So trivial es klingt: Der Vorteil eines Redenschreibers, wenn er oder sie denn gut ist, besteht darin, dass er sehr schnell und unter unruhigen Bedingungen in der Lage ist, das Notwendige griffig zu formulieren.
Obama und die Weltpolitik
Dass bereits 2018, also zwei Jahre nach Ende von Barack Obamas Präsidentenzeit, ein mehr als fünfhundert Seiten umfassendes Werk vorliegt, das in lockerem, gut lesbarem Ton geschrieben ist und sowohl die politischen Schwerpunkte als auch die innere Psychologie dieser Periode illustriert, ist dem Redenschreiber Obamas, Ben Rhodes, zu verdanken.
Vom Wahlkampf 2008, über die zwei Wahlperioden bis zum Tag der Inauguration von Obamas Nachfolger, Donald Trump, werden die Ereignisse und Begebenheiten erzählt, die in das Narrativ des ersten US-Präsidenten afro-amerikanischer Provenienz passen.
Was den bei Amtsantritt Obamas noch jüngeren Rhodes schockierte, war die Differenz zwischen der Programmatik des Wahlkampfes und dem tatsächlichen Erbe eines Amtes, bei dessen Ausübung nicht einfach alles auf Null gestellt werden kann. Obamas Bürde, so Rhodes, bestand darin, die großen Hypotheken wie Verwerfungen der Bush-Ära korrigieren beziehungsweise zu einem schlechten Ende führen zu müssen. Zentral dazu gehörte der Irak-Krieg und alles, was mit dem zweifelhaften Krieg gegen den Terror zusammenhing.
Obamas Strategie, in geordnetem Rückzug sich aus den Aggressionsarealen vor allem im Nahen Osten zu verabschieden, kostete ungeheure Kraft und gelang dann doch nicht.
Nicht, dass bei einem solchen Buch zu erwarten wäre, dass die Grundfesten der US-Doktrin, nämlich die Werte-Dominanz des eigenen Systems in Zweifel gezogen würden. Was jedoch sehr interessant zu lesen ist, ist wo Obama und sein Team die Schwerpunkte setzten, wo sie Ziele erreicht haben und wo sie weshalb gescheitert sind.
Betrachtungen des Inner Circle
Da waren Versprechen aus dem Wahlkampf, wie die Aufspürung und Liquidierung Osama Bin Ladens, da waren der Abzug der Truppen aus dem Irak, da war die Weigerung, eigene Truppen nach Syrien zu schicken, da war die Ukraine-Krise, da war das Thema Guantanamo, da waren die Klimaziele und da war der Versuch, die Beziehungen zu Kuba zu normalisieren.
Diese Ereignisse und Begebenheiten aus der Perspektive des Inner Circle noch einmal zu betrachten, ist dahingehende hilfreich, auch aus der Begrenztheit der Möglichkeiten von Regierungshandeln bestimmte Schlüsse zu ziehen.
Was auffällt, ist das Kuriosum, dass Ben Rhodes als Redenschreiber wie als Verantwortlicher des präsidialen Sicherheitsrates es vor dem eigenen Auge fertigbringt, nicht die Triebkräfte zu erwähnen, die letztendlich die expansive und imperiale Linie der USA bestimmen. Die innere Kontroverse reduziert sich auf die Spannungen mit den Republikanern, die interessant und furchtbar, aber nicht erschöpfend ist.
Die Pressure Groups von den verselbständigten Geheimdienstorganisationen bis hin zu den Lobbyisten aus dem militärisch-industriellen Komplex, der globalen Digital-Konsortien und der traditionell dominanten Ölindustrie werden nicht in einem Satz als regierungsrelevante Faktoren erwähnt.
Dennoch ist die erzählte Geschichte authentisch, weil sie, ohne dass es der Autor vielleicht intendiert hat, die Dilemmata der Machtausübung sehr eindringlich zum Vorschein bringt.
Einsamkeit als Hauptpreis
Die einzelnen Episoden, die nichts anderes als spätere Weltgeschichte sein werden, beschreiben das kleine, einzelne Individuum in der großen Apparatur der Macht, deren Eigendynamik und die Strategien derer, die darin überleben wollen.
Dazu gehören die körpereigene, permanente Adrenalinüberproduktion, der permanente Hype und die faktische Liquidierung der privaten Sozialsysteme.
Man überlebt, und der erste Preis ist die Einsamkeit.
Informationen zum Buch
Im Weißen Haus – Die Jahre mit Barack Obama
Autor: Ben Rhodes
Seiten: 576 Seiten
Verlag: C.H.Beck
Erscheinung: Februar 2019
ISBN: 340673507X
Illustration und Foto: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.