mit der Wahrheit, die zu finden und zu benennen ist, kehren die Lebenskräfte zurück und es beginnt ein neues Spiel.
Symbolfoto: Sam Hood (Egon Erwin Kisch in Melbourne 1934. Wikipedia; gemeinfrei. Cropped.)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Egon Erwin Kisch: „Nichts ist erregender als die Wahrheit!““
Ist es nicht ein Trauerspiel, dass solch große Anzahl Volksvertreter nicht einmal miteinander sprechen wollen. Das zeugt doch von einer Beschränktheit im Denken und das Alles unter dem Namen Demokratie. Das könnte ein Hinweis sein, dass diese Art parlamentarischer Demokratie ausgedient hat. Da nun fast alle Parteien gemeinsam regieren müssen, sollte man den ganzen Parteienklüngel hinter sich lassen und zur direkten Demokratie wechseln. Ohne Parteien ist dann jeder Abgeordnete für sich und seinem Gewissen verantwortlich.