Erinnern Sie sich an Adolf Eichmann? Nazi, SS-Mann und Schreibtischtäter im Dritten Reich. Mitverantwortlich für die Enteignung, Deportation und Ermordung von sechs Millionen Juden. Nach dem Krieg tauchte er unter falschen Namen unter.
Eichmann und der Mossad
1950 flüchtete der Nazi-Verbrecher über die Rattenlinien nach Argentinien. Dort wurde er erkannt. Seine angebliche Entführung durch den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad im Mai 1960 lieferte Stoff für Filme, Forschung und Romane. Doch wie viel Wahrheit steckt in der Story? Die Journalistin Gaby Weber hält sie für eine Lügengeschichte.
In ihrer aktuellen Dokumentation “Onkel Arturo und der Mossad – Entführung im Dienstwagen” belegt Gaby Weber mit zahlreichen Dokumenten aus argentinischen und russischen Archiven, dass die offizielle Version nicht stimmen kann. Adolf Eichmann, so der Tenor, wurde nicht über Jahre vom Mossad gesucht und in einer spektakulären Aktion entführt, um ihn in Israel für seine Verbrechen vor Gericht zu stellen.
Viel mehr sollen Mitglieder der Regierung von Arturo Frondizi, von 1958 bis 1962 Präsident Argentiniens, den Kriegsverbrecher verhaftet haben – in einem Dienstwagen. Auch soll eine Vereinbarung zwischen Argentinien und Israel über die Abschiebung Eichmanns existieren. Vertraulichkeit wurde damals in der Sache zugesichert.
Dokumente aus Moskau
Aber reicht das alleine für eine Geschichte aus, die derartig von der Wahrheit abweicht? Nein. Der blinde Glaube an die Informationen des Geheimdienstes, ein Pakt des Schweigens zwischen den Regierungen, die in den Fall involviert waren, und strenge Geheimhaltung führten zu einer Geschichtsschreibung, die weit entfernt von der Realität angesiedelt ist. Denn mitten im Kalten Krieg ging es um viel mehr als den Mörder Adolf Eichmann. Er war ein Ablenkungsmanöver. Neue Dokumente aus Moskau bringen langsam Licht ins Dunkel.
Informationen zur Dokumentation
Onkel Arturo und der Mossad – Entführung im Dienstwagen
Argentinien: 2019
Sprache: Deutsch
Länge: 30:01 Minuten
Realisierung: Gaby Weber
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Hintergrundinformationen
Heise (15. November 2019): Der gescheiterte Abrüstungsgipfel in Paris, illegale Atomwaffentests der USA in Patagonien und Adolf Eichmann. Auf https://www.heise.de/tp/features/Der-gescheiterte-Abruestungsgipfel-in-Paris-illegale-Atomwaffentests-der-USA-in-Patagonien-und-Adolf-4586234.html (abgerufen am 19.11.2019).
Heise (18. November 2019): Sisyphos und der Aktenzugang. Auf https://www.heise.de/tp/features/Sisyphos-und-der-Aktenzugang-4587706.html (abgerufen am 19.11.2019).
New York Times (14.5.2004): Documents Show U.S. Relationship With Nazis During Cold War. Auf https://www.nytimes.com/2004/05/14/world/documents-show-us-relationship-with-nazis-during-cold-war.html (abgerufen am 19.11.2019).
Grafik: Neue Debatte mit Material von Gaby Weber
Empfehlung
Die BND-Akten über die Strafsache Eichmann
Am 11. April 1961 wurde in Jerusalem der Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann eröffnet. Er endete für den Verbrecher mit dem Todesurteil. Der Prozess, im Gedächtnis als historisches Großereignis, war der Höhepunkt einer (scheinbar) perfekten Story: Nazi-Verbrecher flieht nach Südamerika, wird erkannt, vom israelischen Geheimdienst in einer spektakulären Nacht- und Nebelaktion ergriffen und nach Israel verbracht, wo er für seine Untaten die gerechte Strafe erhält. So einfach ist die Geschichte aber nicht.
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Eine Antwort auf „Dokumentation: Eichmann, der Mossad und Akten aus Moskau“
Vermutlich stimmt die Version Gaby Webers über Eichmanns Entführung durchaus. Der Mossad wollte ja auch anfangs gar nicht mittun an der Entführung Eichmanns, die von Fritz Bauer vorgeschlagen wurde. So wurde das in der Fernsehdokumentation ja auch dargestellt, wobei der von Gaby Weber recherchierte Hintergrund mit keinem Wort erwähnt wurde. Und bezeichnend ist ja auch, dass der Prozess gegen Eichmann nur geführt wurde unter der Bedingung, dass der Name Globke nicht erwähnt werden durfte auf Drängen Adenauers. Israel lag offensichtlich nicht sehr viel an der Aburteilung des Eichmann.
Heute werden uns eine Menge Märchen über die Weltgeschichte erzählt, und es ist sehr wahrscheinlich, würden wir Menschen 200 Jahre leben können, dass dann noch mehr politische Verbrechen und Schweinereien
ans Licht kommen würden.