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Hofberichterstatter: Herr und Knecht in Einem

Bundespressekonferenzen? Sehen Sie es sich an, es sind Geisterstunden, die Entsetzen oder Schamesröte hervorrufen, aber sonst nichts.

Nicht, dass es so kompliziert wäre, als dass es nicht zum allgemeinen Wissen gehörte, wie es sich verhält mit gewissen Doppelcharakteren. Die auf der einen Seite mächtig denen gegenüberstehen, die sie unter sich wähnen. Da haben sie zum Teil die Gestik eines römischen Imperators und, wenn sie streng sind, züchtigen sie, wenn sie milde sind, dann lassen sie sich huldigen.

Auf der anderen Seite kann jedoch beobachtet werden, dass diese Übergrößen auch noch jemanden über sich haben. Treffen sie auf diesen, dann schwindet das Gehabe des Tyrannen im Nu und aus dem mächtigen Feldherrn wird ein kleines Mäuschen, das sich versteckt und verzagt piepst.

Treppentiger, Radfahrer und Bücklinge

Das Erschreckende an dem Phänomen ist, dass es flächendeckend und zahlreich existiert, in jeder Firma, in jeder Fabrik, in jedem Verein, in jeder Partei und in jeder Initiative. Schaut man den ewigen Mäusen, denen, die niemanden mehr unter sich haben, aufs Mäulchen, dann ist zu entdecken, dass sie dafür Wörter haben: Treppentiger, Radfahrer, Bückling. Es ist ein Massenphänomen, und an schlechten Tagen könnte man zu dem Schluss kommen, der Mensch an sich sei einfach schlecht.

Das Schlimme an der sozialen Organisation von Menschen ist, dass sie das, was sie als Menschen auszeichnet, auch sehr gerne auf die Organisationen, die im gesellschaftlichen Gefüge eine Rolle spielen, übertragen. Keine einzelne Organisation, aber ein Bereich, der von diesem Doppelcharakter betroffen ist, scheint all jene zu repräsentieren, die über staatliche Finanzierungssysteme an dem arbeiten, was sich so unspezifisch Meinung nennt.

In Zeiten wie diesen, in denen der Hang zum Gewohnten groß ist, in denen sich andererseits jedoch Neues nahezu aufdrängt, haben diese medialen Organe den Auftrag, das Diktum der Regierung zu verbreiten, komme da, was da wolle.

Wer an der Interpretation zweifelt, wer glaubt, dass es Alternativen gibt, dem sei empfohlen, sich die eine oder andere Bundespressekonferenz anzusehen, bei denen es um den Transport von Sichtweisen geht, die durchaus auch eine andere Meinung zuließen. Sehen Sie es sich an, es sind Geisterstunden, die Entsetzen oder Schamesröte hervorrufen, aber sonst nichts.

Diejenigen, die an diesem Zirkus teilnehmen, um ihre Politik zu verkaufen, trifft man sie außerhalb des Kontextes, an den sie sich gebunden fühlen, reden, wähnen sie sich unbeobachtet, so wie du und ich. Man glaubt es kaum: Plötzlich entpuppen sich die Kampfhähne der öffentlichen Bühnen als Treppentiger par excellence. Da sehen sie alles, was den kleinen, den ewigen Mäusen fragwürdig erscheint an der großen Politik, genauso kritisch wie diese.

Die Hofberichterstatter

Ist einmal die erste Verwunderung verschwunden, und es wird danach gefragt, warum denn vieles so ist, wie es ist, und nicht anders, dann kommt das, was eines römischen Imperators gar nicht würdig ist. Es wird dann verwiesen auf die Devisen, die „von ganz oben“ kommen und auf die Macht derer, die eigentlich keine haben: die Hofberichterstatter.

Letztere sind es, die das erledigen können, was im Bereich der Kriminalität und des Terrors mittels des physischen Mordes geregelt wird. Das machen sie nicht und das brauchen sie nicht. Ihnen reicht es, den Ruf zu erledigen und über Nacht aus respektablen Bürgerinnen und Bürgern Verwirrte und Spinner, und, wenn es sein muss, auch noch Triebtäter zu machen.

Es ist ein grausames Handwerk, dass da zuweilen jene erledigen, die einerseits Herr sind, aber eben auch Knecht. Das, als Massenphänomen, mit einer politischen Programmatik ändern zu wollen, scheint ein hoffnungsloses Unterfangen. Das beginnt bei jedem vor der eigenen Haustür. Und wenn es dort nicht beschrieben, kritisiert und geändert wird, dann ist nicht zu erwarten, dass das Phänomen Herr und Knecht in Einem“ jemals verschwindet.



Illustration: Neue Debatte

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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