Kennen Sie das? Da ist irgendwo ein Spiel im Gange, von dem alle denken und wissen, dass es in die falsche Richtung führt, aber es geht weiter und weiter. Die Konstellation der Beteiligten ist fatal, das Misstrauen herrscht vor und die Versuche, aus dem verhängnisvollen Zirkel der Verwerfung auszubrechen, schlagen fehl.
Der Weg ist Desaster
Alle sind im Recht und niemand sieht sich genötigt, die eigene Position zu verlassen. Also geht die ganze Sache einem Desaster entgegen.
Selbst dann, wenn einzelne Teile des Ensembles beginnen, sich zu besinnen, um doch noch die komplette Handlungsunfähigkeit abzuwenden, führt es zu nichts, weil neben den Akteuren, die im inneren Kreis des Geschehens Verantwortung tragen, auch noch Dirigenten hinzukommen, die von außen jeden Versuch, so etwas wie Vernunft oder Gemeinwohl walten zu lassen, mit den verhängnisvollen Dogmen der eigenen Hausideologie sabotieren.
Was in solchen Situationen eigentlich bleibt, ist der Aufstand derer, in deren Namen dort gehandelt wird. Sie sollten nicht einfach nur rebellieren und Mülltonnen in Brand stecken, nein, sie sollten demonstrativ selbst – vielleicht anfangs auch nur symbolisch –, die Regierungsgeschäfte übernehmen und damit dokumentieren, dass die politische Handlungsfähigkeit der waltenden Akteure nicht mehr gegeben ist.
Natürlich ist die Rede von Thüringen und natürlich muss hier noch etwas gesagt werden zu der sektiererischen Haltung der CDU.
Aber stellen Sie sich vor, ein Komitee zur Geschäftsführung Thüringens würde am Montag die Presse rufen und darüber berichten, wie es weitergehen soll. Die direkte Demokratie würde aktiviert, Betriebsräte, Kommunalparlamente und die Assoziationen von Unternehmern wie Verbrauchern setzten sich zusammen und berieten, wie es weiter ginge. Das wäre wesentlich konkreter als das Lamento über das furchtbare Stück, das da im Landtag aufgeführt wird.
Die Partei der Altnazis
Wahrscheinlich wäre das die konstruktivste Art, um den Unwillen zur Schau zu stellen, der durch das Handeln vor allem von FDP und CDU entstanden ist.
Während sich die FDP öffentlich entschuldigt hat, was sie allerdings nicht glaubwürdiger macht, legt die CDU momentan ein Schauspiel hin, das sie in hohem Maße als das erscheinen lässt, was sie schon immer war: ein Sammelbecken für sehr unterschiedliche politische Positionen und Akteure; für Konservative aus Bürgertum und Kleinbürgertum, für Christlich-Klerikale, für mittelständische Unternehmer, für Altnazis und für offene und verdeckte frühere SED-Mitglieder.
Das ist ein Punch, der, steht er einmal zu lange auf dem Herd, explodiert und das ganze Interieur versaut.
Der Augenblick ist jetzt – und alle haben es bemerkt, nur die Chefideologen im Berliner Hauptquartier noch nicht. Welche Tragik, dass die sich immer selbst als Volkspartei Begreifende nicht in Schönheit, sondern als hässliche Fratze dahin stirbt. Das Schicksal kann brutal sein. Aber, wie hieß einer der Erziehungsleitsätze der Nachkriegspädagogik? Richtig: Wer nicht hören will, muss fühlen.
Zeichen setzen!
Doch so schrecklich der Blick auf das Tagesgeschehen auch immer sein mag, wer nach vorne blickt, kann sich die Welt neu modellieren und dabei Hoffnung schöpfen.
Natürlich gibt es auch Dystopien, aber das Geschäft sollte den politisch Depressiven überlassen bleiben. Also stellt sich, ganz konkret, nun die Frage, von wem in Thüringen die Initiative ausgehen könnte, um keine, wie immer auch das Wahlrecht aushebende „Expertenregierung“ installieren zu lassen, sondern die Wählerinnen und Wähler selbst in die Geschäftsführung des Landes zu bringen.
Gewerkschaften, Verbände und Kommunen haben eine einmalige Chance, ein Zeichen zu setzen, das in die Zukunft weist!
Politische Verantwortungslosigkeit hat den Finanzkapitalismus entfesselt. Namenloses Unheil richtet er an. Es ist zu befürchten, dass grenzenloses Wachstum auch grenzenlose Zerstörung bedeutet. Es reicht aber nicht, das Schicksal und das verantwortungslose Wirken der Politik zu beklagen. Es müssen Wege gefunden werden zur Überwindung einer überholten Politik und des inhumanen Finanzkapitalismus.
Teil 1 – Kapitaldiktatur oder Souveränität der Menschen
Teil 2 – Die Verfassung vom Volk als politischer Befreiungsschlag
Teil 3 – Die gewaltlose Massenbewegung und die politische Machtfrage
Teil 4 – Die politische Bürgerbewegung und Regionalkonferenzen als Ausgangspunkt echter Demokratie
Illustration und Foto: Neue Debatte
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
4 Antworten auf „Thüringen: Die Regierung selbst übernehmen!“
“Welche Regierung die beste sei? Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren.” (Johann Wolfgang von Goethe)
Hallo, Gerhard Mersmann, habe IhrenBeitrag mal sogleich an das Netzwerk Courage in Erfurt, sowie an Mehr Demokratie, Thüringen gesendet. ;-)
Auch hier wird die Frage “Wie weiter nach Erfurt” debattiert:
https://www.claudia-klinger.de/digidiary/2020/02/11/wie-weiter-nach-erfurt/#comment-314929
Und so habe ich den ‘Selbstregierungs-Aufruf’ auch dort verlinkt.
Bravo, Gerhard Mersmann, sehr weit gesprungen! Vielleicht sogar weiter als die Spunggrube? Ich gaube: Ja! Wer Visionen hat, sollte sicher nicht zum Arzt, vielleicht in die Politik? Die Politik lebt aber davon, Kompromisse zu finden. (Da kann es schon mal passieren, dass der Souverän vergessen wird!)
Wer monentan noch die kleinen Schritte bevorzugt, der ist gut aufgehoben bei: http://www.kuendigtramsteinairbase.de, Pfingstsamstag, 30. Mai 2020 in Berlin.
Save the date – and – See you later, aligator!
10000000000 Millionen Kudos für diesen Artikel! Vielen Dank!!! Endlich mal die einzige echte Demokratie, nämlich die direkte Demokratie ansprechen und vorschlagen, nochmals vielen Dank! Denn mit der direkten Demokratie werden die Lobbyisten, Korrupte Politiker und die Konzerndiktatur endgültig ausgebootet! Die sollen mal versuchen 80 Millionen Menschen zu kaufen, da haben sie dann endgültig ein richtiges Problem und die Steuergelder gehen dann auch wieder dahin, wo sie hingehören, in die Infrastruktur, in die Gesundheitsfürsorge sprich Krankenhäuser mit vollem Pflegepersonal, in die Bildung und Schulen/ Universitäten usw., nicht wie jetzt in Flughäfen die jeden Tag Millionen kosten und trotzdem nicht funktionieren, in weit überhöhte Politikerdiäten, in Beratergehälter die nur noch utopische Steuerverschwendung sind etc… Vielen Dank für diesen Beitrag!