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Rezension

Der Dreißigjährige Krieg: Hegemonen, Warlords und religiöse Eiferer

In diesen Zeiten drängt sich eine Auseinandersetzung mit dem Dreißigjährigen Krieg auf. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat es getan.

In einer Zeit, die geprägt ist von einer medialen Berichterstattung, die sich nicht mehr auf das Feld der Geschichte bezieht oder schlichtweg keine Kenntnis davon hat, und in der die kriegerischen Formen vor allem im Nahen Osten das vermitteln, was als große Übersichtlichkeit beschrieben werden kann, in einer solchen Zeit drängt es sich geradezu auf, sich mit dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 – 1648 zu befassen.

Der Dreißigjährige Krieg

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat das gemacht. Es ist deshalb besonders erwähnenswert, weil er sich als Politologe nicht nur mit der Rekonstruktion historischer Fakten und der Chronologie der Ereignisse befasst, sondern vor allem die soziologischen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Handlungsmuster und Strukturen unter die Lupe nimmt und sie als Folie anbietet, auch Phänomene der Gegenwart damit abzugleichen.

So ausführlich wie erforderlich wird zunächst das Geschehen und seine Protagonisten dargestellt. In der sachlichen Art und Weise und der distanzierten Berichterstattung bietet sich ein Bild, das das ganze Panorama dieses gewaltigen Krieges und seiner Konsequenzen erfasst.

Alles, was irgendwo in der Erinnerung des kollektiven Gedächtnisses abgespeichert ist, erscheint in diesem Panorama: der Prager Fenstersturz, der Aufstieg und die Ermordung Wallensteins, die erfolgreichen Feldzüge und der Tod des Schwedenkönigs Gustav Adolf1Gustav II. Adolf (1594 – 1632) war von 1611 bis 1632 König von Schweden und bis zu seinem Tod in der Schlacht bei Lützen eine der wichtigsten Figuren der schwedischen Geschichte und des Dreißigjährigen Krieges. Sein Eingreifen in den Dreißigjährigen Krieg im Heiligen Römischen Reich verhinderte einen Sieg des kaiserlichen Lagers der Habsburger und sicherte damit indirekt die Existenz des deutschen Protestantismus., Tillys2Graf Johann T’Serclaes von Tilly (1559 – 1632) war während des Dreißigjährigen Kriegs oberster Heerführer sowohl der Katholischen Liga als auch ab 1630 der kaiserlichen Armee. Siege und Niederlagen, die grausame Zerstörung Magdeburgs, der pfälzischen König ohne Land, der Diplomat Richelieu3Kardinal Richelieu (1585 – 1642) war ein französischer Aristokrat, Kirchenfürst und Staatsmann. Von 1624 bis zu seinem Tod war er unter König Ludwig XIII. als Erster Minister die bestimmende politische Figur in der französischen Politik. Im Dreißigjährigen Krieg ging Richelieu ein Bündnis mit dem protestantischen Schweden ein. Die (katholische) habsburgische Vormachtstellung in Europa sollte gebrochen werden., die marodierenden Soldaten und die geschändeten Bauern.

Nichts bleibt aus. Das gezeichnete Panorama macht deutlich, welche Auswirkungen eine derartige Kriegsführung auf das Kernterritorium und seine Bevölkerung ausgeübt haben mag und im Unbewussten noch ausübt. Deshalb ist der gewählte Titel von europäischer Katastrophe und deutschem Trauma treffend.

Hegemonialen Interessen, Warlords und religiöse Eiferer

Münkler macht in seiner Analyse deutlich, welches Amalgam von Motiven zu dem Krieg in seiner Komplexität und nicht enden wollenden Energie geführt hat. So spielten hegemoniale Motive eine gewaltige Rolle, die immer, wenn es passte, mit religiösen angereichert wurden. Zudem herrschte eine Eigendynamik durch die vor allem von Warlords gestellten Heere, denen es primär auf Sold und Karriere ankam und die nach Niederlagen problemlos in die Verbände des obsiegenden Feindes eingegliedert werden konnten.

So standen sich das katholische Habsburg und, nach einem misslungenen Versuch durch Dänemark, das protestantische Schweden gegenüber.

Die Kurfürsten verfolgten ihre ihre eigenen Interessen und sie waren mal dem Katholizismus und mal dem Protestantismus zuzuordnen. Herausragende Kräfte mit einer starken Eigendynamik waren Bayern einerseits und Sachsen andererseits.

Dann spielte der spanisch-niederländische Krieg4Im Achtzigjährigen Krieg (auch Spanisch-Niederländischer Krieg genannt) von 1568 bis 1648 erkämpfte die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen (auch bekannt als Vereinigte Niederlande oder Republik der Vereinigten Niederlande) ihre Unabhängigkeit von der spanischen Krone und damit vom Haus Habsburg. eine Rolle und es kamen die Interessen Frankreichs hinzu. Jedes Scharmützel auf deutschem Territorium bot Implikationen für das zu einem internationalen Konflikt ausgeweitete Geschehen. Was Münkler gelingt, ist eine strukturelle Analyse des Geschehens in seiner Vielschichtigkeit. Positiv hinzu kommt, dass er sich nicht dazu hinreißen lässt, die heutige Lage im Vorderen Orient komplett mit der des Dreißigjährigen Krieges zu vergleichen. Wo es Analogien gibt, zeigt er diese jedoch auf. In diesem Kontext zitiert er Ernst Blochs5Ernst Simon Bloch (1885 – 1977) war ein Philosoph. Er wird heute dem Neomarxismus zugeordnet. These von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, was als gedanklicher Hinweis sehr nützlich ist.

Westphalian Order und Diplomatie

Der Westfälische Frieden, mit dem der Dreißigjährige Krieg beendet wurde, wurde vor allem in der amerikanischen Literatur als „Westphalian Order“ beschrieben. Er markiert einen Punkt in der Entwicklung zwischenstaatlicher Beziehungen und der Disziplin, die sie gestaltet, der Diplomatie. Spätestens seit Henry Kissingers Buch „World Order“6Henry Alfred Kissinger (Jahrgang 1923) ist ein US-amerikanischer Politikwissenschaftler und ehemaliger Politiker der Republikanischen Partei. Er beeinflusste die auf Gewalt basierende Außenpolitik der USA vor allem von 1969 und 1977. Sein Buch “World Order” erschien 2014. wird darüber gesprochen, diese Zeit sei nun vorüber. Damit ist gemeint, dass sich in dem Dokument zu Münster alle Seiten darauf verständigten, religiöse Fragen beim Umgang miteinander außen vor zu lassen und sich auf etwas zu einigen, was heute als das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Gegenübers beschrieben werden kann.

Ein Blick in die täglichen Nachrichten vermittelt ein Bild darüber, wie es sich damit verhält.

Eine andere Schlussfolgerung des jahrzehntelangen Krieges war die Monopolisierung und staatliche Unterhaltung der Heere und das damit verbundene Geschäftsmodell der Warlords. Auch das hat sich geändert und unter diesem Aspekt sind die gegenwärtigen Konflikte in der Welt um ein wesentliches, kaum politisch rationalisiertes Motiv angereichert.

Die hegemonialen Interessen sind nach dem Westfälischen Frieden nicht verschwunden. Aber die religiösen und weltanschaulichen Motive wurden domestiziert und die Söldnerheere eliminiert. Gegenwärtig sind alle drei Faktoren wieder im Spiel.


Informationen zum Buch

Der Dreißigjährige Krieg: Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648

Autor: Herfried Münkler
Erscheinung: 2017
Seiten: 976
Verlag: Rowohlt Verlag
ISBN: 9783871348136

Über den Autor: Herfried Münkler (Jahrgang 1951) ist Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte. Er lehrte als ordentlicher Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und wurde durch seine Forschungen zu Machiavelli bekannt. Er promovierte 1981. Seine Dissertation Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz gilt heute als Standardwerk.


Foto (Scan, cropped): Gudrun Meyer. Ein Flugblatt von 1648 gibt den Friedensschluss zu Münster bekannt, der den Dreißigjährigen Krieg beendet. Quelle: Wikipedia; Gemeinfrei.

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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