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Meinung

Aggression gegen Syrien: Bruch des Völkerrechts als Bündnisfall?

Wie kann das Schurkenstück zusammengefasst werden? NATO wie Europa lassen sich von einem Kriegstreiber erpressen.

Es kam, wie es kommen musste! Die Duldung einer militärischen Aggression im Sinne des Völkerrechts hat zu einer Lage geführt, die – besonnen ausgedrückt – als prekär gekennzeichnet werden muss. Und selbst das Motiv der Handlung ist in den Statuten der NATO nicht als Ursache für den Bündnisfall vorgesehen. Aber wer sich auf die Akzeptanz von abweichendem Verhalten einlässt, darf sich nicht wundern, wenn die Spirale weitergeht.

Bis zum Flächenbrand

Die Türkei ist dabei, einen Konflikt weiterzutreiben, der nicht nur dort, wo sie bereits aktiv ist, zu verheerenden Wirkungen führt, sondern es ist abzusehen, dass eine Kettenreaktion zu kriegerischen Handlungen führen wird, die als ein Flächenbrand enden können.

Das militärische Eindringen der Türkei auf syrisches Staatsgebiet wurde zwar mit eigenen Sicherheitsinteressen begründet, hatte und hat aber zum Ziel, die Kurdenfrage ein für alle Mal im Sinne des neuen osmanischen Imperialismus zu lösen.

Es ging von Anfang an darum, die auf syrischem Gebiet lebenden Kurden zu vernichten oder zumindest zu zerstreuen. Eine tatsächliche Bedrohung türkischen Hoheitsgebietes durch kurdische Peschmerga oder durch syrische Einheiten stand nie zur Debatte. Dennoch wurde seitens der NATO die Aggressionshandlung gebilligt.

Bündnisfall durch Erpressung?

Dass sich die türkische Operation nun als ein – im wahren Sinnes des Wortes – Schuss nach hinten herausstellt und sich eine aus Sicht des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schmachvolle Niederlage andeutet, bringt ihn auf die grandiose Idee, bei der NATO den Bündnisfall einzufordern.

Dass diese Forderung eskortiert wird von einem Erpressungsversuch, macht die Sache noch unappetitlicher. Das türkische Außenministerium betonte, sollte keine Hilfe kommen, würde man die Grenzen nach Europa für die zwei Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich auf türkischem Staatsgebiet aufhalten, öffnen. Letzteres kann als eine Drohung verstanden werden, die nicht nur in Deutschland zu traumatischen Reaktionen führt.

Was zeigen diese Vorfälle? Sie machen deutlich, dass Mangel an Haltung sehr oft zum Dilemma führt. Oder anders, um den ganz dem Volksmund entlehnten Satz zu zitieren: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.

Werte als Argument für Krieg

Die Contenance ist längst verloren, wenn man betrachtet, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass ein Verteidigungsfall, und nur dazu sind militärische Operationen vorgesehen, dann vorliegt, wenn das eigene Hoheitsgebiet bedroht ist.

Mit dem, anders kann es nicht genannt werden, Geschwafel von den deutschen Interessen, die auch am Hindukusch verteidigt werden, wurde bereits vor langer Zeit der Grundstein gelegt für eine verfassungsmäßig nicht vorgesehene Politik der Einmischung in das Geschehen anderer Länder.

Alles, was folgte, war folgerichtig. Und zwar die folgerichtige Entwicklung eines Fehlers, der, je weiter die Verstrickungen fortschritten, zu immer größeren Verwerfungen führte und weiter führen wird.

Die demagogische Begründung von Kriegshandlungen mit dem Argument der Werte, die natürlich exklusiv auf deutschem Boden definiert werden, ist ein Muster, das seit den Balkankriegen immer wieder verwendet wird.

So ist es kein Wunder, dass just in dem Moment, als die türkische Aggression in Syrien zu einem Debakel für die Invasoren zu werden scheint, der deutsche Außenminister mit der humanitären Lage in Syrien genau diese Argumentation wieder aufgreift. Insofern ist davon auszugehen, dass ein Lernprozess weder stattgefunden hat, noch zu erwarten ist.

Das Schurkenstück

Die humanitäre Katastrophe der durch die Invasion betroffenen Kurden ist damit nicht gemeint. Wird deren Vernichtung, wie es so fruchtbar heißt, billigend in Kauf genommen, damit der Erpresser vom Bosporus nicht die Schleusen öffnet, und die syrischen Kriegsflüchtlinge wieder auf den europäischen Kontinent ziehen lässt? Vieles spricht dafür.

Wie kann das Schurkenstück zusammengefasst werden? NATO wie Europa lassen sich von einem Kriegstreiber erpressen. Die Frage, um die es geht, ist recht schlicht zu formulieren: Führt der Bruch des Völkerrechts zum Bündnisfall?


Historische Betrachtung

Die heutige Situation im Nahen Osten

Was treibt die Konflikte im Nahen Osten an? Der französische Historiker Olivier Flumian hat die Situation in einer 3-teiligen Serie aufgearbeitet. Es ist der Schlüssel zum Verständnis einer Region, die durch die geopolitischen Gegebenheiten am Vorabend des Ersten Weltkriegs massiv beeinflusst wurde.

Von einem Weltkrieg in den nächsten (Teil 1/3)

Von 1945 bis 1990 – Spielball im Kalten Krieg (Teil 2/3)

Vom Ende des Kalten Krieges zum Arabischen Frühling (Teil 3/3)


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Illustration: Neue Debatte

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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