“Guten Tag, meine Damen und Herren. Hier spricht der Flugzeugkapitän. Ich begrüße Sie an Bord von „Aeroflot“, einer der ältesten Fluggesellschaften der Welt. Die heutige Flugroute ist Moskau-Düsseldorf. Stellen Sie sich auf eine angenehme Reise ein, die Flugdauer beträgt drei Stunden”.
Normalerweise wird mein Name an Bord nicht erwähnt, daher stelle ich mich selbst vor. Ich bin die Chefstewardess der Flugzeugcrew, Marija Zwenigorodskaja.
Vor fünf Jahren bin ich aus meiner Heimatstadt Orenburg, wo ich ein Jahr lang den Beruf einer Deutsch-Übersetzerin studiert habe, nach Moskau gezogen. Ich habe Deutsch von Null auf gelernt und habe mich mit dieser Sprache mit großem Interesse vertraut gemacht. Mein ganzes Leben lang träumte ich davon, in Moskau zu leben, und glaubte stets: „Wenn du etwas unbedingt willst, dann wird es auch klappen“. Natürlich nicht von selbst. Denn wenn es wirklich wichtig ist, dann wirst du selber alles dafür tun, um deine Pläne zu verwirklichen.

Und das habe ich getan. Ich habe nachts in einem Restaurant gearbeitet, um für ein Ticket nach Moskau zu sparen und habe mich am Maxim-Gorki-Literaturinstitut beworben. Ich hatte immer ein Verlangen nach dem Schreiben und der Gedanke, an einem so legendären Institut zu studieren, inspirierte mich. Ich wurde angenommen. Meine Großmütter und meine Mutter, sie alle waren dagegen. Doch nicht ein einziges Mal während meines Literaturstudiums habe ich es bedauert, dass ich mich dazu entschlossen habe, Schriftstellerin zu werden.
Nach meinem Abschluss im letzten Jahr stand ich vor der entscheidenden Frage: Wo soll ich arbeiten?
Die Option der Rückkehr in meine Heimatstand entfiel sofort: Bin ich etwa umsonst dort weggezogen? Und um in Moskau irgendwie Fuß zu fassen, brauchte ich einen Job. Der Verzweiflung nahe entdeckte ich im Internet eine Stellenausschreibung für eine Flugbegleiterin. Ich schickte meine Bewerbung mit dem Gedanken ab: „Das wäre doch etwas unglaubliches, wenn sie mich nehmen“. Und sie haben mich genommen.
Nach einem langen Bewerbungsgespräch, einer komplizierten medizinischen Untersuchung und einer viermonatigen interessanten Ausbildung absolvierte ich meinen ersten Flug. Es war ein Nachtflug hinter den Polarkreis – nach Surgut. Russland ist ein wunderschönes Land, aber ich war noch nie außerhalb dieses Landes. Jedes Mal hoffte ich, eines Tages das Ausland zu besuchen. Meine Kollegen wunderten sich: „Wie kommt es, dass du noch nie im Ausland warst?“ Und wenn ich dann noch hinzufügte, dass ich noch nie in meinem Leben am Meer war, sahen sie mich nur mitfühlend an und streichelten mir als Zeichen des Trostes über die Schulter.
Die Tage und Flüge vergingen, und plötzlich sehe ich im Arbeitsplan – eine Übernachtung in Düsseldorf! Für mich ist Deutschland das Land Nummer eins, das ich schon immer sehen wollte. Zum einen habe ich ein Jahr lang Deutsch gelernt. Ja, am Literaturinstitut habe ich mich mit dem Schreiben beschäftigt und es blieb keine Zeit, meine Deutschkenntnisse auf dem Laufenden zu halten. Nach und nach gerieten sie in Vergessenheit. Zum anderen ist Deutschland ein sehr schönes Land. Ich habe viel über die Lebensweise der Deutschen gehört, dass sie die Ordnung lieben, dass sie sehr akkurate und gastfreundliche Menschen sind. Ich wollte solche Passagiere kennenlernen.
Der Tag war gekommen. Ich habe für die Übernachtung gepackt, meine Uniform angezogen und mich geschminkt. Ich erinnere mich, es war Winter und es schneite. Der Winter ist meine Lieblingsjahreszeit und ich glaube, dass Deutschland im Winter ganz besonders zauberhaft ist.
Mit Vorfreude machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. Die ersten Passagiere kamen, grüßten mich freundlich und unterhielten sich untereinander weiter auf Deutsch. Ich wollte so sehr mit ihnen in ihrer Sprache sprechen. Während des Service haben sie die ganze Zeit gelächelt. Ich gieße ein Wasser ein – ein Lächeln. Ich biete die heiße Mahlzeit an – ein Lächeln. Auch hat mich die strikte Einhaltung der Sicherheitsvorschriften überrascht. Oft ist es so, dass sich Passagiere erst nach unserer Bitte anschnallen. Aber die Deutschen waren sofort vorbereitet: ihre Sicherheitsgurte waren angelegt und die Rückenlehne in aufrechter Position… Für mich als Mitarbeiterin ist dies besonders angenehm.

Wir kamen an. Natürlich blieb nur Zeit für das Abendessen und Schlafen. Es klappte nicht, die Stadt zu erkunden. Aber als wir vom Flughafen zum Hotel gingen, sah ich mir alles um mich herum mit Interesse an: die Menschen, die Autos. Es war so ungewöhnlich, zum ersten Mal im Ausland zu sein.
Das Hotel hat uns fantastisch bewirtet: ein großes Geflügelschnitzel mit Beilage, Dessert und beliebigem Getränk nach Wahl.
Danach hatte ich viele Auslandsflüge. Ich spazierte durch Shanghai, Hongkong und Hanoi. Ich habe im warmen Mittelmeer gebadet (ja, ich bin doch noch ans Meer gekommen). Aber dieser Nachtflug nach Düsseldorf blieb in Erinnerung als ein wunderbarer und allererster Auslandsbesuch. Von einem Flug nach Wien träume ich noch…
Jetzt arbeite ich seit etwas mehr als einem Jahr bei „Aeroflot“. Nach dem Studium war ich sehr verzweifelt und war sogar für einen Job bei McDonald’s bereit. Aber dank meiner jetzigen Situation habe ich eine Einzimmer-Mietwohnung in einer guten Gegend von Moskau und bekomme ein Gehalt, das in meiner Familie noch nie jemand in dieser Form hatte. Ich konnte es mir leisten, in Montenegro Urlaub zu machen, wo ich drei Wochen auf einer Sommerveranda mit Blick auf das Meer verbrachte. Man könnte meinen, ich hätte jetzt alles. Aber das Wichtigste bleibt für mich das Schreiben.
Ich habe für mich selbst entschieden, dass dies meine Sache ist – noch vor langer Zeit, vor dem Institut. Und egal, wie schwer ein Flug ist oder die Lebensumstände sind, ich komme immer noch nach Hause und schreibe…
Natürlich bleibt mir jetzt weniger Zeit dafür, aber ich glaube, dass all die Reisen und die Erfahrungen, die ich in der Fluggesellschaft gesammelt habe, meine Werke interessanter machen werden. Ich denke auch daran, eine Reihe von Erzählungen über meine Arbeit als Flugbegleiterin zu schreiben.
Man kann endlos darüber diskutieren, wo wir gerne wären und wie wir unser Leben gerne hätten. Aber ich denke, der sicherste Weg ist dort zu sein, wo wir jetzt sind, und das zu tun, worin unsere Seele liegt, egal was kommt.
Eure Marija
Illustration und Fotos: Neue Debatte, Aeroflot und Marija Zwenigorodskaja
Marija Zwenigorodskaja ist eine Schriftstellerin aus Russland. Sie kommt ursprünglich aus Orenburg und studierte in Moskau am Maxim-Gorki-Literaturinstitut. Dort wurde sie zur Schriftstellerin ausgebildet. Sie arbeitet bei der Fluggesellschaft Aeroflot. In ihrer Freizeit verfasst sie weiterhin Essays und Kurzgeschichten.