Die Zeiten sind nicht einfach. Zumindest für jene, die sich darum bemühen, ein an der Realität orientiertes Bild zu zeichnen.
In einer Welt, die sich teilweise selbst als postfaktisch und virtuell bezeichnet und in der das ganz große Geld die Art und Weise bestimmt, wie und welchen Inhalts berichtet wird, kann die Suche nach Wahrheit zu einem mühsamen und auch gefährlichen Unterfangen werden.
Die Mechanismen, die die Gefahr ausmachen, sind nicht mit denen zu vergleichen, die in den Geschichtsbüchern als Diktaturen beschrieben werden. Alles, auch die Repression, hat sich verfeinert und ist anders geworden.
Verfeinerte Repression und Gleichschaltung
Diejenigen, die sich nicht mit dem Bild zufrieden geben, dass durch schnelle Adaption der ersten Erscheinungen und das Interesse derer entsteht, die stets etwas zu vertuschen haben, sind immer und zu allererst mit dem Instrument des Spottes konfrontiert.
Nachfragen, die die oberflächliche Version der kolportierten Wahrheit gefährden, sind zugleich überzogen mit Fragen der anderen Seite zur Person und ihrer Zurechnungsfähigkeit. Das geht in der Regel einher mit einer Schablone, die, ist der Delinquent oder die Delinquentin erst einmal eingepasst, zu unangenehmer gesellschaftlicher Ächtung führt.
Die Schablonen selbst könnten einfältiger nicht sein, aber dennoch wirken sie. Und sie existieren zuhauf: Klimaleugner, Europahasser, Putinversteher, alle Themen, die zu einer heftigen Debatte einladen und es erforderten, sich heftig mit veritablen Fakten und guten Argumenten zu streiten, werden dem Diskurs entzogen, indem die Zurechnungsfähigkeit der jeweils zur als herrschend konstituierten Meinung kritisch Stehenden in Zweifel gezogen wird.
Die Methode ist nicht neu, aber in dieser Perfektion hat sie eine Dimension angenommen, die von ihrer Psychodynamik her durchaus mit der Inquisition und dem Faschismus vergleichbar ist. Die andere Meinung ist letztendlich nur mit einer Behextheit oder geistigen Erkrankung zu erklären.
Das System der Gleichschaltung unterschiedlicher Auffassungen hat zu psychotischen Zuständen bei dem geführt, was in funktionierenden Gesellschaften zum Leben gehört wie die Luft zum Atmen, nämlich in dem, was immer wieder der Diskurs genannt wird.
Monologe von Stummen
Der große indonesische Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer [1], selbst über Jahrzehnte das Opfer einer Diktatur, hat eines seiner reflexiven Spätwerke ‘A Mute’s Soliloquy’ genannt, den Monolog eines Stummen.
Nun war der Mann Jahre lang auf eine Insel verbannt und dort durfte er nichts schreiben. Er entwickelte sein Hauptwerk, indem er es immer und immer wieder seinen Mitgefangenen erzählte. Bis es so in seinem Gedächtnis saß, dass er es nach seiner späten Entlassung niederschreiben konnte. Heraus kam eine Tetralogie, die das Entstehen der indonesischen Nation, einem nahezu unmöglichen Unterfangen, erklärte und sogar logisch erscheinen ließ.
So schwer es anmuten mag, das Beispiel wurde bemüht, um die Situation, in der wir uns befinden, etwas erklärlicher zu machen.
Licht im Dunkel
Oft vermittelt das, was die vielen Amateure zutage fördern, die aufgrund einer inneren Rebellion ungewollt zu Journalisten und Wahrheitssuchern wurden, den Eindruck eines Monologes von Stummen.
Stumm deshalb, weil sie im öffentlichen Resonanzkörper nicht stattfinden und ihre Darstellung der Welt einfach nur als geistig gestört oder abwegig geschildert wird.
Und ein Monolog deshalb, weil die Gegenseite, oder besser die Gegenwelt, nicht in den Streit eintritt, der notwendig wäre, um das ans Licht zu bringen, was die Grundlage vernünftigen Handelns ist und das unterstützen kann, was der herrschenden Ideologie völlig fremd geworden ist: das Gemeinwohl.
Quellen und Anmerkungen
[1] Pramoedya Ananta Toer (1925 bis 2006) gilt als bedeutendster indonesischer Autor des 20. Jahrhunderts. Er wurde mehrmals für den Literaturnobelpreis nominiert. Seine Werke wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er von 1947 bis 1949 inhaftiert. Nach dem Putsch des späteren Diktators Haji Mohamed Suharto 1965 wurde Pramoedya Ananta Toer wegen seiner Nähe zu kommunistischen Gruppen eingesperrt. Bis 1979 war er im Gefängnis. Auf der Gefängnisinsel Buru schrieb er die vierteilige Romanreihe Buru-Tetralogie, die sich mit der Entwicklung einer anti-imperialistischen, nationalen Befreiungsbewegung in Indonesien und der Kolonialzeit Niederländisch-Indiens beschäftigt. Das stark autobiographische Werk Stilles Lied eines Stummen erzählt von seiner Zeit auf Buru. Toers Schriften waren in Indonesien verboten. Erst auf internationalen Druck kam er 1979 frei. Das Land konnte er erst nach dem Sturz Soehartos im Jahr 1998 verlassen. Seit 1999 erscheinen seine Werke wieder in Indonesien. ↩
Grafik: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.