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Gesellschaft

Stade désolée – Die Anwendung doppelter Standards

Doppelte Standards haben die Glaubwürdigkeit der Politik zerstört.

Der Status des Desolaten ist erreicht. Nur wer sich in eine Stimmung der Selbsteuphorisierung versetzt, kann diesen Sachverhalt noch leugnen.

Unbefriedigende Antworten

Gleichgültigkeit, Depression, Defätismus1Defätismus steht für einen Zustand der Mutlosigkeit oder Schwarzseherei. Aus diesem entspringt eine starke Neigung aufzugeben., Gier und Aggression sind die Zustände, die sich abwechseln und eines gemeinsam haben: Sie tragen nicht zu einem konstruktiven, gestalterischen und positiven Zusammenleben bei. Wie konnte es dazu kommen? Und was kann dagegen gemacht werden?

Sehr einfache und präzise Fragen, die zu beantworten jedoch vielen Menschen schwer fallen dürfte. Die zu erwartende Antwort der Generalverwalter des beklagten Zustandes wäre sicher, dass alles etwas komplexer sei, als gedacht. Doch wer gibt sich schon noch mit derartig stereotypen wie unbefriedigenden Antworten zufrieden?

Nun sind viele Aspekte seit langem zusammengetragen. Es gibt wirtschaftliche Gründe, die ungeheure Vergrößerung des Reichtums hier und die immer mehr Menschen in Würdelosigkeit ziehende Bedürftigkeit dort.

Geopolitische Entwicklungen tragen ebenso Verantwortung. Die alte Ordnung der Welt ist dahin, überall flammen Kämpfe um Macht und Einfluss neu auf und die alten Regelwerke des Umgangs wie des internationalen Rechts verkommen zu historischen Dokumenten.

Und – auch das ist etwas, das die gesamte Gesellschaft spürt – es fehlen die Ideale, die am Horizont zu lesen sind und die eine Gesellschaftsordnung, die noch eine Perspektive hat, in Zeiten der Krise als Hoffnungsschimmer aufleuchten lassen kann.

Doppelte Standards

Und gerade letzteres, die Vision, die einer Gesellschaft Strahlkraft verleiht, ist verloren gegangen. Dies liegt nicht an der mangelnden Kommunikation dieser Vision, sondern an etwas anderem. Es ist die Aushöhlung dieser spirituellen Hoffnung durch eine Technik, die immer nur kurzfristig fruchtet und dann beginnt, alle Essenzen des Lebens zu zerstören.

Die Anwendung dieser Technik ist zum Massenphänomen geworden und sie hat zu dem Stade desolée, das allgemein zu beklagen ist, geführt.

Es handelt sich um die Anwendung doppelter Standards. Was auf der einen Seite als lobenswert und gut dargestellt wird, hat im anderen Fall schon keine Daseinsberechtigung mehr. Das ergeht so dem Völkerrecht wie den der eigenen Verfassung zugrundeliegenden Wertvorstellungen. Zensur ist im Falle von Feindbildern frevelhaft, wird sie von selbst definierten politischen Freunden oder dem eigenen Beritt verübt, so entpuppt sie sich in der Darstellung als demokratische Tugend.

Politischer Nihilismus

Und so geht es weiter. Proteste in fernen Ländern gegen definierte Schurkenregimes sind urdemokratische Regungen, Widerstand gegen alles, was in den Bereich der eigenen Interessensphäre fällt, erscheint als terroristischer Akt. Die Deklination des Wertekanons durch alle Themen, die eine politische Relevanz genießen, hat zu einer Abstumpfung gegen den Kanon selbst geführt und ein Vakuum entstehen lassen, das zu füllen lange Zeit erfordern wird.

Der politische Nihilismus2Nihilismus (vom lateinischen Wort nihil, „nichts“) bezeichnet eine Weltsicht, die die Möglichkeit jeglicher objektiven Seins-, Erkenntnis-, Wert- und Gesellschaftsordnung verneint. Durch die gedankliche Orientierung am Nichts beinhaltet der Nihilismus einen absoluten Vorrang des Individuums. Dies folgt allein seinen Trieben und Neigungen, und ihm ist alles erlaubt., die Unlust zu einer politischen Vision, die zu Recht beklagt wird, ist das Ergebnis der doppelten Standards.

Damit ist auch klar, wer für die gegenwärtige mentale Krise verantwortlich zeichnet. Es sind dieselben, die die Wirtschafts-, Industrie wie die Bündnis- und Verteidigungspolitik zu verantworten haben, wie sie sich vor uns ausbreitet.

Doppelte Standards haben die Glaubwürdigkeit der Politik wie die der sie bedienenden Nachrichten- und Presseorgane zerstört. Der Überdruss, der sich überall breitmacht, ist das erste, noch zu unbestimmte Zeichen für etwas, das sich wird entwickeln und zu einer neuen Qualität wird reifen müssen. Nur die Gestaltung kann die Politik zu etwas Konstruktivem machen. Missbrauch und Vernichtung gab es genug.


Symbolfoto: Nad X (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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