Das Ende des Kapitalismus zeichnet sich ab. Das System, errichtet auf Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung, ist an seine Grenzen gestoßen. Es taumelt von einer Krise in die nächste, weil es diese selbst hervorruft. Der Umgang mit dem Corona-Virus, der in Medien, Wirtschaft, Politik und letztlich Gesellschaft punktuell panikartige Verhaltensmuster hervorruft, ist dabei nur eine Nuance – die nächste Krise wird nicht lange auf sich warten lassen.
Ein radikaler Bruch mit dem System, der ein gutes Leben für alle im Einklang mit der gebeutelten Natur ermöglicht, wäre die Lösung.
Ein Umdenken ist aber selbst in unberechenbaren Krisen weder in den Chefetagen der Konzerne auszumachen, noch bei den selbsternannten Politikeliten, die sich auf Gedeih und Verderb dem kapitalistischen Wahn aus Wachstum und Profit verschrieben haben. Mit ihnen ist ein Neustart nicht möglich, sondern nur ein “Weiter so”.
Dabei mutiert das Konstrukt unübersehbar zu einer Gefahr für die gesamte Menschheit. Doch es gibt einen Ausweg, den der Wiener Autor Robert Foltin in seinem neusten Buch beschreibt: “Vor der Revolution”, erschienen im Verlag Mandelbaum, ist eine durchaus hilfreiche Zusammenfassung, um die Entstehung revolutionärer Auseinandersetzungen zu verstehen, die in eine (gerechtere) post-kapitalistischen Gesellschaft münden können. Nur einen Komplex verbirgt Foltin durch den Schleier aus feinen Beobachtungen und klaren Argumenten: Die dunkle Seite jeder Revolution.
Vor der Revolution
Auf 136 Seiten skizziert der Publizist, warum der Fall der kapitalistischen Ordnung unvermeidbar ist, und welche (entscheidende) Rolle soziale Bewegungen dabei spielen werden.
Aus der Enge österreichischer Politik, die, ob konservativ oder rechtspopulistisch, auf der neoliberalen Agenda surft, zieht er unter dem Hinweis “(…) der Kapitalismus ist der Kern aller Probleme” den Weitwinkel auf. Die sich anbahnende “ökologische Katastrophe” – inklusive Dieselskandal, Klimawandel und der Kohlendioxidbelastung durch den ausufernden Luftverkehr – findet neben dem Prozess der “kreativen Zerstörung” und dem in der Gesellschaft per se anzutreffenden Rassismus (“[…] er existiert in der Bevölkerung und ist nicht neu.”) ausführliche Beachtung im Kapitel “Einfach Kapitalismus”.
Auf der Suche nach der Arbeiterklasse führt Foltin die Leserschaft bis zu Owen Jones. Der Journalist fasste die Verachtung der Medien und der herrschenden politischen Elite sowie der “britischen Mittelklasse” für das ökonomisch und somit zunehmend sozial abgehängte Proletariat, kategorisiert mit dem Begriff “Chavs”, zusammen. Diese Gruppe, die sich in jedem Land findet, hat auch in Österreich keine politische Repräsentanz mehr, wohl aber medial erzeugte Sündenböcke: Ausländer, Migranten, Flüchtlinge.
Im Politischen vollendet sich die vermeintliche Rache der Abgehängten über das von den Medien aufgepäppelte rechte Lager. Foltin schreibt nachvollziehbar: “[…] Die Rechte wird aus Enttäuschung über die Nichtbeachtung der sozialen Frage gewählt, nicht aber, weil von ihr eine Lösung erwartet wird.”
Andere Optionen kennt das “demokratische” System ohnehin nicht. Foltin stellt fest: “[…] Im Gegenteil, neben Wachstum und Kapitalismus in verschärfter neoliberaler Form werden uns nur Nationalismus und Rassismus als Alternativen angeboten, die alles in einen Kampf gegen die Anderen umwandeln möchten.”
Zwei Köpfe ein Gedanke
Kritisiert wird die nur formal existierende Gleichheit der Geschlechter, die real nicht gegeben ist, und, mit Bezug auf den britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch, der den Begriff der Postdemokratie prägte, die (Dauer-)Krise der Demokratie, die durch eine unbeschränkt wirkende kapitalistische Ökonomie überlagert wird. Diese Dominanz treibe die Parteien in eine nicht klar definierte politische Mitte, “sodass sich die Inhalte kaum mehr unterscheiden”.
Politische Auseinandersetzungen seien nur mehr Marketing, immer weniger Schichten würden sich an Parteien gebunden fühlen und Wahlen würden als Werbespektakel gesehen.
Parallelen zu den Analysen von Rainer Mausfeld (“Warum schweigen die Lämmer?” und “Angst und Macht”) drängen sich auf: zwei Köpfe ein Gedanke sozusagen, auch wenn die Argumentationsketten des deutschen Kognitionswissenschaftlers nicht Gegenstand in Foltins “Vor der Revolution” sind.
Die Autonomie der Migranten
Foltin reflektiert auf verschiedene soziale Bewegungen, den Arabischen Frühling, die Abschottungspolitik und greift ein vernachlässigtes Detail im Kapitel “Sichtbarwerden” heraus: Die Autonomie der Migranten.
“[…] Aber Migrant_innen und Refugees wehren sich. Immer wieder gelingt es ihnen, trotz zusehends brutaler werdender Abwehrmaßnahmen, die Grenzen zu überwinden. Das alleine ist schon Ausdruck von Widerstand”, schreibt Foltin, wohl auch schon in dunkler Vorahnung, was sich an den EU-Grenzen künftig abspielen wird.
Den als humanitären Akt verklärten “Sommer der Migration” bewertet er mit dem nötigen Abstand zum Narrativ der bürgerlichen Mitte. “Tatsächlich ist bloß der übliche Rassismus und dessen ideologische Vorherrschaft kurzfristig durchbrochen worden.”
Der Widerstand gegen das Bestehende, der konsequent aus einer gewaltlosen Perspektive dargestellt wird und den Weg zum guten Leben ebnen soll, zeigt sich zudem in der Vielfalt der Projekte, die sichtbar werden.
“[…] Ich finde die Formen einer nicht-kapitalistischen Struktur in existierenden selbstorganisierten Experimenten, besonders aber in den Strukturen der jetzigen und zukünftigen sozialen Bewegungen.”
In ihnen wird der Keim gepflanzt für ein gutes Leben für alle – sofern der Kapitalismus verschwindet. Freiwillig werden dessen Protagonisten das Feld aber nicht räumen, das weiß Foltin auch; und am Runden Tisch ist der Kapitalismus höchstens zu Anpassungen fähig, die ihn stabilisieren, somit fern von grundlegenden gesellschaftlichen Umwälzungen sind. Hat Foltin bei seiner lohnenden Betrachtung die Bedeutung eines wichtigen Aspekts vergessen, der sich im Wort Revolution versteckt?
Ein mächtiger Satz
“Der Weg zu einer revolutionären Umwälzung”, schreibt Foltin im Abstract, “öffnet sich vor unseren Augen”. Die “Welle des Feminismus”, die unter anderem von Greta Thunberg motivierte Klimabewegung sowie die zahlreichen Proteste weltweit, finden sein Wohlwollen, verkörpert in dem Satz “Das erste Mal seit langem wird wieder die Systemfrage gestellt”. Das Aber lässt Foltin auf dem Fuß folgen: “Unter einer Revolution wird es nicht gehen”, prognostiziert er im Vorwort. Allein dieser mächtige Satz auf Seite 9, der jeden Revoluzzer streichelt, verdient besondere Beachtung, weil er hart in die Knochen geht.
Die historische Erfahrung lehrt, dass die Gewalt sowohl zärtliche Geliebte als auch unbarmherzige Unterdrückerin der Revolution ist. Schließlich entsprang der moderne Staat, in dem die kapitalistische Klassengesellschaft und ihre Grausamkeiten gehegt und gepflegt werden, dem Schoß der Französischen Revolution.
Die Revolutionäre selbst überführten ihre entfesselte revolutionäre Gewalt mittels Tribunal und Guillotine in die bürokratische Terrorherrschaft, von Maximilien de Robespierre verklärt als Ausdruck unbeugsamer Gerechtigkeit. Von dort führte der blutige Pfad in die durch Paragrafen heiliggesprochene Gewalt des bürgerlichen Staates, der sein Gewaltmonopol unter anderem dazu einsetzt, Revolution gewaltsam zu verhindern – in der Gegenwart beispielhaft zu beobachten bei den Protesten der französischen Gilets jaunes (Gelbwesten) oder der Revolte in Chile.
Weiterführung erwünscht
Revolution und Gewalt flanieren also offenherzig als untrennbare Liebende, die nicht einmal der Tod scheiden kann. Robert Foltin weiß um die zerstörerische Kraft dieser unheilvollen Verbindung, lässt sie sich in seinen Gedanken aber nicht manifestieren; vielleicht ein guter Grund, um auf “Vor der Revolution” einen zweiten Teil als Weiterführung und humanitäre Handlungsanweisung folgen zu lassen. Vorschlag für den Titel: “In der Revolution”.
Informationen zum Buch
Vor der Revolution – Das absehbare Ende des Kapitalismus
Autor: Robert Foltin
Seiten: 136
Erschienen: Januar 2020
Verlag: Mandelbaum
ISBN: 978385476-694-0
Über den Autor: Robert Foltin (Jahrgang 1957) ist seit Jahrzehnten mehr oder weniger in der anarchistisch-autonomen Szene aktiv. Er schreibt über soziale Bewegungen und politische Theorien. Zuletzt erschienen „Autonome Theorien. Theorien der Autonomen“ (2015) im Mandelbaum Verlag und „(Post) Autonomie. Von der Organisationsfrage zu neuen Organisationsformen“ bei Unrast. Daneben interessiert er sich für revolutionäre Geschichte nicht nur in Österreich. Daraus sind zwei historische Romane in der edition grundrisse entstanden: „Herbst 1918“ (2013) und „Die Rote Garde in Wien“ (2016).
Homepage: http://robertfoltin.net
Illustration und Buchcover: Neue Debatte und Mandelbaum Verlag
Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.
2 Antworten auf „Robert Foltin: Vor der Revolution“
Dass der Kapitalismus am Ende ist erfahren wir immer deutlicher durch die ausufernden repressiven Maßnahmen, seiner (nicht nur staatlichen) Erfüllungsgehilfen, die mit der jetzigen Coronahysterie erneut ihre destruktive Macht demonstrieren. Dennoch glaube ich nicht, dass das Problem mit Gewalt zu lösen ist. Gewalt ist immer destruktiv, weil sie ohne Rücksicht etwas einfordert, ohne die Zustimmung der Mehrheit, oder besser gesagt der Einsicht und somit genau das Unrecht fortsetzt, was sie angeblich zu bekämpfen versucht. Das haben die Geschichte, als auch Ausgrabungen anderer Kulturen längst bewiesen. Wir drehen uns immer wieder nur im Kreis.
Wir brauchen ein völlig neues Lebensmodel, fernab von Gewalt, Ausbeutung, Konkurrenzdenken, Profitgier, Politik, Religion und Umweltzerstörung. Wir werden nicht
umhin können, uns selbst, spirituell und kulturell zu transformieren. Solange wir uns selbst (jede*r Einzelne von uns) nicht als Ursache (nicht als Schuldzuweisung!) von all dem begreifen, ist jede Revolution nur ein weiter machen mit dem, womit wir angeblich aufgehört haben.
Vielen Dank für den Kommentar. Foltin schreibt über die Gewalt nicht explizit, sondern (so wie Sie es auch anführen) über ein neues Lebensmodell. Aber weil Gewalt eben ein Begleiter der Zivilisationsgeschichte und insbesondere von Umwälzungen ist, wird dies in der Rezension erwähnt.