Die International Labor Organization (ILO), ihrerseits eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen (UN) mit Sitz in Genf (United Nations Office at Geneva), hat eine Studie zu den weltweiten Auswirkungen der Corona-Krise vorgelegt. Die seit 1919 bestehende Organisation gehört zu denen, die kontinuierlich durch ihre Qualität bestechende Analysen vorlegt, die aus ihnen im politischen Handeln gezogenen Schlüsse sind eher als dürftig zu bezeichnen.
Die Erschütterung der Arbeitswelt
Ihrem Auftrag gemäß haben sich die daran Beteiligten vor allem auf die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Arbeit und die Arbeitsplätze befasst. Die in Kürze referierten Ergebnisse sind beeindruckend und deuten auf die weltweite, ökonomische wie soziale Dimension hin, in der sich weiteres Handeln abspielen wird. Die Schlüsse, die aus den Ergebnissen gezogen werden, korrespondieren nicht mit dem, was die einzelnen politischen Verantwortlichen in den verschiedenen Ländern kommunizieren.
195 Millionen Arbeitsplätze sind derzeit laut Bericht der ILO weltweit in Gefahr, das entspricht 6,7 Prozent der global Beschäftigten. In Bezug auf die betroffenen Regionen wird ein Verlust von 5 Millionen Arbeitsplätzen in den arabischen Ländern diagnostiziert, Europa verliert 12 Millionen und die asiatisch-pazifische Region 125 Millionen Arbeitsplätze.
Besonders bemerkenswert ist die Einschätzung, dass knapp über die Hälfte der prognostizierten Job-Verluste, nämlich 100 Millionen, die Bereiche der höheren und mittleren Einkommen betreffen wird. Die beschriebenen Auswirkungen sind heftiger als bei der Weltfinanzkrise im Jahr 2008.
Auswirkungen bis in die Verwaltung
Sieht man sich die besonders betroffenen Bereiche an, dann ist die Einschätzung der sozial besonders bedrohten Schicht folgerichtig. Es handelt sich dabei um die Sektoren Gastronomie, Handwerk, Reparatur und Verwaltung. Es gehört nicht allzu viel Fantasie dazu, um sich die Ursachen der massiven Bedrohung der einzelnen Bereiche auszudeuten:
- der Gastronomie werden über die aktuelle Schließung hinaus die weiterlaufenden Belastungen und die danach zu erwartenden Hygienevorschriften zu schaffen machen,
- Handwerk und Reparatur werden zu einem Teil den Shutdown ökonomisch nicht überstehen
- und die administrativen Sektoren werden von einer mächtigen Digitalisierungswelle heftig durchrationalisiert werden.
Derzeit sitzen 81 Prozent der Welt-Workforce, nämlich 3,3 Milliarden Menschen, zuhause. 1,25 Milliarden davon sind in den benannten Hochrisiko-Bereichen beschäftigt. Hinzu kommen insgesamt 2 Milliarden Menschen im informellen Sektor, der momentan ebenso zum Erliegen gekommen ist.
Abschied von Illusionen
Die Studie begegnet einem dumpfen Gefühl des Unbehagens nun mit entsprechendem Material, das es ermöglich, das gegenwärtig quantifizierbare Ausmaß der weltweit wirkenden Krise zu beschreiben. Unabhängig von dem Aspekt der pandemischen Wirkung und ihrer Bekämpfung wird deutlich, was ökonomisch wie sozial, ohne die später wirkenden und identifizierbaren Aspekte der psychologischen und kulturellen Phänomene außer Acht zu lassen, auf alle betroffenen Länder zukommen wird.
Die Zahlen helfen, sich von Illusionen zu verabschieden, die momentan noch durchaus ihr Wesen treiben. Es wird, das scheint deutlich zu sein, anders werden, als es bereits war. Grundlegend anders.
Unabhängig von der Notwendigkeit der Fragestellung, ob der Irrsinn der momentanen Eigentumsverteilung der Menschheit noch eine Chance zum Überleben geben kann, sind die Schlussfolgerungen des ILO-Berichtes eindeutig. Guy Ryder, der Präsident der Organisation, sieht nur eine Chance in weltweiter internationaler Kooperation.
“If one country fails, then we all fail!”
Der lokale politische Reflex ist jedoch ein anderer. Die internationalen Organisationen von UN bis EU haben bis dato kaum eine Rolle beim Management der Krise gespielt und die Akteure setzten bisher auf nationale Krisenkonzepte. Das ist zunächst verständlich, hilft ab einem bestimmten Punkt bei dem Grad der internationalen Verflechtung nicht weiter. Die Globalisierung hat einen Konnex geschaffen, der begriffen werden muss. Der Präsident der ILO bringt die Notwendigkeit politischen Handelns auf den Punkt:
„If one country fails, then we all fail!“
Illustration und Video: Neue Debatte und Gerhard Mersmann
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Dominoeffekt: “If one country fails, then we all fail!”“
„If one country fails, then we all fail!“
Die sophistische Parole aller Gruppen, die ihre Hauptberechtigung durch Mitgliederzahlen beziehen.
Gerade jetzt erleben wir doch eine paradigmatische Demonstration der Vorteile staatlicher Souveraenitaet;
“Failed Staates” gab es seit Ende der Kolonialzeiten. Diese Unterschiede ergaben weder ein rueckwaerts- noch vorwaerts-Fallen von Dominos … und durch angestrebete Globalisierung waere das Argument sowieso redundant.