Mit dem Slogan „weiblicher, grüner, digitaler“ schreitet die neue EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen heute zur Abstimmung über ihr neues Team. Insgesamt 27 Personen stehen zur Wahl, davon 12 Frauen. Wie üblich hat die Präsidentin im Vorfeld bereits einige Duftmarken gesetzt.
Verbranntes Fleisch
Bei der ersten, nicht beabsichtigten, handelte es sich um ein mehrfaches Scheitern von einigen Kandidatinnen und Kandidaten, die allesamt großes Unbehagen auslösten, weil sie das Aroma der Korruption verströmten und aufgrund dessen wieder zurückgezogen werden mussten.
Einzelne Team-Mitglieder, mit denen von der Leyen heute aufwartet, haben es dennoch in sich, wie der Franzose Thierry Breton, seinerseits circa 200 Millionen Euro schwer und Koordinator verschiedener Großkonzerne, die mit einem Heerlager von Lobbyisten in Brüssel verweilen.
Die bewusst gesetzten Duftmarken von der Leyens klangen allerdings anders als grün und weiblich, sondern sie rochen nach verbranntem Fleisch.
Ganz in der Tradition ihres letzten bundesrepublikanischen Ressorts sprach sie von der Notwendigkeit, dass Europa seine Muskeln zeigen müsse, um die eigenen Interessen in Konkurrenz zu den Mächten USA und China durchsetzen zu können. Es wird ihr darum gehen, eine koordinierte europäische Militärmacht zu organisieren, die den Wirtschaftsinteressen der einzelnen EU-Mitglieder die notwendige Unterstützung liefern soll.
Dass damit Rohstoff-, Arbeitskraft- und Marktsicherung vor allem für Deutschland und Frankreich gemeint sind, dürften Länder wie Griechenland, Portugal oder auch Italien bereits begriffen haben. Das neue Ressort steht unter dem Namen „Generaldirektion für Verteidigung“ im Portfolio. Das mit Verteidigung vor allem die militärische Präsenz auf EU-fremden Territorien gemeint ist, sollte sich schnell herausstellen.
Radikales Unverständnis
Wie programmatisch außer den markigen Worten nicht viel Neues zu verorten ist: Dass nun mehr Frauen die Ämter in der Kommission bekleiden ist nicht zu verwechseln mit den Rechten von Frauen vor allem in den Ländern, die erst als künstlich installierte Märkte herhalten müssen, dann in Schuldknechtschaft verfallen und zu guter Letzt als Arbeitskräftereservoire ausgebeint werden. Die Frauen bleiben dort als der letzte, verarmte Lebensnerv in einem demontierten Gemeinwesen zurück.
Beim Thema Digitalisierung vor allem von der E-Mobilität zu schwadronieren, zeigt ein radikales Unverständnis in Bezug auf die tatsächliche Herausforderung.
Für sich ist E-Mobilität nicht grün, sondern ein den Planeten an anderer Stelle in hohem Maße belastender ökologischer Faktor. Als Camouflage in den urbanen Zentren scheint sie allerdings geeignet zu sein. Zudem ist es nicht ratsam, einer Technologie hinterherzulaufen, bei deren Entwicklung man sich – auf dem Sofa guter Absatzzahlen räkelnd – hat überholen lassen.
Sich mit Investitionen auf den nächsten Schritt, der der E-Mobilität folgen wird, zu konzentrieren, wäre zu empfehlen, existierte da nicht die Verstörung über die Ignoranz hinsichtlich der tatsächlichen Aufgabe. Die besteht darin, Konzepte und Optionen zu entwickeln, die dem Individualverkehr in der bisherigen Form Adieu sagen und neue, saubere und bezahlbare Verkehrsmittel mit der dazugehörenden Infrastruktur beinhalten.
Weiblicher, grüner, digitaler?
Und als dramaturgisches i-Tüpfelchen sei die Ankündigung von der Leyens erwähnt, die EU sozialer und gleicher machen zu wollen. Sie sprach in diesem Kontext Mindestlöhne an, die überall gelten sollten. Aus einem Land kommend, wo man sehr gut weiß, wie diese zu umgehen sind, ist sie bereits eine schlechte Referenz für dieses Versprechen.
Mit Gefährten wie Thierry Breton an ihrer Seite bekommt das Ganze noch eine ganz andere Brisanz. Breton hat sich vor allem als Haifisch in der Abwicklungsbranche von Industriebetrieben profiliert.
„Weiblicher, grüner, digitaler?“ – Mit Knarre und Geldsack im E-Mobil!
Foto: Ava Sol (Unsplash.com)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.