Wir wollen uns nicht mit dem bloßen Überleben zufriedengeben, in einer Welt, die unseren Bedürfnissen und Wünschen nicht entspricht. Was wir wollen, ist eine Freiheit ohne Kompromisse und ohne Vermittlung, eine Freiheit, die wir in einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung basiert, nicht finden können, einer Gesellschaft wie diejenige, in der wir leben. Eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung der Individuen, ihre freie Übereinkunft und der freie Ausdruck ihrer Verlangen nicht möglich ist. Aus eben diesen Gründen drängt uns unsere unaufschiebbare Suche nach Freiheit die Frage nach der Veränderung der Welt, die uns umgibt, auf.
Über die Kritik an der Gesellschaft …
Die Gesellschaft, in der wir Leben, setzt sich hauptsächlich aus institutionalisierten Beziehungen zwischen Individuen und zwischen Gruppen von Individuen zusammen, das heißt, Beziehungen, welche von einem Set von Normen reguliert werden, welche für alle Individuen gelten sollen. Diese Beziehungen werden von Personen, Strukturen und Traditionen aufrechterhalten und reproduziert.
Einige Beispiele für solche institutionalisierten Beziehungen sind: die Familie (die Institutionalisierung einer Liebesbeziehung zwischen zwei Individuen und der Verhältnisse mit ihrer Verwandtschaft), die Arbeit (die Institutionalisierung der menschlichen Aktivität, in welcher ein Teil der Gesellschaft ausgebeutet wird, damit er den Reichtum für einige wenige Individuen produziert), die Geschlechterrollen (die Institutionalisierung des Mann-Frau-Verhältnisses durch die Erschaffung der Rollen), die Hierarchie (die Institutionalisierung des Entscheidungsprozesses zum Vorteil einer Minderheit), das Privateigentum (die Institutionalisierung des Besitzverhältnisses zum Vorteil einer besitzenden Minderheit), die Autorität …
Diese Beziehungen definieren unsere Position und unsere Rolle im Innern der Gesellschaft. Was wir Anarchisten an der Gesellschaft kritisieren, ist genau diese Institutionalisierung der Beziehungen, die die Grundlage dafür schafft, dass ein Teil der Gesellschaft durch eine Minderheit ausgebeutet wird, und die die Individuen daran hindert, sich selbst frei zu definieren, die eigene Beziehung zu Anderen ausgehend von einer Grundlage der Gleichheit zu definieren und, schlussendlich, über das eigene Leben zu entscheiden.
… und ihre Mängel
Diese institutionalisierten Beziehungen sind nicht die einfache, von selbst entstehende Konsequenz aus den Beziehungen zwischen Individuen, die in jeder Gesellschaft existieren, sondern die Konsequenz einer Gesellschaft, die auf dem Prinzip der Autorität basiert und dazu neigt, die Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern zu vereinheitlichen und zu normalisieren, um sie besser kontrollieren zu können und ihr eigenes Funktionieren und Fortbestehen zu sichern.
Aus diesem Grund gibt es in dieser Gesellschaft Institutionen, die dazu dienen, die Reproduktion dieser institutionalisierten sozialen Beziehungen zu garantieren. Schule, Polizei, Arbeit … Institutionen, die fern davon, abstrakt zu sein, aus realen Strukturen und Personen bestehen.
Um die Gesellschaft zu verändern, kann die Kritik der institutionalisierten Beziehungen ein erster Schritt sein, aber nicht genügen. Bloß zu sagen, was falsch ist, hat noch nie etwas verändert. Zu versuchen, die Beziehungen mit anderen auf einer individuellen Ebene zu ändern, ist sicher eine Möglichkeit, aber für uns ist auch diese Möglichkeit zu beschränkt. Im Grunde ist das, was wir verändern wollen, die Gesellschaft, und auch wenn wir verändern können, was direkt um uns herum ist, werden diese Veränderungen – solange eine gesellschaftliche Struktur existiert, die die bestehenden Beziehungen reproduziert und aufrechterhält – nicht fähig sein, über diese Gesellschaft hinauszugehen.
Vom Angriff …
Die Rolle der Institutionen in der Aufrechterhaltung und Fortbestehen der bestehenden Beziehungen bringt uns zur Frage des Angriffs auf die Strukturen. Wenn wir diese Gesellschaft verändern wollen, wird das Angreifen und Zerstören der Strukturen zur Notwendigkeit, um etwas Neuem und anderem Platz zu machen. Es ist kein Zufall, dass in allen Revolutionen und Aufständen etwas vom ersten, das angegriffen wird, die Strukturen sind (Regierungsgebäude, Bullenposten, Militäranlagen, Kirchen, Gefängnisse, Schulen, Fabriken …). Das Angreifen dieser Strukturen hat auch einen direkten Einfluss auf die Beziehungen zwischen den Individuen.
Der Angriff auf eine Struktur der Macht, also eine Unterbrechung des normalen Funktionierens der Gesellschaft, kann zu einem Ausgangspunkt für die Subversion der sozialen Beziehungen, für die Veränderung der Gesellschaft werden.
… zur sozialen Revolution
Eine Revolution ist ein Moment, in dem der Angriff auf die Strukturen der alten Gesellschaft verallgemeinert wird, was eine Situation der gewaltsamen Umwälzung der Gesellschaft, ihrer Regeln und der Beziehungen zwischen den Individuen kreiert, und die konkrete Veränderung dieser Beziehungen ermöglicht, frei von den alten Strukturen. In solchen Momenten des Chaos wird es wichtig, neue Beziehungen zu erschaffen, auf eine Art und Weise, dass die alten Strukturen sich nicht wiederaufbauen können.
Redaktioneller Hinweis: Der Artikel “Die Welt verändern” erschien anonym im Dezember 2012 in “Aufruhr – Anarchistisches Blatt” (Zürich, Nummer 2, Jahr 1). Er wurde von der Anarchistischen Bibliothek archiviert und von Neue Debatte übernommen, um eine kritische Diskussion über den Begriff der Freiheit und die weltweit zunehmenden sozialen Kämpfe, die sich an den Rändern der Gesellschaft entwickeln, zu ermöglichen. Der Text wurde redaktionell überarbeitet. Einzelne Absätze wurden eingefügt und Abschnitte zur besseren Lesbarkeit im Netz hervorgehoben.
Illustration: Neue Debatte
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4 Antworten auf „Die Welt verändern“
Humbuk,
Freiheit ohne Kompromisse in der gesamten Gesellschaft kann es gar nicht geben, weil sich die persönlichen Freiheitsvorstellungen an denen der Anderen reiben werden und auch müssen. Junge, Junge,Junge….raucht ruhig weiter.
Ein schöner Gedanke: Eine freie Gesellschaft, die die Freiheit des Einzelnen garantiert und in der der/die Einzelne seine/ihre Freiheit leben kann, ohne dadurch andere einzuschränken und somit wiederum eine freie Gesellschaft garantiert.
Leider „mit dieser Menschheit“ nicht machbar, da diese den Freiheitsbegriff gleichsetzt mit zügellosem, ausbeuterischem Ausleben des eigenen Egos und Anarchie als lebensfeindliches Chaos begreift.
Vielleicht gelingt es irgendeiner nachkommenden Spezies, mit einem reiferen Bewusstsein, welche weder ihre Nachkommen, noch den Heimatplaneten zerstören und dieses Verhalten als Freiheit definiert.
Meine Gedanken über die Freiheit für alle:
Gesellschaftliche Veränderungen können nur initiiert und etabliert werden, wenn die Einen nichts verändern wollen, da der Status quo ihrer Ansicht nach alternativlos sei, jedoch die Anderen Alternativen kennen, mit denen das Neue gestaltet werden kann.
Die menschliche Weltgesellschaft kann nur Überleben und ihre Zukunft wahren, wenn das ganze gesellschaftliche Leben, die sozialökonomischen Zielfunktionen, die Inhalte und Funktionsweisen der ökonomischen, politischen und ideologischen Strukturen grundlegend zum Besseren hin verändert werden. Dazu bedarf es vorausgreifender humanistischer Konzepte und Strategien, die über ein solides Fundament verfügen. Niemand in der Welt hat jeweils fertige Lösungen an der Hand. Darum kann ein solches Fundament nur aus dem Zusammenwirken aller Beteiligten und im Diskurs über die jeweiligen Sichtweisen erwachsen.
Um die für Veränderungen notwendige Entscheidungsfreiheit zu erlangen, müssen wir vorurteilsfrei nach Wahrheiten suchen, und wir müssen unsere Erkenntnissen und Erfahrungen in freier Meinungsäußerung kommunizieren.
Eine Möglichkeit, viele Menschen zu konkretem Handeln zu motivieren ist die Nutzung der sozialen Netzwerke. Durch sie können Alternativen, Theorien, Meinungen, Vorstellungen, Erkenntnisse, Visionen und so weiter das gesellschaftliche Bewusstsein bereichern und davon ausgehend Veränderungen zum Besseren hin bewirken. Denn, wie es Karl Marx feststellte, „wird die Theorie zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.
Heute gilt es für uns alle mehr denn je mit- und füreinander da zu sein, indem wir mittels unserer Erkenntnisse, unserer kreativen Begabungen und entsprechend aller unserer Kulturen ein besseres Morgen heute zu beginnen.
Worum geht es in unserer Gegenwart, da unsere Welt immer mehr von der allgemeinen Krise der kapitalistischen Wirtschaftsweise geprägt wird, die sich dadurch äußert, dass sie in kurzer Zeit aufeinanderfolgend in vielen Varianten erscheint, wie Wirtschafts- und Finanzkrisen, Staatskrisen, Strukturkrisen, humanitäre Krisen, Terrorkrisen, Flüchtlingskrisen, auch der Corona-Krise und so weiter.
Das auf Sand gebaute Kartenhaus der neoliberalen Global-Player fällt zusammen und wir alle müssen uns darauf einstellen, dass aggressives Gegeneinander um geostrategische Einflusssphären, um Rohstoffe, Energiequellen, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte fast immer mit Zerstörung und Krieg endet.
Mehr Demokratie bedeutet vor allem Entscheidungsfindungen durch das Zusammenführen der Kompetenz der Betroffenen und der Macher zu fundieren. Nur so können notwendige Veränderungen in der Gesellschaft richtig erkannt und zielorientiert durchgesetzt werden. Da es in der Politik immer um die Durchsetzung von Interessen oder deren Ausgleich geht, muss es in jedem Fall, um wahrhaftiger Gerechtigkeit möglichst nahe zu kommen, darum gehen, ob durch die jeweils zu beschließenden Entscheidungen ein von allen Beteiligten anerkannter Nutzen stimuliert werden kann.
Nicht das Maximum, das die einen durchsetzen wollen und auch nicht das Minimum, das den anderen zugestanden werden soll, sollte das angestrebte Ergebnis von Debatten, Verhandlungen oder anderen demokratischen Auseinandersetzungen vor Entscheidungsfindungen sein, sondern ein alles erfassendes Optimum. Allerdings muss hierbei auch unbedingt bedacht werden, dass es vom Entwicklungsstand der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse abhängt, wer sich entsprechend seiner Befindlichkeiten und seiner Ansprüche letztendlich durchsetzen kann und wer nicht. In vielen Fällen muss erst einmal um die Bedingungen, die es ermöglichen ein gerechtes Optimum auf demokratischem Wege zu erreichen, gerungen werden. Demokratie herrscht, wenn die von Entscheidungen Betroffenen die Macher direkt wählen können, wenn sie direkt über ihre Befindlichkeiten mitbestimmen und wenn sie an der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens direkt mitwirken können.
Die durch die kapitalistische Wirtschaftsweise entstehenden gesellschaftlichen Widersprüche müssen zum Wohl aller Menschen gelöst werden.
Der Beginn einer neuen Phase der wissenschaftlich-technischen Revolution, geprägt durch die rasche Entwicklung der Hochtechnologien und ihren massenhaften Einsatz mit der Folge eines tiefgreifenden Wandels in den Wirtschaftsstrukturen, konstituiert eine weitere Umbruch-Situation in der Geschichte der Menschheit. In den Kernprozessen der materiellen Produktion bildet sich ein neuer Typ der Produktivkräfte heraus der vor allem durch die komplexe industrielle Nutzung von Naturgesetzen in Gestalt der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechnologien und der Biotechnologien, durch Lasertechnologien wie auch den Einsatz neuer Werkstoffe gekennzeichnet ist.
Schrittweise findet eine zeitliche und räumliche Entkopplung von Mensch und Maschine statt. Der Mensch löst sich aus der Einbindung in den Rhythmus der Maschinerie heraus. Diese wesentliche Veränderung im Produktionsprozess und die Steigerung der Arbeitsproduktivität im Verlauf des wirtschaftlichen Strukturwandels eröffnen nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für die Persönlichkeitsentfaltung, für die Überwindung von Unterentwicklung, Hunger und Mangelkrankheiten, für wahrhaft humanistisches Verhalten entsprechende zwischenmenschliche Verhältnisse und für die Ausweitung sinnvoller Freizeit.
Jedoch Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen lassen sich nicht willkürlich herbeiführen. Der Wille aufzubegehren entsteht per se, wenn die vermeintlichen Machthaber nicht mehr so weitermachen können wie bisher, da sie dem Chaos, das sie angerichtet haben nicht mehr Herr werden und wenn die Unterdrückten nicht mehr weiter so mitmachen wollen, da sie erkannt haben, dass es gute Alternativen gibt.
Damit die notwendigen Veränderungen erfolgreich durchgesetzt werden können, ist es notwendig, dass es Vorstellungen gibt, wie denn was verbessert werden müsste und mit welchen Zielstellungen die Veränderungen auf demokratischen Weg erreicht werden können. Um diejenigen die von gesellschaftlichen Missständen betroffen sind zu motivieren, sich am Widerstand gegen Missstände und an der Neugestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu beteiligen, sollte man sie zuerst fragen, was brauchst du um gut leben zu können, warum willst du es so und wie kannst du es erreichen?
Durch das gemeinsame Suchen nach Antworten auf diese Fragen wird gemeinsames Handeln ermöglicht. So lange die gesellschaftlichen Strukturen, entsprechend der von profitgierigen Finanzoligarchen und deren scheinheiligen Machtmarionetten initiierten Scheindemokratien funktionieren, haben Wahlen, Volksentscheide und so weiter eine Gemeinsamkeit: Sie werden kaum etwas oder gar nichts zum Besseren hin verändern. Aber sie bieten die Möglichkeit Alternativen und Aktivisten ins Gespräch zu bringen, die diese gemeinsam mit der Mehrheit der Bevölkerung aufgreifen und jene unter den notwendigen gesellschaftlichen Bedingungen zielorientiert etablieren könnten.