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Despotie: Herrschaft und Tabu

Der Zeitgeist ist auf eine Tabuisierung zurückzuführen, die jeden Akt einer im Schlingerkurs befindlichen Regierungsführung unter Schutz stellen soll.

Was ist die Signatur einer aufgeklärten Zeit? Richtig! Es ist die Verbannung des Tabus in die Arsenale der Vergangenheit.

Eine Form der Despotie

Wenn Tabus herrschen, dann ist das der Ausdruck einer unausgesprochenen Herrschaft von Menschen, Interessen und Konventionen. Letzteres ist in der Menschheitsgeschichte eher der Normalfall. Doch wenn die Form von Herrschaft vor allem vom Tabu bestimmt wird, dann ist auch der Diskurs über die Herrschaft unterbunden. Wenn nicht mehr gefragt werden darf, warum etwas so ist, wie es ist, dann ist die Herrschaft der Vernunft entzogen. Man könnte auch sagen, alles, was dem Räsonnement verwehrt wird, ist eine Form der Despotie [1].

Es existieren Tabus, die sich vor allem auf das Sittenleben beziehen, die einem tiefen gesellschaftlichen Konsens entspringen. Sie beziehen sich auf das Zusammenleben und ergeben durchaus einen Sinn. Die Menschenrechte sind so ein Beispiel.

Wenn es ein Tabu ist, Menschen zu diskriminieren, wenn es ein Tabu ist, Menschen in ihrer Meinungsfreiheit zu beschränken oder wenn es tabu ist, ihnen das Recht auf Freizügigkeit zu verwehren, dann ist das eine Sache, die der Zivilisation wie der Vernunft entspringt. Wenn es jedoch nicht mehr gelingt, die vernünftige Grundlage eines unausgesprochenen Tabus zu erklären, dann ist auch in dieser Gesellschaft etwas schief gelaufen.

Das Tabu der Nachfrage

Der Zeitgeist, auf den wir gesellschaftlich im Hier und Heute treffen, ist jedoch auf eine ganz andere, exzentrische Weise auf eine Tabuisierung zurückzuführen, die jeden Akt einer erratischen Regierungsführung unter Schutz stellen soll.

Jede wie auch immer geartete Form von Regierungshandeln unterliegt dem Tabu der Nachfrage. Wir alle kennen es: Wer nachfragt, welche tatsächlichen Interessen hinter militärischen Interventionen außerhalb des eigenen Territoriums stecken, wer sich erkundigt, warum eine Regierungskrise in Hongkong die Regierung mehr erregt als ein Bürgerkrieg im benachbarten Frankreich, wer wissen will, welchen ökologischen Impact militärische Operationen haben oder wer generell danach fragt, warum einerseits kritische Stimmen mit dem Bann belegt werden während andere, eindeutig interessenfinanzierte Meinungsmacher ein breites Forum bekommen, wird zum Paria erklärt – zumeist mit dem zynischen Kommentar, wer wirres Zeug rede, müsse damit rechnen, auch Gegenwind zu bekommen.

Alle, wirklich alle despotischen Herrschaftsformen haben sich des Mittels bedient, diejenigen, die die herrschaftsbedingten Tabus hinterfragt haben, ob ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit anzuzweifeln, um sie dann, bei Bedarf, wenn der Ruf der Delinquenten erst einmal ruiniert war, zu vernichten.

Das Beispiel Julian Assange zeigt, wie despotisch es zugeht. Weil er das Tabu gebrochen hat, den Terror und die Folter der Mächte des „Guten“ mit Schweigen zu belegen, soll er nun vernichtet werden. Und, denken wir an die Gedenkfeiern der letzten Tage und den eindringlichen Appell der überlebenden Opfer des Holocausts, die Reaktion der demokratischsten Gesellschaft aller Zeiten ist Gleichgültigkeit!

Bigotte Pietisten

Geistig verwirrte, von Russland bezahlte, von Verschwörungstheorien besessene, von der Komplexität der Welt überwältigte stehen denen gegenüber, die jeden Herrschaftsmythos unreflektiert glauben schenken und sich in einer langweiligen, öden, überall immer gleichen Welt eines platzenden Warenmarktes als Gewinner der Globalisierung von den tatsächlichen Profiteuren und ihren Meinungsmaschinen feiern lassen.

Sie gleichen, dieser Hieb sei erlaubt, den bigotten Pietisten aus grauer Vorzeit, die jedes Tabu dazu nutzen, ihren eigenen, kleinlichen, selbstsüchtigen und schmutzigen Interessen im Schutze der Dunkelheit nachzugehen.

Diejenigen, die die profanen Tabus unserer Tage auf den hell erleuchteten Seziertisch werfen, ihnen gebührt Respekt. In jeglicher Hinsicht.


Quellen und Anmerkungen

[1] Die Despotie (oder Despotismus) bezeichnet eine Herrschaftsform, in der ein Herrscher die uneingeschränkte Herrschaft ausübt, dies auch im Sinne einer Gewalt- und Willkürherrschaft.


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