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Meinung

Ökologie als inquisitorisches Spiel

Die grüne Kritik fokussiert nicht auf die Produktion und die Eigentumsverhältnisse. Die Individualisierung der Problemlösung ist töricht.

Als gestern die Bilder durch die Nachrichtenportale gingen, die von einer Großdemonstration vor den Toren der IAA in Frankfurt berichteten, und dabei die Forderung ins Auge stach, jetzt endlich die SUVs aus den Städten zu verbannen, inszenierte sich vor meinen Augen wieder jenes irrsinnige Spiel, das seit Jahrzehnten in diesem Land aufgeführt wird.

Verbrannt in Hysterie

Das Tragische dabei ist, dass die Akteure immer unzurechnungsfähiger werden und dennoch keine Lösung in Sicht zu sein scheint. Es sei denn, irgendwann, und das sollte angesichts des Status quo schnell gehen, kämen Menschen ins Spiel, die bestimmte Dinge machten und Fakten schafften. Denn das, was als der gesellschaftliche Diskurs genannt wird, ist zumindest als öffentlicher Teil in der Hysterie verbrannt.

Zwei sich scheinbar unversöhnliche Pole stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite der ungehemmte und unreflektierte Wirtschaftsliberalismus, der mit seiner zentralen Aussage, dass alles vom Markt gerichtet würde, immer noch viele Gemüter beruhigt. Und auf der anderen Seite die mahnende Stimme vieler Ökologisten, die davor warnen, dass die Ideologie vom Wachstum ins Verderben führt.

Letzteres hat, was die Überflutung liquider Märkte mit Waren angeht, etwas evident Richtiges, zieht aber meines Erachtens in der politischen Agenda den falschen Schluss.

Ökologie, Produktion und Eigentum

Während die Marktliberalen de facto seit Jahrzehnten die politische Macht innehaben und alles verhindern, was dem freien Produzieren und Distribuieren im Wege steht, werden die Kritiker immer noch als eine Art Opposition gegen die Kräfte erlebt, die mit ihrem Tun und ihrer ungestillten Gier dabei sind, alles zu zerstören, was die Natur wie die menschliche Existenz ausmacht.

“Wem gehören die Produktionsmittel und wer verfügt darüber?”
Die grüne Kritik daran ist jedoch nicht systemisch, das heißt, sie fokussiert nicht auf die Produktionsbedingungen und nicht auf die Eigentumsverhältnisse. Stattdessen hat sie etwas eingeführt, das sehr wirkungsvoll, aber auch sehr töricht ist, nämlich die Privatisierung oder Individualisierung der Problemlösung.

So wird nicht gefragt, wer was unter welchen Bedingungen produzieren und auf den Markt bringen darf, sondern es wird darauf verwiesen, dass die Konsumenten die Verantwortung für die Verbreitung tragen. Das ist einerseits richtig, andererseits lenkt es von den eigentlichen Quellen des Produktes ab.

Fatale Augenwischerei

Dass eine marktliberale Regierung diese Argumentation gerne aufgreift, zeigt sich jeden Tag von Neuem. Schlimmer noch, es hat in der Bundesrepublik zu einem Spiel getrieben, das man als das inquisitorische bezeichnen muss. Immer dominiert ein Thema, das als aktuell ausgewiesen wird, an dem sich die Gemüter erhitzen und an dem abgearbeitet wird, wer sich zu den Guten zählen darf oder wer sich als Missetäter gerade isoliert.

“Und wer ist bereit, daran etwas zu verändern?”
Wer kauft Einwegflaschen und wer nicht, wer trennt den Müll und wer nicht, wer trägt einen Fahrradhelm und wer nicht, wer fährt einen Diesel und wer nicht, wer sitzt in einem SUV und wer nicht? Die Kette der Beispiele für das Spiel ist unermesslich lang. Dieses Spiel hat nicht nur inquisitorischen, sondern auch und vor allem den Charakter, vom eigentlichen Problem abzulenken. Insofern fällt es schwer, diejenigen, die sich an dem Spiel beteiligen oder es gar betreiben, als Kräfte zu bezeichnen, die in der Lage wären, das Problem zu lösen.

Es sei noch einmal, für alle, die sich als die Guten fühlen, wenn sie in rein symbolischen Debatten diejenigen als Hexen verbrennen, die gerade das Pech haben, das falsche zu essen oder in der falschen Karosse zu sitzen, erinnert: Wem gehören die Produktionsmittel und wer verfügt darüber? Und wer ist bereit, daran etwas zu verändern? Individuelles Konsumverhalten ist unterm Strich fatale Augenwischerei!


Symbolfoto: Jeremy Cai (Unsplash.com)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

3 Antworten auf „Ökologie als inquisitorisches Spiel“

Es ist das heutige Geldsystem, das kein anderes Denken und Handeln zuläßt. Alles heutige Streben muss dahin gehen, es durch das Vollgeldsystem zu ersetzen. Nur dann kann auch die Klima- und Wirtschaftskrise überwunden werden.

Nicht dass die Frage der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel nicht wichtig wäre.

Aber gerade wenn im Bereich Ökologie die Wissenschaft immer wieder als etwas absolut Objektives dargestellt wird , dem sich alle Politik fast kritiklos unterzuordnen habe, ist es noch wichtiger, den Status bzw. den realen Zustand dieser Wissenschaft zu thematisieren.

Denn, um es mal ganz allgemein zu formulieren:

Es ist keinesfalls außerhalb des Denkmöglichen, dass Interessengruppen versuchen könnten, über den Einsatz von in geeigneter Weise “manipulierter ” Wissenschaft ihre Herrschaft über die Produktionsmittel entweder zu behalten oder auch zu erreichen
.
Was beides (zumindest nach meiner Meinung) in demokratietheoretischer bzw. auch allgemein-ethischer Hinsicht unzulässig wäre. Die Verführung dazu ist relativ hoch, da (leider und zur Zeit ?) nur eine relativ kleine Minderheit bzw. nur eine Bildungselite von sich aus in der Lage ist , eventuellen Missbrauch von Wissenschaft zu propagandistischen Zwecken wirklich zu erkennen. Und es auch keine allzu große Kritiker-Szene diesbezüglich gibt, die einigermaßen unabhängig in der Lage wäre, die wirkliche Qualität von wissenschaftlichen Studien in Bezug auf unabhängig- objektive Wahrheitsfindung unparteiisch zu beurteilen.

Das lädt Politiker und Juristen natürlich dazu ein, irgendwie (!) “gekaufte” Wissenschaft für ihre Zwecke einzusetzen. Was ja bezüglich des “Gutachter- Unwesens” im juristischen Bereich ein altbekanntes Problem ist,
Und ebenso bei der strategischen Veröffentlichungspraxis z. B der Pharmaindustrie bezüglich auch noch von Ihr selbst finanzierter “Studien”

Es ist deswegen gerade beim Ökologiethema aber eigentlich auch generell wegen der Aufspaltung des Wissens in relativ abgeschottete “Fachbereiche” und des daraus resultierenden Fachexpertentums auch allgemeinpolitisch bedeutsam, sich mit den realen Gegebenheiten dieses Wissenschaftsbetriebes kritisch auseinanderzusetzen.

Insbesondere da leider sehr viele politische Entscheider und fast jeder Richter relativ kritiklos ein “Expertenurteil ” zur Entscheidungsfindung heranziehen.. Natürlich oft auch nur als Vorwand, um nicht als persönlich Alleinverantwortlicher für eventuelle Fehlentscheidungen gerade stehen zu müssen.

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