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Europa

Eine der Zukunftsfragen: Wie geht es weiter mit Europa?

Die Politik in der EU befindet sich in einer verhängnisvollen Echokammer. Es geht nur um Märkte, Liquidität, Ressourcen und billige Arbeitskräfte. Es ist Zeit für Gegenstrategien.

Nicht zu Unrecht stellt sich die Frage, was aus dem verunglückten Projekt Europa werden wird. Die kürzlich durchgeführten Wahlen haben ein Ergebnis hervorgebracht, das bei kühler Betrachtung zu erwarten war: Die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer, die sich überhaupt zur Wahl begeben haben, drückten ihre Unzufriedenheit mit denen aus, die für die jüngste Entwicklung der Europäischen Union Verantwortung trugen.

Um was es geht: Märkte, Liquidität, Ressourcen …

Die Parteien, die davon profitierten, profitierten von dem Unmut; dass die Wählerschaft ihnen eine konstruktive Kursänderung zutraute, ist zu bezweifeln. Sie waren Nutznießer einer Gegenreaktion. Mehr nicht.

“Billige Arbeitskräfte werden durch die Gegend geschoben wie Nordseekrabben.”
Die Gegenreaktion wird jedoch bleiben. Und, das ist das Bemerkenswerte, die Politik, die zu der Gegenreaktion geführt hat, wird seitens derer, die gewarnt werden sollten, nicht zum Anlass einer kritischen Selbstreflexion genommen werden. Sie selbst befinden sich in einer verhängnisvollen Echokammer aus den Bausteinen Lobbyismus und Bürokratie, in denen das Gehörte suggeriert, man befände sich auf einem erfolgversprechenden Weg.

Die Interessen jedoch, um die es tatsächlich geht, verlangen nach Fortsetzung. Es geht um Märkte, es geht um Liquidität und es geht um Ressourcen. Vor allem billige Arbeitskräfte werden auf dem Areal jener Gemeinschaft genauso durch die Gegend geschoben und transportiert wie Nordseekrabben. In der Nordsee gefangen, nach Marokko zum Schälen transportiert und in Dosen zurück in den Penny in Mannheim. Ökologisch nachhaltig, wie man zu sagen beliebt.

… und billige Arbeitskräfte

Mit den Arbeitskräften verhält es sich ähnlich: Polnische Köche in England, bulgarische Steineklopfer auf dem deutschen Bau, rumänische Handwerker in Italien und bald kosovarische Krankenschwestern in der deutschen Pflege. Das alles nicht wegen der wunderbaren internationalen Verständigung, sondern um die Preise für die Ware Arbeitskraft möglichst niedrig zu halten.

“Bringen wir die Akteure zusammen!”

Dabei war vor den Wahlen mit ungeheurem Aufwand der Traum noch einmal mit großen Gesten inszeniert worden. Da ginge es, so das immer wieder und wieder vorgebrachte Narrativ, um die direkte, die wahre Demokratie. Wenn Frau Von der Leyen Ausdruck dieser Idee sein soll, dann ist offensichtlich, was dahinter steckt. Leider kein Weg für die Menschen in Europa, die durch tatsächliche individuelle Leistung ein auskömmliches und kulturell inspirierendes Leben führen wollen.

Wer sich über die Unterkünfte und Lebensverhältnisse der Fremdarbeiter in Katar echauffiert, möge sich einmal die Existenzbedingungen der osteuropäischen Ausbeiner in den Fleischfabriken in Ostwestfalen ansehen und dann noch einmal berichten.

Zukunftsfragen und Gegenstrategien

Bei dem Auseinanderdriften der gewählten Regierungen der EU in puncto dessen, was jetzt eigentlich geschehen soll, ist es sehr wahrscheinlich, dass nichts Richtungsweisenderes als die gegenwärtig gelebte Praxis dabei herauskommen wird. Umso erforderlicher wird es sein, an einer Gegenstrategie zu arbeiten, die die Kräfte zueinander in Kontakt bringt, die a priori1Der Ausdruck a priori bedeutet laut Duden von der Erfahrung oder Wahrnehmung unabhängig; aus der Vernunft durch logisches Schließen gewonnen; aus Vernunftgründen. mit einer anderen Agenda arbeiten.

Es geht um die klassischen Begriffe, die aus der Zeit stammen, als der Wirtschaftsliberalismus noch lauernd in den Höhlen lag, und es geht um aktualisierte Bedürfnisse:

  • gut bezahlte Arbeit zu akzeptablen Bedingungen,
  • menschenwürdigen Wohnraum, der bezahlbar ist,
  • allen zugängliche Bildungseinrichtungen, die auf guten Niveau sind,
  • für alle verfügbares Wasser und akzeptable Luft,
  • Kultureinrichtungen, die jenseits des Konsumwahns den Sinn für Reflexion und Innovation wecken,
  • einen Frieden, der sich nicht auf kriegerische Bündnisse stützt
  • und eine demokratische Form der Selbstbestimmung, die nicht durch Algorithmen torpediert wird.

Das Ansinnen fordert zahlreiche und intensive Diskussionen, und es erfordert direkte Aktion und praktische Schritte.

Bringen wir die Akteure zusammen!


Symbolfoto: Gerd Altmann (Pixabay.com; Lizenz)

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Eine der Zukunftsfragen: Wie geht es weiter mit Europa?“

Alle Bedürfnisse sind nicht zu befriedigen, solange das heutige Geldsystem die Welt regiert. Dabei steht der Menschheit nicht mehr viel Zeit zur Verfügung. Nur dann, wenn ein Grossteil der Menschen sich aufmacht, für eine Welt einzustehen, in der Geld eine untergeordnete Stelle einnimmt und dann das Gemeinwohl wieder in den Vordergrund rückt, haben wir alle eine Chance des Überlebens.

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