Donnerschlag! Die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat einen Vorschlag gemacht. Muss sie auch, denn ihre Ambitionen, einmal Kanzlerin zu werden, haben in der letzten Zeit einige Dämpfer bekommen. Also raus aus der Defensive oder, um in einer Metapher ihres Ressorts zu bleiben, Angriff ist die beste Verteidigung.
Militärischer Interventionismus
Die Resonanz auf den Vorschlag fällt unterschiedlich aus. Erstaunlich jedoch, wie viele direkt positiv auf ihn anspringen. Es scheint so, auch nach dem Auftritt des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und heutigen Chefs der deutschen Atlantikbrücke, Sigmar Gabriel, im ZDF, dass jetzt der Zeitpunkt für eine stärkere deutsche militärische Präsenz auf der Welt als gekommen betrachtet wird.
Das ist übrigens folgerichtig. Wer Exportweltmeister sein will, braucht bei den heute relevanten Technologien Treibstoff aller Art und Seltene Erden. Und wenn der alte Schutzpatron, die USA, das Protektorat für beendet erklärt, dann müssen Entscheidungen getroffen werden.
Aber so weit sind wir noch nicht. AKK scheint die durch ein NATO-Mitglied entstandene irrsinnige Situation für eine neue Option des militärischen Interventionismus nutzen zu wollen. Sie plädiert für eine Schutzzone im Norden Syriens.
Gegen Schutzzonen ist grundsätzlich bei prekären internationalen Konflikten nichts einzuwenden. Sie können sinnvoll und für die Zivilbevölkerung lebenswichtig sein.
Was den Vorstoß zu einem Paradestück für das Kesselschlagen in verwirrtem Zustand macht, sind die Andeutungen zur Realisierung. Denn da soll die NATO die Regie übernehmen.
Bankrott der Logik
Normalerweise sind das die Vereinten Nationen. Die beschließen, vor allem bei völkerrechtswidrigen Interventionen, was zu tun ist, um humanitäre Katastrophen zu verhindern. Dass AKK jetzt die Initiative bei der NATO sieht, ist ein Indiz für das Risiko, dass sie selbst darstellt. Denn die Situation ist durch den völkerrechtswidrigen Einmarsch des NATO-Mitglieds Türkei erst entstanden und der IS wird bei der Intervention zudem von den türkischen Truppen unterstützt.
Also die Organisation, aus der die Aggression kam und die nicht in der Lage oder willens war, die Intervention zu verhindern, soll nun die schlimmsten Folgen des eigenen Tuns verhindern. Das ist logischer Bankrott.
Eher amüsant ist auch das nachgeschobene Ansinnen, bei der Initiative müssten auch irgendwie die Türkei und Russland eingebunden sein, sonst würde das nichts. Da hat die Verteidigungsministerin zwar Recht, doch mit dem Irgendwie ist das so eine Sache.
Russland hat sich immer auf das Mandat der eigenen Intervention durch die syrische Regierung berufen können und sich zum Völkerrecht konform verhalten. Die Türkei hat das Gegenteil getan, steht aber in starkem Maße zunehmend unter russischem Einfluss, weil sie sich im Westen zunehmend isoliert hat.
Erdogan spielt zwar gerade diese Karte gegenüber dem Westen, weil letzterer ein Abgleiten der Türkei in die Sphäre Russlands verhindern möchte. Die Karte sticht übrigens zusammen mit den syrischen Flüchtlingsgeiseln sehr gut, was die Militär- und Finanzhilfen gerade aus Deutschland zeigen.
Syrien-Initiative als Werbecoup
Nur stellt sich die Frage, warum vor allem Syrien, dann Russland und zuletzt der Invasor Türkei an einer NATO-Schutztruppe Interesse haben sollten? Weil Frau AKK Kanzlerin werden will? Wohl kaum. Wenn eine Initiative Gewicht haben könnte, dann müsste sie aus dem UN-Sicherheitsrat kommen. Ob diese dann mehrheitsfähig ist, bleibt abzuschätzen.
Der Vorschlag aus dem deutschen Verteidigungsministerium ist ein Werbecoup in eigener Sache, der allerdings ein ziemlich wirres Bild von den waltenden Kräften verrät. Das einzig Interessante daran ist die Möglichkeit der Erkenntnis, wie groß die Bereitschaft für mehr und größere kriegerische Handlungen geworden ist. Einige haben bereits die Deckung verlassen.
Illustration: David Peterson (Pixabay.com; Lizenz)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.