Manchmal bedarf es der Anwendung der Verfremdungstechniken eines Bertolt Brecht, um zu verdeutlichen, wie ungeheuerlich Geschehnisse sind, die in einer Welt des Abstrusen als normal wahrgenommen werden.
Man stelle sich folgendes Szenario vor:
NATO-Generalsekretär Stoltenberg weilt in seiner Funktion in einem europäischen Land, sagen wir einmal Deutschland, zu Konsultationen über die Erhöhung des deutschen Militärbeitrages. Und plötzlich schlägt an dem Ort, wo derartige Dinge gerne verhandelt werden, etwas abseits des Tagesgeschäfts, irgendwo am Tegeler See, eine russische Rakete ein und tötet sowohl den NATO-Generalsekretär als auch einen hohen Unterhändler aus dem deutschen Verteidigungsministerium. Der russische Präsident Wladimir Putin teilt kurz darauf über Twitter mit, es habe sich um eine rein defensive Maßnahme Russlands gehandelt. Stoltenberg sei ein schlimmer Finger, der kräftig dabei sei, weitere Aggressionen gegen Russland vorzubereiten und daher sei die Aktion gerechtfertigt.
Die Ermordung von Suleimani
Was in dem angenommenen Setting klingt wie ein bizarrer Thriller, dem nicht viel an Realistischem abzugewinnen ist, ist in der heutigen, außenpolitischen Realität der USA das Normale. Um das zu beschreiben, lohnt es sich nicht, all die Rechtszustände und Vereinbarungen zu zitieren, die sich auf den zivilen Umgang der Nationen miteinander beziehen, vor allem nicht das Völkerrecht.
Die ballistische Hinrichtung des iranischen Generals Suleimani ist ein kriegerischer Akt, der mit keinem Recht der Welt zu rechtfertigen ist. Begründet wird dieses mit seinem Konto in Bezug auf feindliche Aktionen gegen die USA. Wenn das reichte, um Drohnenmorde zu begründen, dann wäre der amerikanische Präsident in Bezug auf seine Bilanz in Sachen Humanität, Ökonomie, Ökologie und Atmosphäre zum Abschuss freigegeben. Ein derartiger logischer Schluss ist im Innern des Imperiums nicht vorgesehen, was nicht ausschließt, dass man sich dessen woanders besinnt.
Ein terroristischer Anschlag
Es ist anzunehmen, dass man nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen europäischen Hauptstädten entsetzt ist über diese amerikanische Eskalation in einer sehr geschundenen und fragilen Region. Es geht schließlich um Krieg und Frieden. Es geht um Henkerregimes wie Saudi Arabien, denen man selbst hilft, sich bis an die Zähne zu bewaffnen, es geht um die USA, die sich nicht mehr als Verbündeten erweisen, sondern sich derzeit als reine Kriegstreiber erweisen und es geht um die eigenen Sicherheitsinteressen.
Letztere sehen anders aus als auf einen neuen Krieg im Nahen Osten zuzusteuern. Man ist allerdings mit von der Partie, wenn man nichts anderes aufbietet, als das von den USA selbst produzierte Negativregister des Opfers nachzureden.
Dass Suleimani – bei aller Vorsicht – seinen nationalen wie regionalen Nimbus besonders durch seinen Kampf gegen den IS erworben hat, seinerseits ein bestialisches Produkt taktischer amerikanischer Hemmungslosigkeit, wird geflissentlich in der Berichterstattung übersehen. Stattdessen wird das Opfer eines terroristischen Anschlags schlichtweg dämonisiert. Und wer auf die ansonsten bei derartigen Ereignissen auftauchende Diktion eines feigen, verabscheuungswürdigen Anschlag wartet, kann sich auf den Sanktnimmerleinstag einrichten.
Mit dem Teufel im Bett
Die Lage spitzt sich zu, die Kriegsgefahr steigt. Das strategische Ziel der USA ist die Vernichtung des Irans. Mit im Boot dieses Vorhabens sind sowohl Saudi Arabien als auch Israel. Israel ist die Geisel, macht es nicht mit, wird es den Wölfen zum Fraß vorgeworfen, macht es mit, hat es sich lediglich unbestimmte Zeit gekauft, aber den Untergang sicher auf dem Erbschein stehen. Wer mit dem Teufel ins Bett geht …
Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Suleimani – Von einer ballistischen Hinrichtung“
Israel als Geisel der US-Politik?
Im Fall Iran dürfte Netanjahu die USA eher angetrieben. haben. Das ist seine Politik schon seit langem. Obama hat sie nicht mitgemacht. Trump willfahrt Netanjahu. Andererseits kann man bei Trump nichts Kohärentes sagen.