Kennen Sie das? Da erzählt jemand eine Geschichte, packend, mit Witz und ernsten Passagen. Sie reißt so richtig mit, und alle, die sie hören, wissen, dass sie nicht so ganz stimmt, dass da bestimmte Sachen ignoriert und andere überbetont werden. Aber alle finden die Geschichte so toll, dass sie das beiseite lassen. Denn sie möchten, dass die Geschichte tatsächlich so gewesen ist, wie sie gerade erzählt wird. Und deshalb halten alle auch an dieser Version fest.
Die geliebte Story der CDU
Immer wieder wird sie erzählt, bis, ja, bis fast alle glauben, dass die Version, die erzählt wird, sich mit der historischen Wahrheit deckt. Und wenn es das Schicksal will, dann kommt irgendwann, zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn er ist in einem solchen Fall immer ungünstig, die Wahrheit zutage und zerstört die allseits so geliebte Geschichte, die man sich bei jeder Gelegenheit erzählt hat.
Das Mindeste, was dann dahin ist, ist die eigene Glaubwürdigkeit. Für menschliche Wesen eine ganz gefährliche, existenzbedrohende Angelegenheit.
Wer hätte je gedacht, dass es ausgerechnet die CDU einmal ereilen würde! Sie, die sich selbst immer als die Mitte der Gesellschaft definiert hat. Sie, die stets bei politischen Gegnern sehr schnell von Rändern sprach und dazu immer eine Theorie parat hatte, nämlich die des Totalitarismus. Rechts wie links agierten die Feinde der Demokratie und die CDU war die große Kraft des Maßes und der Integration. Und die anderen, in deren Gesellschaft man schnell kommen konnte, wenn man sich nicht der CDU anschloss, die anderen konnten im Handumdrehen zu Feinden der Demokratie abgestempelt werden, wenn sie unbedacht handelten.
Das Arsenal des Totalitarismus
Und nun, ausgerechnet in einer ohnehin schon turbulenten Zeit, kommen genau die Fakten wieder hoch, die in dem Narrativ der Partei nie eine Rolle gespielt haben. Denn die Funktionseliten, die in jeder Partei, in der sehr viel organisiert werden muss, eine dominante Rolle spielen, diese sogenannten Funktionseliten stammten historisch gleich mehrmals aus dem Arsenal des Totalitarismus.
Die erste Welle kam nach dem Krieg in die West-CDU und spielte eine dominante Rolle.
Hans Globke, Mitverfasser der Rassegesetze, Kurt Georg Kiesinger, antisemitischer Propagandist im Rundfunk des Außenamtes, Hans Filbinger, Marinestabsrichter; Kanzlerberater, Kanzler und Ministerpräsident, sie hatten das Parteiabzeichen der NSDAP getragen, waren dort in mächtigen Positionen und wurden zu Markenzeichen der Nachkriegspartei der Mitte. Eine Aufarbeitung dieser Geschichte fand nie statt, weil sie in dem Narrativ, das alle so lieben, nie vorkam.
Die CDU und das SED-Regime
Und hätte eine Partei nicht genug mit dem Totalitarismus einer Generation zu tun, bei der großen Stunde der Wiedervereinigung wurde die komplette Ost-CDU, ihrerseits in der indigenen Bevölkerung des inhalierten Gebietes auch gerne als Blockflöten tituliert, mit einem kräftigen Zug einverleibt.
Auch deren kooperative Ausmaße mit dem SED-Regime wurden nie erwähnt, auch das fand in der Erzählung, die alle so gerne hören, nie statt. Und was nicht stattfand, muss bekanntlich nicht aufgearbeitet werden.
Umso emsiger wird aus den Reihen der großen Totalitär-Kontingente der Vorwurf gegen alle anderen laut formuliert. Nahezu grotesk mutet es an, wenn ausgerechnet diese Partei der Linken vorwirft, sie verkörpere den Totalitarismus der einstigen DDR.
Ehrlich gesagt, im Vergleich zur CDU hat die Linke unerbittlich und schmerzhaft über die eigene Geschichte nachgedacht und ihre Schlüsse gezogen. Es heißt nicht, dass sie nicht so manchen Reflex noch pflegte, der aus den alten Tagen stammt. Aber, auch personell, lassen sich keine Parallelen zur CDU finden, bei der nahezu flächendeckend die kompletten Organisationseinheiten umgewidmet wurden und über Nacht die Absolution erhielten. Und wer die hat, der hält besser die Schnauze, wie es so treffend heißt.
Gute Nerven
Die schöne und so gerne erzählte Geschichte von der Mitte ist leider auserzählt. Es sind Zeiten für Menschen mit guten Nerven!
Illustration: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Die CDU als Opfer der eigenen Erzählung“
Vielen Dank für diesen Artikel! Ich habe gestern einen anderen wunderbar recherchierten Artikel ” Wieviel SED steckt in der CDU ” im web.de gelesen und erstaunt hat mich der Inhalt nicht, im Gegenteil! Es war doch klar, daß viele der SED Kader nach dem Mauerfall speziell in die CDU eintreten würden, denn die CDU war ( und ist leider immer noch) an der Macht, kann und konnte sie beschützen vor den Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen, die sie in der DDR begingen. Ich denke, die SED Kader die in die PDS eingetreten sind, sind bei weitem weniger! Und die CDU war noch nie besonders ehrlich oder gründlich, wenn es darum ging und geht, erstmal vor der eigenen Tür zu kehren, bevor man mit dem Finger auf andere zeigt. Und wenn ich an die Machenschaften und Seilschaften und Netzwerke und angeblichen V- Leute der Nazis denke ( von denen man weiss), die von Herrn Maaßen in seiner Zeit als Verfassungsschutzpräsident von Steuergeldern finanziert, unterstützt und beschützt wurden und leider immer noch werden, und was er damit an Vertrauen in die Demokratie zerstört hat, wird mir wirklich ganz anders. Die Werte Union ist das beste Beispiel inwieweit man auf die demokratischen Grundsätze dieser Partei vertrauen kann und wie weit unsere Demokratie von dieser Partei schon herunter gewirtschaftet wurde. Und wenn man dann noch sieht, wie wenig sich diese Partei um die Opfer der neuen Nazis schert und die Zahlen kleinrechnet ( immerhin wußte man spätestens seit 1992 in Hoyersverda, daß wir durch den Mauerfall ein Nazi Problem haben) und es erst jetzt 2019, nachdem einer aus ihren eigenen Reihen ermordet wurde die Aufmerksamkeit der ” hohen Politik” der CDU bekommt!!! Ich sage nicht, daß alle CDU Politiker so scheinheilig, verantwortungslos,machtgeil, inkompetent und geldgierig sind, Herr Kretschmer aus Sachsen scheint ja seine Sache richtig gut zu machen und auch ein aufrichtiger Mensch zu sein, dem wirklich sowohl an der Demokratie, als auch an den Menschen in seiner Heimat etwas liegt, aber leider gehen die paar Hanseln in dem großen Haufen unter… Schade!!!