Nein, es geht hier nicht um den General Qasem Soleimani. Wenn, dann nur indirekt. Was neben der Art und Weise, wie er vernichtet wurde, eine große Rolle spielt, ist die Begründung, warum das getan wurde.
Die Sprengkraft der Argumentation
US-Präsident Donald Trump betonte, Soleimani habe zum einen viele amerikanische Opfer auf dem Gewissen gehabt, die das Resultat von von ihm inszenierten Terroranschlägen gewesen seien. Und zum anderen hätten ihm, dem Präsidenten, geheimdienstliche Informationen vorgelegen, die besagten, dass der iranische General weitere Angriffe auf US-Bürger und US-Eigentum geplant hätte. Deshalb handele es sich bei der Aktion um einen Akt der Selbstverteidigung.
Einmal abgesehen davon, dass sogenannte Amerika-Spezialisten aus den üblichen Think-Tank-Gefilden sowie der Bundesaußenminister in Nachrichtensendungen und in Talkshows diesem Räsonnement des US-Präsidenten folgten, indem sie zwar bekannten, ihnen lägen die Geheimdienstinformationen nicht vor, aber wenn es so sei, wie gesagt, dann wäre die Aktion weder völkerrechtswidrig noch moralisch verwerflich, birgt die Argumentation Sprengkraft.
Vom logischen Gehalt umfassten die Worte Trumps, einmal unabhängig vom Wahrheitsgehalt der unterstellten Fakten, zwei Argumentationslinien:
- Vergeltung für Geschehenes, entschieden im Kopf des Präsidenten, und
- pro-aktive Gewaltanwendung aufgrund einer nicht belegten Annahme.
Man stelle sich eine derartige Begründung eines Kapitalverbrechens vor einem Gericht in einem sich als Rechtsstaat bezeichnenden Gemeinwesen vor. Das Urteil wäre scharf und konsequent, wenn nicht die Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung sogar wahrscheinlicher wäre.
Imperialismus ohne Maske
Die zumeist auch von den US-Alliierten so akzeptierte Begründung der Liquidierung Soleimanis spricht die Sprache des Imperiums. In früheren Zeiten hätte die Terminologie der politischen Auseinandersetzung so etwas wie „Imperialismus ohne Maske“ bezeichnet. Es ist bekannt, wie die Sache ausgeht, wenn das Imperium derartig alle Hemmungen verliert und jeden Akt des Handelns in seinem unmittelbaren Interesse als durch die Existenz des Imperiums selbst als genug begründet betrachtet.
Dadurch wurden und werden Kräfte mobilisiert, die sich legitimiert sahen und sehen, mit den gleichen Mitteln zurückzuschlagen. Je nach Ausgang der Auseinandersetzung enden sie als Terroristen oder als erfolgreiche Revolutionäre oder Protestler. Ja, die Sieger schreiben die Geschichte. Und wer dem Terror der Herrschenden den eigenen Terror entgegensetzt, ist nur solange ein Terrorist, wie er im Kampf unterliegt. Setzt er sich durch, wird er zum Befreier.
Warum dieser spitzfindig erscheinende kleine Exkurs? Weil der illustriert, an welchem dramatischen Punkt sich die gegenwärtige Entwicklung des Westens befindet.
Die Beschwörungen, vor allem des Historikers Heinrich August Winkler [1], den die Bundesregierung so gerne einlädt, um über den „langen Weg nach Westen“ als einer Route zu Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu referieren, erscheint unter dem Licht der gegebenen Begründungsmuster für kriminelle und kriegerische Handlungen wie eine Blaupause des eigenen Verfalls. Da blinken die Zähne einer sozialdarwinistisch agierenden Meute in der Abendsonne der Demokratietheorie.
Angesichts der zur Schau gestellten Hemmungslosigkeit, mit der die Repräsentanten der USA ihr Handeln begründen, stellt sich die Frage, wie lange es noch dauern wird, bis aus dem eigenen Land der Widerstand sich in einer analogen Form artikulieren wird. Und so, wie es in den USA verläuft, so verläuft es auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung hier auf dem Vorhof des eurasischen Festlands. Der Ring, so scheint es, ist frei für einen Kampf ohne Handschuhe und Kopfschutz, ohne Schutz der Kombattanten und ohne Reglement. Es wird ungemütlich!
Quellen und Anmerkungen
[1] Heinrich August Winkler (Jahrgang 1938) ist ein deutscher Historiker. Von 1957 an studierte er Geschichte, Philosophie, Öffentliches Recht und Politikwissenschaft an den Universitäten in Münster, Heidelberg und Tübingen. Später lehrte er als Professor für Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin. Im Jahr 2000 erschien im Verlag C. H. Beck sein Werk “Der lange Weg nach Westen”. In zwei Bänden (Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik und Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung) setzt sich Winkler mit der deutschen Geschichte in der Zeit von 1806 bis 1990 auseinander. ↩
Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.