Verantwortung zu übernehmen ist für viele Menschen etwas, das zum Leben dazu gehört. Jeder Mensch füllt eine Rolle aus. Und zu dieser Rolle gehören bestimmte Funktionen und Erwartungen, wie diese Funktionen ausgefüllt werden sollen. Mütter und Väter machen das, Spielerinnen und Spieler verschiedener Sportarten, Mitglieder von Zusammenschlüssen und Vereinen, alle, die im Arbeitsprozess stehen, Führungskräfte und Politiker.
Brenzlig wird es, wenn der Eindruck entsteht, dass die Verantwortung, die mit einer bestimmten Funktion einhergeht, nicht angenommen wird und die Resultate dann nicht stimmen.
Auch das gibt es in allen Bereichen: Väter, die sich von dannen schleichen, Mütter, die sich nicht um die Kinder kümmern, Präsidenten, die nur glänzen, aber nicht arbeiten wollen und Chefs, die das Unangenehme, das zuweilen mit ihrer Funktion verbunden ist, einfach meiden und den Dingen ihren Lauf lassen. Dann wird davon gesprochen, dass die jeweilige Person ihrer Verantwortung nicht gerecht wird.
Wird hingegen von einer verantwortungsvollen Person gesprochen, dann schwingt immer Respekt mit, weil sich ein Mensch in Funktion auch den anstrengenden, weniger schönen Seiten seiner Existenz aktiv stellt. Wer Verantwortung übernimmt, erfährt positive Resonanz.
Die Inflationierung der Verantwortung
In der bundesrepublikanischen Politik hat sich eine Phrase Gehör verschafft, die zunehmend zu vernehmen ist. Diese bezieht sich auch auf die Verantwortung, die Deutschland jetzt endlich annehmen müsse. Gestern, auf dem Parteitag der Grünen, hat deren Vorsitzender Robert Habeck ausdrücklich darüber gesprochen, der Bundespräsident macht das bereits seit einiger Zeit, Wolfgang Schäuble weist seit langem darauf hin, Frau von der Leyen liebte diesen Hinweis sehr und ihre Nachfolgerin im Amt der Verteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, wird nicht müde, davon zu sprechen.
Psychologisch ist das klug, weil es auf die positive Resonanz, die man erhält, wenn man Verantwortung übernimmt, spekuliert. Das Problem, das mit der Inflationierung des Gebrauchs assoziiert ist, besteht im nebulösen Kontext. Zumeist lässt sich vermuten, dass damit ein stärkeres militärisches Engagement gemeint ist. Präzisiert wird es nicht.
Nun muss man kein Abenteurer mit Dreispitz und Messingfernrohr sein, um zu dechiffrieren, was die gegenwärtige Verteidigungsministerin mit Verantwortung meint, wenn es um die Entsendung von Truppen nach Syrien geht. Die Sicherung von Rohstoffen, die die deutsche Industrie braucht, um die Rolle zu spielen, die sie spielt. Dass sich in diesem Kontext die Grünen zu den gleichen Ambitionen bekennen, wie kürzlich deren Vorsitzender Habeck, der Marine mit ins Rote Meer schicken wollte, um „unsere“ Öltransporter, die nebenbei unter Billigflagge anderer Nationen fuhren, zu sichern, zeigt, dass eine Änderung der industriellen Charakteristik nicht direkt auf der Agenda steht.
Mit der Brandfackel in die Welt hinaus
Das Schräge am Gebrauch der Floskel, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen, ist ihre Entleerung in Bezug auf die Funktion und Rolle, die Deutschland in der Welt spielen will. Es ist der schleichende, heimliche Versuch, mit einer positiv besetzten Formel eine Politik durchsetzen zu wollen, die in kriegerischen Handlungen und imperialem Gehabe endet. Dafür wäre keine Mehrheit zu haben.
Das heißt nicht, die veränderte Lage innerhalb der internationalen Konstellation auszublenden.
Die USA nehmen nicht mehr exklusiv die Interessen des Wirtschaftsstandortes Deutschland wahr. Dass man daraus folgern muss, nun selbst aufzurüsten, um das Land selbst verteidigen zu können, ja. Dass man daraus folgern muss, jetzt selbst mit der Brandfackel in die an Ressourcen reichen Regionen dieser Welt zu jagen, nein.
Wie wäre es mit einer anderen Wirtschaftsordnung, die auf Kooperation, anständigen Arbeitslöhnen, fairen Preisen und Umweltverträglichkeit beruht? In der gegenwärtigen Vorstellung derer, die von der Verantwortung reden, scheint diese Option nicht vorhanden zu sein.
Übrigens: Gegenwärtig stinken sogar die viel gerühmten E-Autos, und zwar ganz penetrant. Sie stinken nach Raubbau, Kinderarbeit und Putsch.
Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Zum Wording “Wir müssen Verantwortung übernehmen”“
Realismus, aber auch Illusion in diesem Beitrag. Meint der Autor allen Ernstes, der Kapitalismus würde das kapitalistische Wirtschaften, das auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln beruht, einfach so aufgeben und sich für ein anderes Wirtschaften entscheiden? Das andere Wirtschaften wurde 1990 abgeräumt. Ein Mittelding zwischen Kapitalismus und sein Gegenteil, den Sozialismus, gibt es nicht. Natürlich wollen wir soziale Sicherheit, Umweltverträglichkeit und auch bezahlbare Waren. Dies widerspricht aber dem Wesen des Kapitalismus, er würde sich selbst abschaffen.
Was aber die Floskel “Verantwortung” angeht, so kann ich sie nicht mehr hören aus Politikermund, es schüttelt mich. Die Phrase gehört in den Umkreis von “Reformen”, “Demokratie”, “Verteidigungsministerin”. Völlig richtig, wenn “Reformen” so bezeichnet würden, was sie sind, nämlich Sozialabbau, “Demokratie” als das, was sie wirklich ist in diesem Land, nämlich die Herrschaft des Kapitals, und “Verteidigungsministerin” realistischerweise als “Kriegsministerin” bezeichnet würde – wer würde diese Herrschaften dann noch wählen? Die Euphemismen werden benötigt, um eine volksfeindliche Politik schönzureden, und das heißt: durchzusetzen, gegen den Willen des Volkes. Ich nehme an, dass sehr viele Menschen das bereits begriffen haben.
Klar, wir müssen Verantwortung übernehmen??? Wofür??? Für die Verbrechen und Kriegsverbrechen in Syrien und im Irak, in Mali und Afrika und dafür, daß unsere Politik die Amis, Franzosen, Engländer etc. dabei unterstützt, sich das syrische und irakische Öl, das Gold Malis und den ganzen Kontinent Afrika unter den Nagel zu reissen??? Nee, ich übernehme erst Verantwortung, wenn Politiker und Parteien für ihre Inkompetenz, Korruptheit und ihre Fehler auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, vorher ganz bestimmt nicht!!!!