Generell stellt sich die Frage, ob es angemessen ist, die Wahrscheinlichkeit der Bewegungsrichtung der Welt, in dem Zustand, in dem sie sich befindet, zur Voraussetzung der eigenen Verlaufsplanung zu taxieren. Das, was momentan am besten mit der Formulierung der kreativen Zerstörung – in der sich viele Gesellschaften befinden – beschrieben ist, macht es nicht sinnvoll, seine Tendenz abzuschätzen. Zu viele Unwägbarkeiten werden eine Rolle spielen.
Die mentale Krise
Gewiss scheint zu sein, dass nicht vieles so wird bleiben können, wie es heute ist. Wir befinden uns in einem Zustand, der von vielen Menschen als unerträglich empfunden wird. Die alte Ordnung zerbröselt und wie eine neue Ordnung, wenn der Begriff überhaupt noch zutreffend ist, aussehen wird, kann kaum jemand beschreiben.
Einerseits haben Endzeitphilosophen Hochkonjunktur, andererseits sind diejenigen, die eine rosige Zukunft unter der Prämisse, dass die Machtverhältnisse, so wie sie sind, erhalten bleiben, aber sich alles zum Guten wenden wird, der Glaubwürdigkeit verlustig gegangen.
Der Wunsch vieler Menschen, Antworten zu bekommen, die eine bestimmte Sicherheit vermitteln, ist weit verbreitet wie verständlich. Die Unmöglichkeit, dem nachzukommen, ist im Bewusstsein vieler vielleicht verbreiteter, als viele glauben möchten. Nur möchte sich niemand dieser empfundenen Blamage stellen. Wer keine Antworten hat, so der vorherrschende Glaube in unserem Kulturkreis, hat versagt. Also wird so weiter gemacht, wie es immer war. Es werden Antworten am Fließband produziert, die den Makel haben, dass sie in schnellem Takt falsifiziert werden. Das kostet Vertrauen und verschlimmert die mentale Krise.
Das Arsenal der Philosophie
Aber was machen, wenn die Antworten auf den Prozess der kreativen Zerstörung unmöglich sind? Um vernünftige Rückschlüsse zu ziehen, dafür ist, so meinen viele, keine Zeit. Aber ist es eine Alternative, auf dem falschen Weg fortzuschreiten, obwohl bekannt ist, dass er zu nichts führt? Ist das dann nicht ein Vorgehen, das dem Bild des Pfeifens im Walde gleicht? Wir produzieren nichtsnutzes Getöse, um unsere Ängste zu beschwichtigen, wissend, dass es die uns unbekannten Ursachen nicht zu bändigen vermag?
Im Arsenal der Philosophie befinden sich durchaus Mittel und Instrumente, die helfen könnten. Wenn es schon, wie gerade bei den Deutschen so beliebt, zu keinen neuen, komplett ausgefeilten Systemen, die die Welt zu erklären vermögen, reicht, wie wäre es dann, zu den Mitteln zu greifen, die in einer analogen Situation dazu verholfen haben, eine neue Ära zu begründen?
Wenn das Bestehende zugrunde zu gehen droht und das Neue noch nicht sein scharfes Gesicht gezeigt hat, dann ist es ratsam, sich nicht auf die vermeintlich richtigen Antworten zu konzentrieren, sondern die richtigen Fragen zu stellen. Aus den richtigen Fragen könnten Lösungsansätze entwickelt werden.
Die Revolutionäre folgen
Was dieser Strategie im Wege steht, ist das Festhalten an den alten Maximen der Macht. Das Beruhigende an dieser Einstellung ist, dass es zu nichts führen wird und diese Form des Verharrens der Vergangenheit angehören wird. Denn wer sich dem Lauf der Geschichte entgegenstellt, ob sie einem Zweck folgt oder nicht, ist dazu verdammt, als gescheitert in den Annalen zu landen.
Der Ansatz, nach den entscheidenden Fragen zu suchen, ist weder neu, noch ist er historisch zum Scheitern verurteilt. Das Zersetzende guter Fragen hat eine gute Referenz. In einer Welt, in der der Widerspruch gewaltige Ausmaße angenommen hat, ist der Verweis auf heile Welten eher lächerlich.
In den Diskursen, die zwischen Fragestellern wie Kopernikus, Galilei, Spinoza oder Erasmus und den Hütern der alten Ordnung stattfanden, entfaltete sich trotz drakonischer Gegenwehr des Alten eine Atmosphäre, die als entspanntes Lachen vor dem großen Sturm beschrieben werden kann. Den Fragestellern folgten die Spötter, den Spöttern die Revolutionäre. Stellt dem Alten die richtigen Fragen und das Neue zeigt allmählich sein Gesicht.
Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Fragensteller, Spötter und Revolutionäre“
Solange Sie, Herr Mersmann, bei Ihrer Auswegsuche aus dem heutigen Dilemma im bürgerlichen Denkkreis bleiben, werden sie nur ein Surrogat des Kapitalismus finden, der ja die Wurzel des gegenwärtigen Übels ist, aber es wird wieder der Kapitalismus werden. Das bürgerliche Denken gründet auf der Existenz der Ausbeutung der Vielen durch die Wenigen, der Ausbeutung der Boden- und Meeresschätze, also der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit. Dies kann man dem Kapitalismus auch nicht abgewöhnen, denn dann zerstört man die Lebensgrundlagen des Kapitalismus, der vom Maximalprofit existiert. Es existieren da vielerlei Illusionen, wie man anders leben könnte, aber alle leiden daran, dass sie auf denselben Grundlagen des Kapitalismus basieren, übrigens ohne, dass sich die Grübler darüber immer klar sind. Nach meiner Ansicht gibt es nur einen Ausweg aus dem heutigen Dilemma: Die Wolfsgesellschaft abschaffen, der Mensch muss der Freund des Menschen werden. Das kann nur erreicht werden mit der Umstellung der Produktionsverhältnisse, nämlich der Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Dies sieht Ihnen vielleicht zu sehr nach Sozialismus aus, und Sie haben recht, das wäre der Anfang des Sozialismus. Die Menschheit, will sie nicht in Barbarei versinken, hat heute nur noch diesen Ausweg, und es ist DER Ausweg.
Mersmann
Wer keine Antworten hat, so der vorherrschende Glaube in unserem Kulturkreis, hat versagt.
Kritik ist eine Voraussetzung für Veränderung, weshalb in den dreißiger und vierziger Jahren Kritiker als Nörgler u.a.m.abgetan wurden Im Universum werden wir bei derzeitigem Stand der Vernunft keine Antwort finden. “Dem Universum sind wir scheißegal”, so ein Titel eines Buches. Wer nicht zugibt, dass die Antworten nicht in einem höheren Wesen zu finden sind, auch dass es keinen höheren oder tieferen Sinn gibt, kann sich eigentlich in die Zeit vor Galilei zurückbeamen. Wer tatsächlich etwas bewegen will, dem bleibt nichts anderes als die harte Arbeit dem herrschenden etwas entgegenzustellen und nicht nur einmal, sondern permanent. Aus den dadurch gemachten Erfahrungen leiten sich Einschätzungen ab, welche wiederum auf das Handeln zurückwirken. Wenn diese Einschätzungen zu ganzen Theorien sich verselbstständigen, Zirkel entstehen, welche diese Theorien aufgreifen und von allen Seiten beleuchten, droht die Gefahr, dass das Ganze abhebt, gleich wie einem Ballon, dem immer mehr heiße Luft zugeführt wird.
Deshalb ist die Erdung, d.h. bei den Bedürfnissen und Notwendigkeiten zu bleiben, die menschliches Leben in Würde ermöglichen und einem jeden Erdenbürger zuerkennen, der Ausgangspunkt verändernden Handelns.
Hier kann jeder Mensch an seinem Ort, an seinem Platz, in seiner Stellung, usw. aktiv werden. Jederzeit.
Nicht der hat versagt, der keine Antworten hat, sondern derjenige, der nicht sieht, dass die Antworten sich erst aus der ständigen Rückkoppelung mit dem ergeben, was man tut.
K-H Royen, Mannheim, Nov. 2019