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Meinung

In der Krise: Die Rückkehr des proletarischen Machiavelli

„Hüte dich, deine Feinde zu hassen. Es trübt dein Urteilsvermögen.“

„Gerade als ich dabei war auszusteigen, ziehen sie dich wieder rein!“ Der viel zitierte, persiflierte und verwendete Satz aus Corleone/Coppolas „Paten“ ist vielleicht die beste Umschreibung dessen, was sich als die zyklische Krisenhaftigkeit des freien, chronisch beschleunigten und immer spekulativer werdenden Marktes darbietet.

Die Endlosigkeit der Krise

Eigentlich hört die Krise nie auf. Man spürt sie nur nicht überall gleichzeitig. Es ist wie mit der im Paten geschilderten organisierten Kriminalität. Sie funktioniert, solange die Terrains abgesteckt und respektiert sind. Dann herrscht Frieden und Wohlstand und die Granden spenden für karitative Zwecke. Sobald aber Konkurrenz auftaucht, wird Machiavellis Fürst zum Drehbuch und es gilt nur noch das Gesetz der kalten Macht.

Der Pate ist der proletarische Machiavelli. Immer, wenn die Akteure denken, sie seien raus, werden sie wieder hereingezogen in das Spiel, das mehr zerstört, als dass es schafft.

Der Trugschluss, es ginge doch alles sehr friedlich zu, hat dort Konjunktur, wo die direkten Kämpfe um Rohstoffe, Ressourcen und billige Arbeitskräfte gerade nicht toben. In Deutschland lässt sich besser von den Segnungen der Produktionsweise und des freien Marktes schwärmen als im Kongo oder in Afghanistan. Denn irgendwo herrscht immer Krieg, auf die eine oder andere Weise, mal wirtschaftlich, mal mit glühenden Waffen. Und die Orte, wo er herrscht, haben sich explosionsartig vermehrt.

Die Märkte stehen still

Die Handels- und die heißen Kriege sind das Ergebnis von Krisen, die entstehen, wenn zu viel produziert wurde und es nicht verkauft werden konnte, wenn spekuliert wurde und der erwartete Wert nicht erzielt wurde oder wenn die Bedingungen von Produktion und Distribution massiv beeinträchtigt werden.

Auf die Krise, die wir momentan erleben, treffen alle Faktoren zu. Produzenten wie Produktionsbedingungen und Distribution sind durch die Pandemie massiv beeinträchtigt und die Märkte stehen still. Wer da glaubt, das Spiel sei aus und nach der Genesung ginge alles so weiter wie gewohnt, wird eines Besseren belehrt werden. Die Messer werden bereits gewetzt für die Verteilungs- und Neuaufteilungskämpfe danach.

Und vieles, was sich andeutet, spricht dafür, dass sowohl der Kongo als auch der Hindukusch gar nicht mehr benötigt werden für das Gefühl der direkten Bedrohung. Der Kampf wird näher kommen und die Beschaulichkeit wird weichen.

Sie ziehen euch wieder rein!

Nichts wird mit dem korrespondieren, was jetzt als die überall zu beobachtende Vernunft gehuldigt wird. Ja, viele Menschen sind vernünftig, was die Hinweise zur Vermeidung einer Infektion anbetrifft. Und ja, sie zeigen sich solidarisch, wenn es um die Hilfe für Mitmenschen geht, die es hart trifft. Aber, ob diese Fähigkeit der Bevölkerung, sich als soziale Wesen im positiven Sinne zu profilieren, umgewandelt werden kann in eine Akzeptanz für die Großmachtpläne der wirtschaftsliberalen Raubtiere, lässt sich bezweifeln.

Wie sich diese Teile der Gesellschaft, denen jetzt die Schwärmerei gilt, zur Wehr setzen werden, wird sich noch zeigen. Auch ihnen sei jedoch das Zitat aus dem Paten noch einmal modifiziert vorgesprochen: Denkt nicht, dass ihr raus seid. Sie ziehen euch wieder rein!

Je mehr sich die pandemische Krise dem Ende neigen wird, desto stärker wird die zum Teil daraus entstandene, zum Teil bereits virulente wirtschaftliche Krise in den Vordergrund treten. Dann geht es um das, was historisch einmal so treffend als Kriegsgewinne bezeichnet wurde. Es gilt, sich auf diese Zeit gut vorzubereiten. Und vielleicht noch ein Rat aus dem Paten: „Hüte dich, deine Feinde zu hassen. Es trübt dein Urteilsvermögen.“



Illustration: Neue Debatte

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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