Was ist Krieg? Laut Clausewitz [1] die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Dieser Annahme folgend ist der Krieg gegen China bereits erklärt.
Das Imperium und die aufstrebende Macht
Mit Politik hat das, was zu erleben ist, nichts mehr zu tun. Es sind kriegerische Handlungen gegen ein souveränes Land und eine ökonomisch wie technologisch aufstrebende Supermacht. Seitens der USA und seitens derer, die ihrem Schweife stets folgen, haben die Maßnahmen bis dato wirtschaftlichen und propagandistischen Charakter. Ob sie die Vorstufe bilden für eine weitere Eskalation zum Militärischen, ist noch nicht ausgemacht. Manche beschreiben die Überlegungen, die dazu in Washington angestellt werden, bereits als das Dilemma des Thukydides [1].
Der antike Historiograf hatte eigentlich von einem Dilemma des Imperiums gesprochen, das von einer aufstrebenden Macht herausgefordert wurde. Laut Thukydides war die spätere militärische Auseinandersetzung unausweichlich, nur den richtigen Zeitpunkt zu finden war unmöglich. Allein dass diese Diskussionen in den USA stattfinden, dokumentiert den Ernst der Lage, über den sich niemand hinwegtäuschen sollte.
In der momentanen Kriegsphase geht es vordergründig um demokratisches Gut. Die Proteste in Hongkong werden gefeiert als ein demokratischer Aufstand gegen das totalitäre China. Zu denken geben sollten dennoch einige Aspekte.
Der postkoloniale Beutekampf
Der gegenwärtige Zustand Hongkongs mit seinem Sonderstatus ist das Ergebnis des Opiumkrieges seitens des britischen Imperialismus gegen China und der nach Chinas Niederlage gefertigten ungleichen Verträge, in denen China Hongkong weggenommen wurde. Die Rückgabe Hongkongs an China wurde 1997 mit einer Übergangszeit von 48 Jahren eingeleitet. Nun, nach der Hälfte der Zeit, wird versucht, diese Entscheidung zu revidieren.
Die mangelnde Demokratie, die von der Protestbewegung beklagt wird, ist die exakte Abbildung der politischen Zustände der Kronkolonie Hongkong – freie Wahlen und Demokratie herrschten dort nie. Arbeits- und Wohnbedingungen sind in der Volksrepublik mittlerweile besser als in Hongkong. Und das Ansinnen, das politische System aus einer rückständigen kolonialen Konstellation, die sich als Demokratie schmückt, herauszuführen, erweckt bei der Bevölkerung innerhalb der Volksrepublik China nachvollziehbare Irritation.
Die Berichterstattung versucht den Coup mit allen Mitteln zu kaschieren und aus einem postkolonialen Beutekampf eine demokratische Angelegenheit zu machen.
Gut gegen Böse
Dass, was sich zwischen der Volksrepublik China und der in deren Diktion nationalen Minderheit, den Uiguren, abspielt und abgespielt hat, ist an Tragik nicht zu überbieten und zeigt, wie verhängnisvoll es enden kann, wenn Fortschrittsglaube auf Traditionalismus stößt.
Allen, die sich momentan über die chinesischen Menschenrechtsverletzungen empören, sei an Information mitgegeben, dass die Uiguren, befänden sie sich woanders in der Welt und hätten sie es mit den USA zu tun, massenweise zum Waterboarding nach Guantanamo gekarrt worden wären. Der jahrelange islamistische Terror innerhalb Chinas wird hingegen mit keinem Wort erwähnt.
Dass es nahezu zum Alltag gehörte, Bombenanschläge ertragen zu müssen, oder das es auch vorkam, dass Maskierte in einer U-Bahnstation auftauchten und 30 Zivilistinnen und Zivilisten mit Macheten dahin metzelten, passt nicht in das Schema Gut gegen Böse.
Modus Vivendi
Nicht fehlen darf das Schüren der Angst im Hinblick auf den Ankauf von Technologie. Unter dem Stichwort Huawei werden Szenarien der Möglichkeit des Ausspionierens durch China gezeichnet. Dabei verhält es sich so ähnlich wie bei russischem Gas. Um sich nicht einseitig abhängig von Russland zu machen, soll, wenn es nach US-Präsident Donald Trump geht, gefracktes amerikanisches Flüssiggas gekauft werden, das mit Schiffen über den Atlantik gekarrt werden muss.
Bei Huawei geht es vor allem um Antennen, die sich bekanntlich nicht zum Ausspionieren eignen. Dass, so ganz nebenbei, die deutschen Sicherheitsdaten auf privaten amerikanischen Clouds abgelegt sind, ist deshalb beruhigend, so der Punk-Anachronismus Sascha Lobo, weil es sich bei den USA um ein demokratisches Land handele [3].
Bei Politik handelt es sich um die zivilisierte Form des Diskurses, in dem unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen und versuchen, sich soweit wie möglich zu gegenseitigem Vorteil auf einen Modus Vivendi [4] zu einigen. Mit diesem Vorgehen hat das, was in Bezug auf Chinas Auftauchen als Wirtschaftsmacht von den hiesigen Medien veranstaltet wird, nichts zu tun. Und es verkennt die Vorteile, die die gegenwärtig noch existierenden Wirtschaftsbeziehungen mit China mit sich bringen.
Krieg gegen China
Deutschland befindet sich in dem Dilemma, einerseits dem Krieg der USA gegen China folgen zu wollen, andererseits aber den wirtschaftlichen Austausch mit China fortsetzen zu wollen. Man kann es drehen und wenden, wie man will, der begonnene Krieg ist der falsche Weg.
Quellen und Anmerkungen
[1] Carl von Clausewitz (1780 – 1831) war ein preußischer Soldat im Rang eines Generalmajor, Heeresreformer, Militärwissenschaftler und -ethiker. In seinem unvollendeten Hauptwerk Vom Kriege setzt sich Clausewitz mit der Theorie des Krieges auseinander. Seine Überlegungen und Theorien über Strategie, Taktik und Philosophie, die bis in die Gegenwart an Militärakademien gelehrt werden, aber auch Grundlage liefern für Marketing und Unternehmensführung, hatten Einfluss auf die Entwicklung des Kriegswesens in allen westlichen Ländern. ↩
[2] Thukydides (454 v. Chr. bis etwa 396 v. Chr.) war ein Stratege und antiker griechischer Historiker aus Athen. ↩
[3] Kolumne von Sascha Lobo auf SPON: Das chinesische Jahrhundert als Drohung. Auf https://www.spiegel.de/netzwelt/web/digitale-zukunft-entsteht-in-china-eine-digitale-drohung-kolumne-a-1298520.html (abgerufen am 29.11.2019). ↩
[4] Mit dem Begriff Modus Vivendi, der nicht einheitlich Verwendung findet, wird generell eine Übereinkunft, eine Verständigung und dergleichen bezeichnet. ↩
Illustration: Myriam Zilles (Pixabay.com; Lizenz)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.