Kolumbien, im äußersten Nordwesten des südamerikanischen Kontinents gelegen, hat in diesen Tagen, wie so oft in seiner Geschichte, eine harte Prüfung zu bestehen. Wie die meisten Länder auf unserem Planeten hat das Coronavirus das Land erreicht. Aber die wirkliche Bedrohung macht sich an einer ganz anderen Stelle bemerkbar.
Der informelle Sektor
Im Verhältnis zur Einwohnerzahl (47 Millionen) gibt es noch wenige Infektionsfälle (3792) in Kolumbien [1]. Die Krise, die dem Land allerdings bevorsteht, ist in erster Linie sozialer Natur. Sie könnte durch die Auswirkungen der Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie getroffen wurden, um ein Vielfaches verstärkt werden.

Laut der New York Times leben 47 Prozent der kolumbianischen Bevölkerung von der Schattenwirtschaft (Straßenverkauf, Schwarzarbeit, Nachbarschaftshilfe usw.). Das bedeutet, dass die im informellen Bereich tätigen Menschen von dem Leben, was sie am Tag einnehmen. Diese Quelle ist versiegt, denn auch die Regierung von Präsident Iván Duque hat wegen der Pandemie eine Ausgangssperre verhängt.
Das mag gesundheitspolitisch nachvollziehbar sein, sozialpolitisch ist es eine Katastrophe. Staatliche Hilfe gibt es nicht. All jene, die im informellen Sektor ihr Dasein fristen und von denen die meisten noch nicht einmal ein Girokonto haben, sind jetzt auf die Solidarität anderer angewiesen. Bleibt diese aus, wird es eng für die nun einkommenslosen Schichten.
Das soziale Pulverfass
Besonders betroffen sind diejenigen, die in Großstädten wie Bogotá, Medellín, Cali oder Cartagena leben. Anders als die Landbevölkerung, die Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln oder Mais und Gemüse für den Eigenbedarf anbauen, können sie sich nicht mit dem Nötigsten selbst versorgen. Sie leben in Slums am Rand der Städte und sind jetzt in ihren zumeisten kleinen Wohnungen eingepfercht.

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis dieses soziale Pulverfass explodiert. Vor allem, wenn man den aktuellsten Erlass von Präsident Duque berücksichtigt: Die Ausgangssperre wurde bis zum 11. Mai verlängert. Wer soll das ohne Einkommen durchhalten? Revolten, die durch Hunger ausgelöst werden, sind in Kolumbien keine Utopie.
Das soziale Ungleichgewicht innerhalb der kolumbianischen Gesellschaft war schon vor der Pandemie extrem ausgeprägt. Im Fahrwasser der Pandemiebekämpfung werden jetzt die scharfen Konturen des neoliberalen Systems deutlich. Die Ausgangssperre zerstört die ohnehin dünne ökonomische Basis der verarmten Massen.
Der Griff in die Rentenkasse
Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass insbesondere in Ländern des globalen Südens die Pandemie lediglich als Mittel zum Zweck dient. Wie schon erwähnt, gab es in Kolumbien schon lange vor dem Auftauchen des Virus eklatante soziale Missstände und eine krasse Spaltung zwischen Arm und Reich. Nun kommt die Pandemie und deren Kosten werden nach unten abgewälzt.

Diesmal sind es die Rentenfonds, in die gegriffen wird, um Banken und Konzerne zu stützen. Die Werkzeuge liefert nicht das Virus, sondern das System: es sind vor allem Willkür, Inkompetenz und Korruption. Die Ärmsten der Armen überlässt man einfach ihrem Schicksal.
Quellen und Anmerkungen
[1] World Health Organization (WHO): Coronavirus disease (COVID-2019) situation reports (21. April 2020). Auf https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200421-sitrep-92-covid-19.pdf?sfvrsn=38e6b06d_6 (abgerufen am 22.4.2020). ↩
Illustration und Fotos: Neue Debatte und Jairo Gomez
Seit 1967 lebt der im spanischen Granada geborene Bernardo Jairo Gomez Garcia in Deutschland. Sein Vater stammt aus Kolumbien, seine Mutter aus Spanien. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. Rund 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei. Für Neue Debatte schreibt Jairo Gomez über die politischen Entwicklungen in Spanien und Lateinamerika und wirft einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa.
Eine Antwort auf „Kolumbien: Von SARS COV-2 zur Hungerrevolte?“
ich kenne kolumbien aus eigener anschauung – keine angst, solange die kolumbianer mehrheitlich in ihrer spezifischen art des “magische realismus” leben, wird es keine art der generellen sozialen explosion geben – und falls sich sowas auch nur andeuten sollte, wird es in alt-eingeübter zusammenarbeit zwischen regierung und usa von blande bis brutalst unterdrückt werden – in kolumbien sind regierung-religion-mafia nur drei unterschiedliche worte für das ein und selbe, deshalb funktioniert dort absolut nichts wirklich