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Gesellschaft

In der Krise: Die Legitimation von Politik durch Wissenschaft

Die gegenwärtige Krise verstärkt eine Tendenz, die mit der Fridays For Future-Bewegung eingesetzt hatte. Es geht um die Legitimation von Politik mit dem Verweis auf die Wissenschaft. Das wohl wichtigste Argument dieser Bewegung sind Aussagen von Wissenschaftlern zum Klimawandel.

Unheilige Wissenschaft

Unabhängig von der notwendigen Betrachtung von Wissenschaft fiel auf, dass dieser Verweis bei weitem nicht auf so offene Ohren stieß wie die folgende Welle mit der Pandemie. Da griff die Politik schleunigst zu; zu jeder politischen Entscheidung, die getroffen wird, werden die Politiker von nickenden Virologen und Epidemiologen umrahmt. Anscheinend ist in diesem Fall auch die Akzeptanz derer, die die politischen Entschlüsse mittragen sollen, uneingeschränkt vorhanden.

Aufgrund dieser Erfahrung ist zu erwarten, dass sich die Politik in Zukunft vermehrt das Testat der Vernunft und Seriosität aus dem Lager der Wissenschaft holen wird. Wäre die Wissenschaft so, wie sie vielen erscheint, könnte das hilfreich sein. Doch so heilig ist die Wissenschaft nicht, auch sie hat in den letzten Jahrzehnten sehr unter Sparprogrammen einerseits und Privatisierung andererseits gelitten.

Längst kursieren Begriffe wie Auftrags- und Gefälligkeitswissenschaften, die Zustände beschreiben, in denen die Wissenschaft sich dafür hergibt, die notwendigen Botschaften derer, die als Geldgeber in Erscheinung treten, mit dem Instrumentarium der eigenen Disziplin zu untermauern.

Die Demontage der Reputation

Bei den vielen Zitaten aus den Wissenschaften, mit denen wir bereits heute konfrontiert werden, empfiehlt es sich, zunächst einmal zu fragen, aus welchem Haus die Untersuchung, auf die man sich beruft, tatsächlich kommt. Meistens sind es private Institute oder Stiftungseinrichtungen, während staatliche Universitäten relativ selten für politische Legitimation zur Verfügung stehen. Ein weiteres Indiz ist der Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen. Selten wurden Wissenschaftler derartig demontiert, wie in diesen Zeiten.

Was als typisch für die Inquisition galt, ist durchweg gesellschaftsfähig geworden. Man sehe sich alle an, die sich der offiziellen Meinungsversion als Wissenschaftler nicht anschließen. Über Nacht sind Menschen, die bis dahin eine unangefochtene professionelle Reputation genossen, mit dem Label des Verschwörungstheoretikers, des Scharlatans oder des Psychopathen versehen.

Andererseits sei der kleine Hinweis auf den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erlaubt. Selbiger ist gerade in der jüngsten Zeit immer wieder zu Ergebnissen gekommen, die der Politik der Bundesregierung diametral entgegenstanden. Der Verweis auf die Wissenschaft bleibt in solchen Fällen aus. Es sollte allen klar sein, dass die Wissenschaft instrumentalisiert wird, auch wenn die Legitimation von Politik durch die Wissenschaft punktuell vernünftig und sinnvoll sein kann. Generell, als politisches Paradigma, ist es ein Desaster.

Eine Träne im Auge

In Erinnerung ist das Bild, das Dürrenmatt einst von einem Physiker zeichnete, der endlich die Formel für die H-Bombe gefunden hatte und müde, aber glücklich in seinen Sessel sackte. Dann ließ er den Blick schweifen und entdeckte, dass er während der fieberhaften Forschungsarbeit vergessen hatte, seine Pflanzen zu gießen. Sie waren eingegangen. Als er das realisierte, entlockte es ihm eine Träne.

Es sollte im Kopf sein, dass das Interesse von Wissenschaft nicht kongruent sein muss mit dem, was politisch vernünftig ist. Und es sollte immer bewusst sein, dass die größten Verbrechen der Menschheit von Wissenschaftlern begangen wurden, denen man zu „Forschungszwecken“ Macht gab. Auschwitz wäre ohne ihr Zutun nicht so möglich geworden. Und als der Krieg vorbei war, sorgte der amerikanische Geheimdienst dafür, dass man diese Kriminellen in die USA holte, um den militärisch-industriellen Komplex aufzubauen.

Harmlos ist die Legitimation von Politik durch die „Wissenschaft“ also nicht. Auge, sei wachsam!



Illustration: Neue Debatte

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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